Rudi Kost
Die Nadel im Heuhaufen
Ein Hohenlohe-Krimi
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Impressum neobooks
Der Polizist schaute nach oben und seufzte. Ich tat ihm den Gefallen, schaute ebenfalls nach oben und seufzte mit. »Wie kann man nur so unvorsichtig sein!«, sagte er.
In den tragischen Momenten des Lebens treibt uns die Sprachlosigkeit unweigerlich zu Banalitäten. Man musste ihm das nachsehen.
Wir blickten hinauf in eine dunkle, viereckige Luke im Holzboden. Dort oben lagerten Heu und Stroh. Gemeinsam schauten wir wieder nach unten.
Fritz Huber lag seltsam verrenkt auf dem Betonboden der Scheune. Eigentlich interessant. Tote liegen immer seltsam verrenkt da, niemals normal verrenkt oder einfach nur so verrenkt.
Wenigstens bestand kein Zweifel, dass der Bauer tot war. Seine Augen waren starr in die Ferne gerichtet. Unter seinem Hinterkopf hatte sich eine Blutlache gebildet. Er trug einen blauen Arbeitsanzug, auf dem ein wenig Heu verstreut war.
Der Polizist war noch jung und etwas blass um die Nase. Er hatte wohl noch nicht viele Tote gesehen.
Ich auch nicht, um ehrlich zu sein. Aber ich war tapfer und ließ mir nichts anmerken.
»Das weiß doch jedes Kind, wie leicht man da abstürzen kann«, sagte er. Noch so eine tiefschürfende Bemerkung.
»Gestürzt. Geschubst. Gesprungen. Wer weiß das schon.«
Der Polizeibeamte sah mich etwas argwöhnisch an. Ich trug mein Lässig-aber-elegant-Outfit: beige Jeans von Boss, einen sandfarbenen Cashmere-Rolli, eine hellbraune Lederjacke von Versace. Er trug seine Uniform.
***
Wir standen im Hof des Anwesens. Vor den Fenstern des Bauernhauses mit seinem schönen Fachwerk verwelkten die letzten Geranien in der milden Herbstsonne.
Mittlerweile hatte sich das halbe Dorf versammelt. Nur die Huber-Bäuerin und der Sohn fehlten. Sie waren weggefahren, so gegen neun Uhr, erfuhr ich von einer Nachbarin. In solchen Dörfern bleibt wenig unbemerkt.
Ich mischte mich unters Volk. Man erzählte sich die Geschichten, die jeder kannte: wie der Sohn vom Reber beim Dachdecken abgestürzt war und sich fast das Kreuz gebrochen hatte, wie dem Hummels-Bauer die Kettensäge ins Bein gefahren war, der Röger vom Baum erschlagen wurde, der Otter die Hand in die Häckselmaschine brachte … Ein Bauernhof ist ein gefährlicher Arbeitsplatz.
Doch unter die Betroffenheit mischten sich auch andere Stimmen. Fritz Huber war offenbar nicht sonderlich beliebt gewesen im Dorf, und sein Tod stimmte die Nachbarn nicht gerade milder.
Als Kommissar Keller auf den Hof fuhr, hätte ich mich am liebsten verdrückt. Aber ich wusste, dass das keinen Sinn hatte, und arbeitete mich langsam vor.
»Und wer hat ihn entdeckt?«, fragte Keller gerade den jungen Polizisten.
Der sah sich suchend um und wies auf mich: »Der da!«
Keller entdeckte mich und seufzte. »Ich hätte es mir denken können.«
Ich grinste ihn an. »Jeder hat halt so seine Hobbys, Sheriff. Und ich bin in diesem County eben für die Entdeckung der Leichen zuständig.«
Keller zog seine linke Augenbraue in die Höhe. Das hatte er sich von Roger Moore abgeschaut und bestimmt wochenlang vor dem Spiegel geübt. Ich kannte mich da aus. Ich hatte auch mal geübt, aber nach zwei Tagen aufgegeben. »Wie kommt’s, dass ausgerechnet Sie ihn gefunden haben?«
»Ich hatte einen Termin mit ihm.«
»Und warum?«
»Er wollte seine Lebensversicherung ändern. Jemand anders sollte begünstigt werden.«
»Wer sollte das werden?«
»Hat er nicht gesagt.«
»Warum haben Sie nicht gefragt?«
»Ich bin doch nicht neugierig.«
»Und wer war es bisher?«
»Wie üblich. Seine Frau.«
»Warum, um alles in der Welt, wollte er das ändern?«
»Weil ihm die Frau davonlaufen wollte? Weil er seine Frau satthatte? Keine Ahnung. Er hat’s mir nicht verraten. Ich hätte es schon noch erfahren.«
Nun wurde Keller doch etwas nachdenklich.
»Und ausgerechnet, bevor Sie kommen, stürzt er vom Heuboden und bricht sich das Genick. So ein Zufall!«
»Ich glaube nicht an Zufälle«, sagte ich.
Vor allem nicht, wenn es meine Versicherung eine hübsche Stange Geld kostet. Hunderfünfzigtausend Euro, das Doppelte bei einem Unfalltod, sind kein Pappenstiel.
Mittlerweile hatte der Arzt seine Untersuchungen abgeschlossen. Es war der Dorfarzt, den irgendwer aus dem Nachbarort geholt hatte, um das Offensichtliche festzustellen. Er fühlte sich sichtlich unwohl.
»Todeszeitpunkt zwischen acht und zehn Uhr«, sagte er.
»So genau legen Sie sich fest?«, fragte Keller verblüfft.
»Ist ja noch nicht lange her. Man sieht’s an der Blutgerinnung.«
»Todesursache?«
»Er hat sich eindeutig das Genick gebrochen. Aber ob das die Todesursache war …«
»Anzeichen von Fremdeinwirkung?«
»Hören Sie, ich bin kein Pathologe. Dass er eine stark blutende Wunde am Hinterkopf hat, sehen Sie selbst. Ob er sich beim Sturz irgendwo angeschlagen hat oder ob es was anderes war, muss die Obduktion klären.«
»Kannten Sie ihn?«
»Er war mein Patient.«
»Hatte er irgendwelche Beschwerden?«
Der Arzt schaute Keller an und brachte das Kunststück fertig, würdevoll und beleidigt zugleich auszusehen.
»Haben Sie schon mal etwas von der ärztlichen Schweigepflicht gehört?«
Wenn ihm etwas gegen den Strich ging, konnte Keller ziemlich ruppig werden. »Die geht mir am Arsch vorbei. Ich habe hier einen nicht natürlichen Todesfall, wie das im Amtsdeutsch heißt, und ich will wissen, was die Ursachen sind und was ich ausschließen kann. Und ich will es sofort wissen. Also?«
Der Arzt kämpfte mit sich und seiner Würde. Wir Umstehenden verfolgten das Duell interessiert. Ich war amüsiert. Ich kannte den Kommissar und wusste, wer gewinnen würde.
Keller schaute den Arzt grimmig an, wie eine Bulldogge vor dem Zuschnappen. Schließlich gab der Arzt seine Würde auf und war nur noch beleidigt.
»Fritz Huber war kerngesund«, meinte er patzig.
Man sah Keller an, was er dachte. Und dass er es am liebsten laut gesagt hätte.
»Schwindelanfälle oder so was?«, fragte er stattdessen.
»Nicht dass ich wüsste.«
»Verbindlichsten Dank, Herr Doktor«, erwiderte Keller mit ätzender Liebenswürdigkeit und scheuchte den Arzt mit einer Handbewegung weg.
Dann starrte er auf den toten Fritz Huber hinab, zog einen Zigarillo aus der Tasche und begann, darauf herumzukauen. Seit ich ihn kannte, war er dabei, sich das Rauchen abzugewöhnen. Den Zigarillo malträtierte er immer, wenn er wütend war oder nachdenken musste.
Und jetzt musste er entscheiden, ob er den ganzen Apparat in Bewegung setzen sollte.
Er starrte mich an.
Ich starrte zurück.
Er kaute heftig.
Ich nickte ihm zu.
»Manchmal irre ich mich auch«, sagte ich.
Keller schaute mich böse an.
»Übrigens hat er mir geflüstert, dass er auch sein Testament ändern wollte«, sagte ich leise zu ihm. Das musste ja nicht jeder hören.
Keller seufzte. »Also gut, das volle Programm.«
Nun würde sich also die Gerichtsmedizin mit der Leiche befassen. Die Spurensicherung würde anrollen und jeden Zentimeter unter die Lupe nehmen – eine mühselige Arbeit in einer Scheune, die staubig und dreckig und voller Spinnweben ist. Hier etwas Brauchbares zu finden, glich wahrhaft der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.
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