„Komm ins Bett“, sagte sie. „Ich bin müde.“
Sebastians Herz schlug so schnell, dass er sicher war, es müsste jederzeit platzen. Völlig perplex sah er zu, wie Maya sich zurückzog, ihren Platz neben ihm verließ und sich wie in Zeitlupe zurück zum Bett bewegte. Sebastian war unfähig sich zu rühren. Er saß nur da und versuchte zu begreifen, was da gerade vor sich ging. Maya kroch unter die Laken und legte sich umständlich zurück. Eine Weile passierte nichts. Sebastian atmete schwer.
„Keine Angst“, sagte sie wieder. „Das bin nur ich.“ Und dann warf sie ihm aus ihren dunklen Augen einen Blick zu, der ihn völlig willenlos machte. Wie in Trance stand er auf, umrundete das Bett, zögerte noch einen winzigen Augenblick, atmete zitternd ein und legte sich zu ihr. Er versuchte, so viel Abstand wie möglich zwischen ihnen zu lassen, sie nicht zu bedrängen, um den Moment nicht zu zerstören. So lagen sie einfach nur da und sahen sich an. Eine wundervolle Ewigkeit lang. Und als Maya schließlich einschlief, blieb er noch wach und beobachtete ihren Schlaf.
Gedankenverloren fuhr sich Maya mit der Rückseite ihres Stifts wieder und wieder über die Unterlippe. Sie konnte sich einfach nicht konzentrieren. Der neue Verband erlaubte ihr zwar, endlich etwas gegen ihre Langeweile zu unternehmen und zu zeichnen, aber Maya war ständig abgelenkt. Immer wieder wanderten ihre Augen zu Sebastian. Von ihrem bequemen Platz auf der Wohnzimmercouch aus beobachtete sie ihn, wie er an seinem Esstisch saß und hochkonzentriert in Geschäftsbücher blickte. In unregelmäßigen Abständen tippte er auch etwas in den Laptop, der neben den Akten auf dem Tisch stand. Es passte so gar nicht zu diesem Mann, so eine staubige, langweilige Schreibtischarbeit zu verrichten. Aber er tat es mit einer solchen Routine, dass Maya den Eindruck hatte, er würde es sogar ein wenig genießen. Seit drei Tagen ging das nun schon so. Er arbeitete, sie saß auf der Couch und versuchte zu zeichnen. Ab und zu – wenn er zum Beispiel aufstand, um sich oder ihr Kaffee zu holen – berührte er sie sanft im Vorbeigehen, hauchte ihr süße Küsse auf die Stirn und elektrisierende auf den Mund. Nachts legte er sich zu ihr ins Bett und wartete, bis sie eingeschlafen war.
„Würdest du das bitte lassen“, murmelte er, über einen Stapel Papier gebeugt.
Maya zuckte leicht zusammen.
„Redest du mit mir?“
„Mit wem denn sonst?“ Noch immer blickte er auf die Unterlagen. „Also lass es bitte.“
„Was denn?“
„Mich so anzusehen.“ Seine Ohren wurden rot und Maya bemerkte einen verlegenen Zug um seine Mundwinkel.
„Wie sehe ich dich denn an?“ Dieses Spielchen begann ihr zu gefallen. Ruckartig hob er den Kopf, sein Blick bohrte sich in ihren.
„So, dass ich am liebsten Dinge mit dir anstellen würde, die…“
„Die was?“
„Hör auf, okay? Ich muss arbeiten.“
„Entschuldige.“ Maya blickte wieder auf ihre Zeichnung. Für drei Sekunden, zwei, eine… kaute er da etwa auf dem Stift herum?
„Maya!“
„Hm?“
Sebastian sah sie vorwurfsvoll an. „Du tust es schon wieder.“
„Oh.“
Eine Weile beobachtete er sie schweigend. Dann, als hätte er eben etwas beschlossen, zuckten seine Mundwinkel. Sebastian stand auf, schlenderte langsam zur Couch und ließ sich direkt vor Maya in die Kissen fallen. Seine Augen immer auf sie gerichtet.
„Na los!“, forderte er sie auf. „Zeichne!“
„Was?“ Maya war verwirrt.
„Irgendwas. Zeichne meinetwegen mich.“
Maya schüttelte den Kopf. „Nein, ich meinte nicht was, sondern… ach egal.“ Sie senkte den Blick auf das Papier und begann ein Portrait von Sebastian. Immer wieder sah sie zu ihm auf und sein durchdringender Blick brannte ihr förmlich auf der Haut. Nein, so ging das nicht. Unwirsch riss sie das erste Blatt vom Block und startete einen neuen Versuch. Als sie aufsah, ließ Sebastian die Spitze seines Daumens gedankenverloren über seine Unterlippe gleiten. Immer noch musterte er sie mit diesem raubtierhaften Funkeln in den Augen. Maya hielt den Atem an. Ihre Hände begannen hektisch zu krakeln. Sie wusste, dass er es ihr mit gleicher Münze heimzahlte, aber sie würde das jetzt nicht zugeben.
„Ich kann einfach nicht gut Gesichter malen“, sagte sie stattdessen und zerknüllte auch das zweite Blatt. „Das konnte ich noch nie.“
Sebastian grinste zuerst. Dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Er wirkte kurz abwesend. Eine Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen.
„Aber du hast mich doch schon einmal gemalt. Und zwar ziemlich gut.“
Maya verstand nicht. „Hab ich?“
„Das Bild in deinem Café“, sagte Sebastian bestimmt.
Maya holte tief Luft. Verdammt! Was jetzt?
„Das…“ sie stockte, wusste einfach nicht, was sie sagen sollte.
„Du hast es nicht gemalt.“ Sebastians Stimme klang seltsam gedämpft. Blitzschnell griff er sich eines der zerknüllten Porträtversuche, faltete es auseinander und betrachtete Mayas verunglückte Linien.
„Das heißt, du hast jemanden gedeckt.“ In seine Stimme mischte sich ein harter Unterton.
„Ja“, bestätigte Maya leise. Was hatte es jetzt schon für einen Sinn, auszuweichen?
„Wen?“, hakte er sofort nach. Und als Maya nicht antwortete, schnaubte er verächtlich. „Diesen Kerl, hab ich Recht? Den, der bei dir wohnt.“ Sein Ärger reizte sie.
„Na und?“
Hilflos warf Sebastian die Hände in die Luft. Die Zeichnung segelte über den Rand der Couch, doch Maya blieb keine Zeit, ihren Fall weiter zu verfolgen.
„Na und? Sag mal, tickst du noch richtig? Du lässt dich beinahe töten…“ Sebastian schluckte und senkte seine Stimme wieder. Sie klang heiser, als er weitersprach. „Wieso hast du das getan?“
Maya dachte an Rocco. An den wütenden, verletzten Achtzehnjährigen. Daran, wie er sie einen Feigling genannt hatte. Und mehr als fromme Wünsche hast du nicht, hatte er gesagt.
„Weil dieser Mensch jung ist und dumm und impulsiv. Zornig und leichtsinnig und weil ich mich für ihn verantwortlich fühle.“
„Verantwortlich?“, Sebastian blinzelte verwirrt.
„Er ist Achtzehn.“ Sie sah förmlich, wie es hinter Sebastians Stirn arbeitete.
„Achtzehn… wow… das ist jung… ich dachte nicht, dass du…“
Maya verdrehte genervt die Augen. „Ja und du denkst in die ganz falsche Richtung. Er ist eher so etwas wie mein kleiner Bruder.“
„Oh.“ Sebastian verstummte. Maya schüttelte den Kopf. Wie konnte er nur eifersüchtig auf Rocco sein? Das war kaum vorstellbar.
„Mit kleinen Brüdern kenne ich mich aus“, begann Sebastian schließlich erneut. „Und ich kann dir sagen, sie sind für ihr Handeln ganz und gar selbst verantwortlich.“ Sein Blick war dunkel und schien durch sie hindurch zu gehen.
„Und selbst wenn, es ist ja nicht so, als hättet ihr mich gehen lassen - in dieser Nacht vor meinem Laden - wenn ich euch erzählt hätte, von wem das Bild stammt. Zumindest habt ihr nicht so ausgesehen.“
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