„Nachdem der morgendliche Ausflug schon so ein Erfolg gewesen ist, hab ich mir gedacht, ich schau mal, ob ich es bis zur Couch schaffe.“ Sie lächelte ihn an und sein Gesicht entspannte sich. Er warf einen Blick auf die Tasse in seiner Hand.
„Kaffee?“, fragte er.
„Gern.“
„Dann komm, und hol ihn dir“, neckte er sie mit einem Grinsen und stellte die Tasse auf den Couchtisch.
Maya platzierte die leere Tasse auf ihrem angewinkelten Knie und machte es sich auf der Couch so bequem wie möglich. Allmählich ließen ihre Schmerzmittel nach. Aber um nichts auf der Welt hätte sie das jetzt zugegeben. Sebastian würde sie sofort wieder zurück ins Bett scheuchen und ihr ihre Medizin einflößen, die sie zwar überwiegend schmerzfrei, aber auch müde machte. Maya wollte jetzt nicht müde werden. Sie fühlte sich das erste Mal seit Tagen wieder wie ein Mensch. Auf einer Couch sitzen und über Belanglosigkeiten reden. Musik, Bücher, oder die Art, wie sie ihren Kaffee trank. Vielleicht war das bereits in ein paar Stunden wieder vorbei. Seit sie hier bei Sebastian war, hatte sie eine wahre Achterbahnfahrt hinter sich gebracht. Wer wusste schon welche gemeine Wendung oder welcher Abgrund als nächstes kam?
„Kann ich noch einen Kaffee haben, bitte?“, fragte sie stattdessen.
„Wenn du meinst, dass du noch einen vertragen kannst“, gab Sebastian zurück, erhob sich aber noch im gleichen Augenblick und griff nach ihrer Tasse.
„Natürlich kann ich das! Ich bin ja noch keine 70!“, rief sie ihm nach, als er in der Küche verschwand.
„Meinetwegen. Du kannst dich später vor Elias rechtfertigen, wenn du die halbe Nacht wachliegst und ihn davon abhältst seine Lieblingsserie anzusehen.“ Sebastian reichte ihr ihre Tasse, die bis zum Rand mit dem heißen, schwarzen Getränk aufgefüllt war. Er setzte sich neben sie auf die Couch, einen Fuß untergeschlagen und beobachtete sie aufmerksam. Wie so oft war er nur mit Jeans und T-Shirt bekleidet. Er war barfuß und unter den Ärmelsäumen seines Shirts krochen dichte, verschlungene grünlich schwarze Tätowierungen hervor, die bis zum Handrücken reichten. Maya konnte Flammen erkennen und verschlungene Symbole.
„Elias kommt noch vorbei?“, fragte sie. „Musst du denn weg?“
„Mein Bruder will wissen, wo ich abgeblieben bin.“
Er sah nicht so aus, als würde er sich auf das Treffen freuen.
„Was wirst du ihm sagen?“ Mayas Puls beschleunigte sich. Vielleicht wirkte auch nur der Kaffee.
„Ich weiß es noch nicht. Mir wird schon etwas einfallen.“ Er fuhr sich mit der Hand über die kurzen Stoppeln, die mittlerweile auf seinem Kopf sprossen. Eine Angewohnheit, stellte Maya fest. Er machte das oft.
„Ich habe Eli gesagt, er soll den Doc mitbringen. Du brauchst einen neuen Verband. Du musst dich besser bewegen können. So hilflos kannst du nicht bleiben.“
„Wieso? Wollen das nicht alle Männer? Hilflose, wehrlose Frauen?“, scherzte Maya und beobachtete erstaunt, wie Sebastian errötete. Wieder kratzte er sich am Kopf.
„Du willst doch nicht ewig hier festsitzen, oder?“, murmelte er, den Blick von ihr abgewandt.
„Nein“, gab Maya zu und wunderte sich, woher der schwere Stein kam, der sich auf ihre Brust legte. Verdammtes Stockholm-Syndrom!
„Ich weiß, es ist eine Belastung für dich, mich hier zu haben.“ Maya versuchte, einen betont nüchternen Tonfall anzuschlagen, und es gelang ihr auch fast. Trotzdem schreckte Sebastian hoch.
„Was? Nein! Maya, du verstehst das falsch…“
„Ist schon gut, wirklich!“, beeilte sie sich zu sagen. Der Stein wurde immer schwerer. Was stimmte nicht mit ihr?
„Nein, hey!“ Sein bestimmender Tonfall ließ sie aufhorchen. Sebastians Hand griff sanft nach ihrem Kinn, drehte ihren gesenkten Kopf zu sich und zwang sie so, ihn anzusehen.
„Maya, du bist keine Belastung. Ich möchte, dass du bleibst.“ Seine Stimme wackelte und seine Ohren waren flammend rot. Er holte tief Luft.
„Was ich sagen will, ist: Du kannst so lange bleiben, wie du willst“, fuhr er in neutralem Tonfall fort. Aber seine Hand löste sich nur widerstrebend von ihrem Gesicht.
„Ich hatte nur den Eindruck, du möchtest so schnell wie möglich von hier verschwinden.“
Maya wusste nicht, was sie sagen sollte und nahm verlegen einen Schluck Kaffee.
„Ich bin hier nicht sicher, Sebastian.“ Nirgendwo hatte sie sich bisher sicherer gefühlt. Trotzdem: Sie war, wer sie war und er war ein Mocovic mit einem bösartigen Bruder. „Was ist, wenn plötzlich dein Bruder vor der Tür steht? Oder einer von den beiden anderen, die…“ Maya verstummte, als die Bilder dieser schrecklichen Nacht in ihrem Kopf aufblitzten. Dumpfes Pochen breitete sich aus und sie biss sich auf die Lippen. Sebastian hatte ihre Unruhe bemerkt. Wie selbstverständlich nahm er ihr die Tasse aus der Hand, bevor sie den Inhalt verschütten konnte, und stellte sie auf den Couchtisch.
„Carl und Shorty? Die sind noch nie hier gewesen. Und mein Bruder besucht mich höchstens einmal im Jahr. Er hält lieber Hof in seiner Villa. Außerdem“, fuhr er fort „ist vor der unteren Haustüre eine Videokamera angebracht. Ich sehe also jederzeit, wer bei mir klingelt.“
„Und wenn es jemand ist, der nicht wissen soll, dass ich hier bin?“ Unsicher sah sie Sebastian in die Augen und bekam einen beruhigenden Blick zurück.
„Dann gehst du ins Schlafzimmer und schließt die Tür hinter dir. Niemand wird da reinkommen. Niemand außer dir ist jemals in meinem Schlafzimmer gewesen. Und so lange…“ Er stockte, als er die Veränderung in ihren Augen bemerkte.
„Was ist?“
„Noch niemand ist jemals in deinem Schlafzimmer gewesen?“
„Niemand außer dir“, bestätigte er verwirrt. „Ja, klar, seit du hier bist, war natürlich auch der Doc da. Er musste dich ja verarzten. Und Elias selbstverständlich. Er…“
„Keine Frau?“, unterbrach ihn Maya.
„Was?“ Er starrte sie verständnislos an.
„Du hast nie eine Frau mit hier rauf gebracht?“ Warum interessierte sie das?
„Nein.“
Zu spät bemerkte Maya, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. Es war, als würde Sebastian innerhalb weniger Sekunden eine zweite, harte Haut wachsen. Undurchdringlich und abweisend.
„Es tut mir leid“, versuchte sie, sich zu entschuldigen. „Natürlich geht mich das nichts an.“
Doch Sebastian war bereits aufgestanden, und hatte auch räumlich eine Distanz zwischen ihnen geschaffen. Als ob das nötig wäre, dachte Maya bitter. Die Kluft, die sich zwischen ihnen auftat, hätte nicht größer sein können, wenn er sich am anderen Ende der Welt befunden hätte.
„Es wäre natürlich von Vorteil, wenn du deine Sachen nicht überall herumliegen lassen würdest“, erklärte Sebastian sachlich und eiskalt.
„Lass sie am besten in der Reisetasche im Schrank. Ich würde tatsächlich in Erklärungsnot kommen, wenn jemand deine Haarbürste oder deinen BH hier finden würde. Also halt deinen Kram zusammen, klar?“
„Klar.“ Maya atmete tief ein und erntete ein böses Stechen von ihrer Schulter. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht kränken“, fügte sie noch hinzu, doch Sebastian hörte sie bereits nicht mehr. Er war in die Küche gelaufen und machte sich dort an irgendetwas zu schaffen. Es hätte Maya nicht überrascht, hätte sie Glas splittern gehört. Reglos blieb sie einen Moment auf der Couch sitzen. Mittlerweile meldeten sich ihre Verletzungen immer deutlicher. Es war wohl besser, wenn sie wieder ins Bett ging und ein paar von den Tabletten einwarf, die auf der Kommode lagen. Zentimeter für Zentimeter schälte sie sich aus der weichen Polsterung der Couch. Maya wappnete sich, bevor sie aufstand. Das hier würde wehtun. Der Schwung ihrer Bewegung war ein wenig zu gut bemessen. Die Balance stimmte nicht und mit einem lauten Poltern taumelte sie gegen den Wohnzimmertisch. Ihre halb gefüllte Kaffeetasse kippte um und die schwarze Brühe lief quer über den Tisch.
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