„Verdammter Mist!“, zischte Maya.
Noch ehe sie zurück auf die Couch fallen konnte, war Sebastian an ihrer Seite und fasste nach ihrem linken Arm, um sie zu stützen.
„Maya, alles in Ordnung?“ Sein besorgter Tonfall kitzelte etwas in ihr. Was sollte das jetzt wieder?
„Natürlich nicht!“, fauchte sie und zog an ihrem Arm. Kleine, heiße Stiche fuhren durch ihre rechte Körperhälfte. „Der ganze Kaffee ist verschüttet.“
„Und jetzt ist der ganze Teppich versaut“, stellte Sebastian fest. Er klang absolut nicht wütend und zu ihrem Erstaunen reizte das Maya nur noch mehr. Die Schmerzen ignorierend, entzog sie ihm ruckartig ihren Arm.
„Dann lass ihn reinigen und schick mir die Rechnung“, blaffte sie ihn an.
Sebastian musterte sie überrascht. Er kapierte offensichtlich gar nichts.
„Was ist los? Geht es um den Kaffee?“
„Was los ist?“, schrie Maya ihn an. „Das fragst du mich? Was ist los mit dir? Das wäre doch die viel interessantere Frage!“
„Wie meinst du das?“ Sebastian wich einen Schritt zurück. Mit dieser Reaktion hatte er wohl nicht gerechnet.
„Du denkst, ich mache mich über dich lustig, oder?“, begann Maya. „Du denkst, ich mache mich lustig, wenn ich dich frage, ob du wirklich noch keine Frau in deinem Schlafzimmer hattest, oder wenn ich dir sage, dass deine Narbe dich nicht auf eine solche Art und Weise entstellt, wie du glaubst.“
Maya konnte sehen, wie Sebastians Augen hart wurden. Die Muskeln an seinem Kiefer spannten sich an. Ganz wie erwartet, dachte Maya.
„Und jetzt tust du es schon wieder!“, warf sie ihm vor. „Du bist eingeschnappt.“
„Eingeschnappt?“
„Genau das! Wie ein bockiges, beleidigtes Kind reagierst du auf alles, was dir nicht in den Kram passt. Du weigerst dich, zu glauben, dass irgendjemand dich anders sehen könnte, als du dich selbst.“
„Das kommt daher, dass ich mich selbst am besten kenne, meinst du nicht?“ Sebastian funkelte sie böse an.
„Ich meine, du willst gar nicht, dass man dich als Sebastian sieht. Du willst Scar sein. Das Monster. Und dich darin baden.“
Sebastians Gesicht verlor alle Farbe. Mit einer schnellen Bewegung verkürzte er den Abstand zwischen ihnen auf wenige Zentimeter. Maya spürte die Hitze, die von seinem Körper ausging, obwohl sie sich nicht berührten.
„Ich bin Scar.“ Sein Atem kitzelte auf ihren Lippen.
„Nein“, sagte sie schlicht und musste schlucken, um den Aufruhr in ihrem Inneren zu unterdrücken. Es gelang ihr, ruhiger zu sprechen, als sie war.
„Du bist Sebastian. Und ich mache mich nicht lustig über dich, nur weil ich hinter dieser ganzen Fassade den Menschen entdecke, von dem du glaubst, dass ihn niemand sehen kann.“
„Maya, dieser Mensch ist tot.“ Seine Stimme war schneidend. „Dieser Mensch, mit dem du vor fünf Jahren für diese eine Nacht im Bett gelandet bist, der existiert nicht mehr.“ Jedes seiner Worte schickte einen pulsierenden Schmerz durch ihren Kopf. Maya musste sich zwingen, die Augen offen zu halten. Aber sie war noch nicht fertig.
„Doch, er existiert.“
„Und wie kannst du dir da so sicher sein?“ In seinem Blick lag etwas Abschätziges, aber auch die Verwundbarkeit, auf die Maya es abgesehen hatte.
„Weil ich wohl kaum noch am Leben wäre, würde dieser Mensch nicht mehr existieren.“ Maya sah in seinen Augen, dass sie ins Schwarze getroffen hatte.
Unter normalen Umständen hätte Maya sich schwungvoll auf dem Absatz umgedreht und hätte den Raum verlassen. Aber ihre Schmerzen verhinderten so viel Lässigkeit. Sie biss die Zähne zusammen und machte ein paar vorsichtige Schritte Richtung Schlafzimmer. Warum war es nur auf einmal so weit weg? Sie spürte, wie Sebastian sich auf sie zu bewegte, eine helfende Hand nach ihr ausgestreckt.
„Unterstehe dich“, flüsterte sie über ihre Schulter hinweg.
„Unterstehe dich, mich anzufassen.“ Langsam humpelte sie weiter. Er kam ihr nicht hinterher.
„Wir dachten schon, du tauchst gar nicht mehr auf.“ Victor saß an seinem großen, ovalen Mahagoni-Esstisch und schob seinen leeren Suppenteller zur Seite. Carl und Shorty waren wie immer mit von der Partie. Außerdem Vincent und Anatol Wodrow. Die Zwillingsbrüder waren Victors Männer für die „Aufräumarbeiten“. Zwei große, muskulöse, nahezu gleich aussehende Typen. Wie gemacht, um die Tür einer Nobeldisco zu bewachen. Aber auch schnell und effektiv. Sebastian fragte sich, warum sein Bruder sie heute dabei haben wollte. Die Zwillinge waren noch jung und erst seit Kurzem im Geschäft. Klaus Wodrow, ihr Vater, hatte vor wenigen Monaten einen Schlaganfall erlitten und war noch nicht wieder auf den Beinen. Vielleicht würde er das auch nie wieder sein. Vincent und Anatol hatten die Aufgaben ihrer Familie übernommen. Trotzdem irritierte Sebastian die Anwesenheit der Beiden. Aber wer wusste schon, was in Victors Kopf vorging? Sebastian setzte sich auf einen freien Stuhl, seinem Bruder gegenüber.
„Carl sagte: Um Acht. Es ist Acht. Ich bin hier.“
Sofort wurden wie aus dem Nichts Gläser vor Sebastian auf den Tisch gestellt. Das eine füllte sich mit dunklem Rotwein, das andere mit Wasser. Der Hausangestellte seines Bruders, der heute für die Getränke zuständig war, machte eine winzige Verbeugung und verschwand lautlos, um irgendwo im Raum auf einen erneuten Einsatz zu warten. Victor wischte sich seine Hände an der Serviette auf seinen Knien ab.
„Wie dem auch sei: Wir hatten jedenfalls Hunger und wollten nicht länger warten.“
Sebastian sah, wie Carl grinste. Sein Cousin hatte wirklich eine Vorliebe für unglaublich unnütze Spielchen.
„Es macht dir hoffentlich nichts aus“, beendete Victor seine Erklärung.
„Nein“, antwortete Sebastian wahrheitsgemäß. Ihm war ohnehin nicht nach Suppe. Stattdessen nahm er einen Schluck Rotwein. Sofort legte sich der herbe, schwere Geschmack auf seine Zunge. Es war ein guter Wein. Genauso wie Sebastian ihn mochte.
„Was gibt’s?“, wollte er wissen.
„Lamm mit Bohnen.“ Die Augen seines Bruders funkelten. „Und ich hoffe, Anita hat noch was von diesem Schokoladenkuchen.“
„Vic…“ Sebastian seufzte.
„Was denn?“ Sein Bruder warf ihm ein umwerfendes Lächeln zu. Eines von der Sorte, mit dem er die ganze Welt betören konnte.
„Es hieß, das hier wäre ein Geschäftsessen.“
„Das ist es ja auch, großer Bruder. Das ist es.“ Victor verzog die Lippen zu einem beinahe mädchenhaften Schmollmund. „Aber dass du es so eilig hast… Ich für meinen Teil hätte mich gerne erst noch ein wenig unterhalten. Du nicht?“
Sebastian zuckte mit den Schultern.
„Wenn du meinst.“ Er wandte sich an die Wodrows. „Wie geht’s eurem alten Herren? Irgendwelche Fortschritte?“
Es war vermutlich Anatol, der antwortete. Sebastian konnte die beiden schlecht auseinanderhalten. Und eigentlich war es ihm auch egal, wer welcher war.
„Der sitzt im Bett und pöbelt rum. Mama ist schon ganz fertig. Nicht wegen der Pöbelei, das ist sie ja gewohnt. Aber sie versteht ihn einfach nicht mehr. Er lallt nur noch!“ Und dann machte er ihnen vor, wie Klaus Wodrow, den Mundwinkel herabhängend, in der Gegend herumbrüllte. Shorty fiel fast vom Stuhl vor Lachen und kriegte sich erst wieder ein, als das Lamm serviert wurde.
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