Im Haus stank es bestialisch. Die Feuerwehrleute setzten ihre Sauerstoffmasken auf, aber Barnes Leute hielten es nicht lange aus. Sie verließen das Manor um 18.41 Uhr.
Von da an galt für Barnes Cassandra Moon inoffiziell als vermisst. Einen Tag später erfuhr Barnes, dass Nick Shelton sie wahrscheinlich begleitet hatte, und von da an wurden beide offiziell vermisst.
Die Suche ging weiter, aber Ron Hausers, Cassandra Moons und Nick Sheltons Verbleib blieb ungeklärt.
Was blieb, waren eine Stadt in Angst (vielleicht hat sie ja ein Psychopath geholt) und zwei Jugendliche, Toby Carlton und Nora Rivers, die nicht wussten, wie ihr Leben weitergehen sollte.
Die Geschichte schien ein Ende gefunden zu haben.
3
...aber auf irgendeine Weise geht es immerfort weiter. Immer . Und für jeden. Ohne Ausnahme.
Jede Straße, die nicht zu Ende gebaut... Jede Brücke, die eingestürzt... Jedes Leben, das beendet...
...setzt sich fort.
Die Straße wird zum Feldweg... Die Brücke führt hinab zum Fluss... Das Leben... nun, das Leben...
Seht selbst.
Hier kommt der...
Cassandra Moon war ein menschgewordener Dadaismus. Ihr Körper war reine Dadarchie. Sie war eine 1000-Watt-Birne geschraubt in den salzigen Sockel des grundlegenden Seins. Ihre Füße standen bis zum Hals in galaktischen Weißen Löchern. Ganze Galaxien flogen durch ihre gläserne Stirn wie winzige Partikel, die man mit 160 Stundenkilometer Zeitlupe ausniest. Die Ursuppe, die gestern noch die gesamte Schöpfung enthielt, brandete aus ihrem grotesken Clownsmund, wie rotgrüne Götterspeise mit bitteren Marshmallows. Rotgrün blau gepunktet mit violetten und orangenen Partikeln dazwischen. Sie erbrach ein Kreaversum nach dem anderen, und dann Myriaden, die davonwirbelten wie Spermien in einem Geysir. Es war ein schmerzhafter Prozess, die gesamte Schöpfung durch das umgestülpte Nadelöhr namens Cassandra zu pressen. Die Wehen waren unerträglich. Sie schossen aus ihr heraus, wie rote Luftschlangen in den Weltraum hinausschießen. Wo sie auf winzige dümpelnde Galaxien trafen, brachten sie unaussprechliches Leid. Cassandra war Gott und Teufel zugleich. Schöpfer und Leidbringer. Oder beides. Sie war eine Erbrochenes stotternde Missgeburt im Arsch des maximalen Ultiversums. Sie schrie. Sie schrie. Sie schrie wie ein enthauptetes, hartgekochtes Ei. Sie schrie, dass die Kadaver nur so aus ihrem Mund spritzen in ihr neu erschaffenes Kadaversum aus toten Sonnen und toten Felsbrocken und toten Bewohnern. Willkommen in der Zombiewelt. Ihre Gedanken flogen auf wie Krähen, und ließen einen Krumen fallen: Es ergibt zu viel Sinn!
Ihr gläserner Kopf spülte ihre Gedanken den Rachen hinunter, und sie erkannte, dass Ordnung nicht aus Chaos entstand. Ordnung und Schöpfung waren auch nicht das Gegenteil von Chaos. Nein, Chaos war Ordnung. Es gab nur das eine. Wenn Chaos nur chaotisch genug war, dann trafen sich irgendwann durch Zufall geordnete Strukturen, denn es fehlte an einer Kraft, diese Ordnung zu zerstören. Genau wie es an einer Kraft fehlte, die Ordnung herstellen könnte. Es gab weder Gott noch Teufel, erkannte Cassandra. Irres Kichern drang aus ihrem Mund und zerschnitt ganze Galaxien in der Mitte.
Gott ist tot , dachte Cassandra.
Der Teufel ist tot.
Ich bin tot.
...
...
Aber ist das auch wahr?
Wäre es nicht möglich...
Wäre es nicht möglich, dass das Gegenteil zutraf? Nicht das einfache Gegenteil, sondern das Supergegenteil?
Wäre es möglich, dass alle Lebewesen Götter sind? Wirklich alle? Mikroben? Würmer? Tintenfische? Ziegen? Menschen?
Gott?
Ist Gott ein Gott?
Willkommen im Reich des G.O.T.T., des universalen Künstlers.
Oh...
...konnte es sein...?
...konnte es sein, dass Gott ein Dadaist ist ist ist i st ist
...dass seine Schöpfung aus zufälligen geordneten Strukturen seines Chaos besteht? Dass er sogar die Dinge erschaffen hat, die nicht existieren?
Und mit diesem Gedanken löste sich Cassandra Moon vollständig auf und flog geordnet dem Schoß ihrer eigenen Geburt entgegen. Und während sie durch den hypergalaktischen Abfluss der Schöpfung gespült wurde, wie jemand, der im neunten Monat abgetrieben wird, schrien hinter ihr dutzende Galaxiesupercluster nach Vergeltung an dieser Vergewaltigerin ganzer Welten.
Teil II: Ein Ungleichgewicht und die Harmonie daraus - Kapitel 7: Geburt
1
Zuerst war da nur ein leiser Schrei im Dunkeln. Weit entfernt und unbeachtet. Ein bedeutungsloser Makel in der wattigen Dunkelheit, die so wohlig war wie der tiefste Schlaf an einem sorgenfreien Sonntagmorgen.
Aber der Schrei blieb nicht leise. Wie sie es so an sich haben, werden Schreie lauter, wenn niemand da ist, sie zu hören. So auch dieser.
Wenn ein Schrei nur laut genug ist, wird er gehört. Das lernen Kinder als erstes.
Und wenn sie es als Erwachsene vergessen, passieren manchmal Katastrophen. Dann werden Schreie so laut, dass sie Gewehrfeuer gleichen.
Und sie gebären neue Schreie. Geburt durch Ansteckung.
Angst und Schrecken gebären Angst und Schrecken.
Und manchmal gebären sie ein neues Bewusstsein. Ein Bewusstsein, sie zu hören.
Cassandra Moon schrie. Sie schrie wie alle Neugeborenen.
Sie schrie, um zu atmen.
Sie schrie vor Schmerz.
Sie schrie in Erinnerung an ihren Tod.
Sie schrie in WÜTENDEM TRIUMPH!
Ihre Finger. Sie stießen durch die dünne Schicht trockenen Laubes, bevor sie sich in die fruchtbare Erde darunter bohrten. Eine letzte Wehe bäumte Cassandras Körper empor, so dass nur Kopf und Fersen sie trugen. Mit einem Paukenschlag nahm das Herz die Arbeit auf und pumpte heißes Blut durch jede Arterie, jede Vene und jeden einzelnen Kapillar ihres Körpers. Die Nervenbahnen sandten eine Sturmflut an rotem Rauschen und irrwitzigem Schmerz aus, überboten sich an Dringlichkeit und Intensität in dem Begehren ihre Signale mit der höchsten Priorität zu versenden. Jede Muskelfaser in Cassandras Körper verkrampfte sich und bewahrte sie in letzter Instanz davor, ihren Darm auf der Stelle zu entleeren. Einen endlosen Moment lang verharrte sie in diesem gespannten Bogen, bevor mit einem Mal jedes Signal verlöschte, und sie zurück auf den Boden fiel. Kalte Luft strömte in ihre Lungen. Und strömte heiß heraus. Sie öffnete die Augen und blinzelte im hellen Licht.
Es bereitete ihr Schwindel, sich auf die Beine zu erheben. Tränen verschleierten ihr den Blick, und verhinderten, dass sie mehr sah, als den Boden zu ihren Füßen. Es brachte Cassandra bis an die Grenze der Erschöpfung, sich auf wackligen Beinen vorwärts zu bewegen, in dem Bemühen, sich auf die nächstbeste Erhebung zu setzen. Dem Geräusch nach zu urteilen, das ihre Füße bei jedem Schritt erzeugten, bewegte sie sich durch trockenes Blattwerk. Mit den Schweißbändern an ihren Handgelenken wischte sie sich die Tränen fort, und tatsächlich lief sie durch knöchelhohes, rostrotes Laub. Drei Schritte weiter fand sie einen stufig abgesägten Baumstumpf, auf den sie sich setzte. Sie vergrub die Hände unter den Achseln, und zitterte hemmungslos.
Nach einiger Zeit, sie wusste nicht wie lange sie auf dem Baumstumpf gesessen hatte, schöpfte sie genug Kraft, den Kopf zu heben und sich umzuschauen.
Hier lag eine Menge Laub. Es bedeckte jeden Flecken Erde, den Cassandra sehen konnte. Ein Blick in die Runde, und sie stellte fest, dass sie am Rand einer künstlichen Lichtung saß, die inmitten eines Birkenwaldes geschlagen worden war. Rechts von ihr erhoben sich die silberweißen, dünnen Stämme der kahlen Birken. Der Wald musste sehr tief sein, denn obwohl die einzelnen Stämme weit auseinander standen, konnte Cassandra zwischen ihnen nur endlose Reihen weiterer Birken sehen. Sie erstreckten sich bis in silbrige Endlosigkeit. Dazwischen war der Boden übersäht von Rot und Orange. Übersäht von trockenem Laub.
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