Die beiden Männer traten zu ihr. Melia drehte sich um und deutete nach vorn. „Da! Seht ihr den großen Felsen auf der rechten Seite. Vielleicht eine Meile entfernt?“
„Ja!“ sagte Kalipos nach einem Moment des Suchens.
Nimas nickte mit einem Brummen. „Ich bin ja nicht blind!“
Melia überhörte diese Bemerkung einfach. „Etwas weiter links gibt es zwei kleinere Erhebungen. Sie sehen aus wie...!“ Sie suchte nach dem richtigen Vergleich. „...Brüste!“
„Brüste?“ Nimas verzog das Gesicht.
„Ja!“ Melia nickte. „Frauenbrüste halt!“
Nimas und Kalipos schauten angestrengt. Schließlich nickte Kalipos.
Nimas brummte nur unzufrieden. „Ich sehe nichts!“
„Doch!“ beharrte Melia. „Sie sind da! Du bist doch blind!“ Sie grinste. „Also. Das ist unser Ziel. Eine Meile, mehr oder weniger. Dann sind wir am Ziel. Okay?“
Kalipos nickte und Melia war zufrieden. Sie drehte sich zu Chalek, gab ihm einen leichten Kuss auf die Stirn und deutete ihm an, weiterzugehen.
Kalipos wollte ihnen folgen, doch er sah Nimas finsteres Gesicht.
„Titten!“ Er schüttelte den Kopf. „Pah!“
„Hast du ein Problem damit?“ zischte der Anführer im Flüsterton.
Nimas wollte schon etwas Zorniges erwidern, doch Kalipos Blick war eiskalt und steinhart. „Nein!“ sagte er schließlich. „Kein Problem!“
„Dachte ich es mir doch!“ Kalipos grinste kurz breit, dann wurde er wieder ernst. „Wäre mir ansonsten eine Freude, dich abzulaschen!“ Nimas hielt seinem Blick nur einen Moment Stand, dann begann er zu blinzeln, weil er merkte, dass sein Gegenüber es ernst meinte. „Und jetzt los, Mann!“ Er gab Nimas einen Schubs, woraufhin der brummte, sich dann aber umdrehte und wortlos hinter Melia und dem Jungen herging.
Kalipos folgte ihm dichtauf. Als er sicher war, dass ihn niemand mehr ansah, wurde das Gesicht des Anführers sorgenvoll und skeptisch. Denn wenn er ehrlich war, hatte er Melias Brüste nicht wirklich dort ausmachen können. Doch das behielt er für sich, war sich aber nicht mehr sicher, wie lange sein Vertrauen in Melia und den Jungen seine Zweifel noch unterdrücken konnte.
*
„Schläfst du?“ fragte Vilo und schaute verstohlen zu Mavis hinüber. Sein Freund saß tief in seinen Sitz gedrückt, hatte sich seit geraumer Zeit nicht mehr bewegt und sein Atem ging regelmäßig, tief und langsam. Doch als Vilo sein Gesicht im Profil sehen konnte, waren Mavis Augen geöffnet.
„Was?“ erwiderte sein Freund, allerdings eine Spur zu laut und zu mürrisch. Deutlich konnte Vilo die Irritation im Blick des Anderen sehen. Mavis öffnete seine Augen übergroß, richtete seinen Oberkörper mit einem kurzen Ruck auf und saß dann wie erstarrt da. „Schlafen? Bist du verrückt?“ Doch schon im selben Moment gähnte er lautstark bis über beide Ohren.
Vilo grinste breit und nickte. „Du Lusche!“
„Alter, halt bloß dein Maul!“ zischte Mavis etwas gereizt. „Du hast gerade noch einen gut bei mir!“ Er schaute Vilo mit verzogenen Mundwinkeln an.
„Aber geschlafen hast du doch!“ Vilo ließ sich seine gute Laune nicht verderben.
„Das war reine Augenpflege!“ wand sich Mavis. „Schließlich bin ich hier der Boss und du nur der Fahrer!“
„Aha!“ Jetzt rümpfte Vilo doch die Nase.
„Und als Boss bin ich in mich gegangen und habe über unsere Mission nachgedacht!“
„Blödmann!“ Vilo lachte verächtlich auf. „Du warst im Wald und hast die Säge angehabt!“
„Was habe ich?“
„Geschnarcht, Alter. Das hast du!“
„Pah!“ Mavis lachte ebenfalls auf, doch sein Blick war alles andere als selbstsicher. „Hab ich gar nicht!“
„Naja, aber fast!“ lenkte Vilo ein.
„Sag ich doch!“ Mavis war wieder zufrieden.
„Aber hör mal... Boss !“ Vilo betonte das letzte Wort wenig freundlich. „Wenn du nicht geschlafen hast, sondern über unsere Mission nachgedacht, ist dir dann wenigstens was Sinnvolles eingefallen?“
„Ähm...?“ Mavis war sichtlich irritiert. „...sollte es?“
Vilo wiegte den Kopf mit verkrampfter Miene. „Eigentlich schon!“
„Inwiefern?“
„Na, falls es dir noch nicht aufgefallen sein sollte. Du warst gute vier Stunden weg!“
„Was?“ Jetzt war Mavis sichtlich geschockt. Ein kurzer Blick auf die Uhr aber sagte ihm, dass Vilo nicht gelogen hatte. „Aber...!“ Er pustete die Luft in die Wangen. „Scheiße!“
„Du sagst es!“ Vilo nickte.
„Wo sind wir jetzt?“
„Fast da!“ erwiderte Vilo trocken. „Also zumindest kurz davor. Ich schätze, noch etwa eine Stunde!“
Mavis überlegte und wiegte den Kopf hin und her. „Okay! Das ist doch prima. Wo ist jetzt dein Problem?“
„Mein Problem ist, dass ich Gesellschaft brauche, sonst penne ich dir hier auch gleich weg!“
„Dann hilf dir selber!“ gab sein Freund lasch zurück.
„Und wie?“
„Sing dir ein Lied!“ Mavis zuckte mit den Schultern. „Spiel an dir rum! Aber lass mich gefälligst in Ruhe weiterarbeiten!“
„Wage es ja nicht, wieder die Augen zu schließen!“
Mavis verzog das Gesicht und atmete tief durch. „Mimose! Aber gut. Worüber möchte der Herr sich denn mit mir unterhalten?“
„Über unsere Mission!“ erwiderte Vilo etwas genervt.
„Was ist damit?“
„Wir brauchen einen Plan!“
„Ich dachte...!“ Mavis zog die Augenbrauen zusammen. „Hatten wir denn keinen?“
Vilo schüttelte mit ernster Miene den Kopf. „Ich glaube nicht!“
Plötzlich wurde Mavis wieder locker. „Na, aber das ist doch prima!“
„Was bitte schön soll denn daran prima sein?“
„Dann hast du ja was zu tun! Denk dir einen schlauen Plan aus und lass mich in Ruhe!“
Doch Vilo schüttelte den Kopf. „Ich bin nur der Fahrer ! Für so wichtige Dinge ist ja wohl der Boss zuständig!“
Mavis verzog sofort das Gesicht. „Mist!“ raunte er säuerlich, aber als Vilo siegessicher grinste, meinte er. „Also gut. Wie wäre es damit: Wir wissen, wo wir hinmüssen. Du bringst uns dahin, wir schauen uns um, finden den Kristall, nehmen ihn an uns und machen uns wieder aus dem Staub!“ Jetzt grinste Mavis.
„Was?“ Vilo war nicht begeistert.
„Klingt für mich doch wie ein kleiner, sauberer, erfolgreicher Plan!“
„Ich dachte immer, du stehst nicht auf kleine, saubere, erfolgreiche Pläne, sondern eher auf die grobe, irre und panische Variante!?“
„Was soll das denn heißen?“
„Nichts!“ Vilo merkte sofort, dass sein Scherz nicht gefunkt hatte.
„Stimmt nämlich auch nicht!“ meinte Mavis. „Eigentlich würde ich gern irgendwo am Strand in einem Liegestuhl sitzen zusammen mit...!“ Er verstummte und sein Blick wurde traurig.
Vilo wollte ihm schon etwas Aufmunterndes erwidern, doch er wusste, dass er das nicht konnte. Also beschloss er, das Thema wieder zu wechseln. „Was also schlägst du vor?“
Mavis reagierte einen Moment lang nicht, dann atmete er tief durch und schaute seinen Freund mit klarem Blick an. „Dass du uns an die Oberfläche bringst!“
„Und dann?“
„Holen wir uns über das Langstreckenradar die brandheißen News von der tibunischen Küste!“
*
Chalek trat aus dem kleinen Waldstück, durch das sie sich in den letzten zehn Minuten gekämpft hatten, hinaus auf einen kleinen, flachen Felsvorsprung. Der Boden im Wald war steil und zerklüftet gewesen. Sie konnten nur langsam und mit größter Konzentration agieren und es kostete allen viel Kraft.
Der Junge atmete daher mehrmals tief ein, um zu verschnaufen, doch als er auf das blickte, was sich links vor ihnen auftat, huschte ein breites Lächeln auf sein Gesicht.
Melia kam einige Sekunden nach ihm aus dem Wald. Auch ihr Atem ging schwer. Deutlich stand ihr der Schweiß auf der Stirn. Sie japste mehrmals, beugte sich nach vorn und stützte ihre Hände auf ihre Oberschenkel. Während sie so verschnaufte, konnte sie hören, wie Nimas mit mürrischem Brummen hinter ihr auftauchte. Ihr war sofort klar, dass er spätestens jetzt wieder nicht mehr an sich halten konnte und schimpfen würde. Sie hob ihren Kopf und warf Chalek einen Blick zu, um ihn darauf vorzubereiten. Doch als sie das breite Grinsen in seinem Gesicht sah, stutzte sie.
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