Eine Traumfrau mit exzellenten Beziehungen. Eine Profi-Lektorin, die ihrem Verlag und sich selbst zu tollen Erfolgen verholfen hatte. Eine reiche junge Dame, die später die Wirtschaft am Lago Maggiore ankurbelte.
Eine Kulturschaffende, die Talenten zum Durchbruch verholfen hatte, den diese niemals von sich aus erreicht hätten. Eine Geburtshelferin guter Literatur. Eine Muse.
Was kann eine Frau mehr tun, als gute Bücher an die Öffentlichkeit zu bringen und damit die Welt ihrer Vollendung ein Stück näher zu bringen?
* * *
Wie trist ist dagegen die Arbeit der Polizei! Statt dem Guten, Schönen und Wahren (ersatzweise: Baren) hinterherzujagen, muss sie im Kot der Gesellschaft wühlen. Sie muss denen folgen, die gegen die Regeln verstoßen.
Sie kann die grauenhaften Dinge, die sich die Gesellschaft antut, nur selten verhindern; sie muss hinter der Gesellschaft aufräumen und die Missetäter aus dem Verkehr ziehen. Arme Kerle, diese Müllmänner des sozialen Drecks.
Hart arbeiten, schlecht bezahlt werden und das für den Preis kaputter Familien. Das ist das Los eines Polizisten.
Die Gesellschaft setzt sich Regeln, die Polizei muss sie durchsetzen. Sie muss den Verkehr regeln. Sie muss häusliche Gewalt mitansehen und die Folgen erklären. Sie muss nach all denen suchen, die den Regeln und Menschen Gewalt antun.
Sie muss Berichte schreiben. Sie muss in Sitzungen zuhören. Sie muss Diagramme an die Wand malen. Fotos und Spuren suchen. Sie muss schon wieder irgendwohin fahren, nachts, während der Ehepartner weiter schlummern darf, was früher oder später unweigerlich zu Krisen führte.
Sie muss sich anschießen lassen. Sich von Demonstranten in die Eier treten lassen. Mit Farbbeuteln bewerfen lassen.
Sie muss in jede stinkende Ecke des Landes schauen, die Toten begutachten, die Vergewaltigten in die Klinik bringen, den Betrügern das Handwerk legen. Sie alle auf frischer Tat ertappen, was niemals wirklich gelingt.
Die Polizei kann nur hinter dem Verbrechen hinterherräumen. Müllmänner.
Die Polizei, wir sagten es bereits, muss in der Scheiße der Gesellschaft wühlen und daraus die ganz schlechten Elemente aussortieren. Kein Job, den man sich freiwillig heraussuchen würde.
Wir alle sitzen lieber auf dem Sofa oder liegen im Bett und sind heilfroh, dass uns nichts zustößt, geben wir’s doch zu! Ein bisschen Gruseln als Beitrag zur sozialen Sicherheit. Reicht das? Geben Sie doch bitte mal etwas von all dem Guten weiter, das Ihnen widerfährt.
Trotzdem, bei all der Öde, all dem Grauen, all dem Unrat: Es gibt sie, die Polizisten, die hartnäckig dafür sorgen, dass alles seinen (in Violas Fall: ihren) Richter findet. Sie machen ihren Job.
Es gab einen, der tat das sogar gern. Auch wenn er den Fall, der ihn zum Schluss zu Viola Kroll führen sollte, liebend gern abgegeben hätte, weil er Wichtigeres und Besseres zu tun hatte.
So glorreich und strahlend Violas Karriere war, so schön ihr Leben verlief, beendet wurde beides durch die hart arbeitende, gestresste und todmüde Polizei, von der sie Welten trennte.
Ein alter, müder Mann und ein unerfahrener, naiver Jungspund weigerten sich, einfach so aufzugeben. Wie fade, wie schade, dass so ein wunderbarer Weg wie der von Viola Kroll, gesch. Wunderlich, durch solch triste Polizeiarbeit zu Ende kommen sollte!
Die Polizei brauchte eine Weile, bis sie dort war, wo sie hinwollte. Anfangs war sie Lichtjahre hinter Viola zurück.
Mit der Zeit und mit viel Geduld holte sie auf. Wir tauchen jetzt ein in den langweiligen und mühsamen Kosmos der Polizei und begeben uns auf die Spuren eines Killers, der die Polizei zu Viola Kroll führte: Gerd von Witzleben alias Gerd Winzmann (neben weiteren Pseudonymen, denen wir noch begegnen werden).
Der hatte einen Mann auf dem Gewissen, der eine Freundin bei der Polizei hatte. Diese Freundin hatte ein hohes Tier bei der Polizei zum Ehemann. Dieser Mann, Polizeioberrat Dr. Klose aus Hamburg, brauchte einen Dummen, der ihm die bohrenden Fragen seiner Gemahlin beantworten half.
Er fand einen Jungspund, der ganz andere Dinge im Sinn hatte. Er wollte bei seiner Freundin sein, die mit Zwillingen von ihm schwanger war und die einen eigenen Fall für ihn hatte, der ihn viel mehr interessierte.
Der junge Mann, Lukas Jansen, hatte kaum Erfahrung, und wollte Dr. Kloses Anliegen so schnell wie möglich wieder loswerden. Und ausgerechnet der sollte unserer Viola Kroll gefährlich werden?
Beginnen wir wie immer am Anfang.
Der Auftrag
An einem Montag hatte die Einsatzleitung in Kiel etwas für den jungen Lukas Jansen. Er sollte sich doch bitte um eine Vermissten-Anzeige kümmern. Die Kieler Polizei hatte alle Hände voll zu tun, die erfahrenen Kollegen wurden anderswo gebraucht.
Zu allem Überfluss stammte der Vermisste aus Hamburg, nicht aus Schleswig-Holstein. Allerdings lag der Verlag, in dem er arbeitete, in Reinbek, also in Schleswig-Holstein, wenn auch gleich hinter der Grenze zu Hamburg.
Jansen wurde seitens der Landespolizei Hamburg kooptiert, hatte ihm der Einsatzleiter erklärt. Was hieß, dass die Hamburger keinen anderen Dummen für den Job gefunden hatten, wie ihm sein Kumpel Onno auseinandersetzte.
Jansen musste sofort los. Es gab einen Zeugen. Dieser Mann war der letzte, der den Vermissten gesehen hatte. Der eigentlich dafür zuständige Beamte war allerdings seit zwei Tagen in Urlaub. Zur Seite würde Jansen eine erfahrene Polizeimeisterin stehen, Frau Mertens, eine etwas korpulente und unattraktive Mittvierzigerin.
Der Hamburger Vermisste war ein bekannter Lektor von einem ebenso berühmten Verlag aus Reinbek. Nachdem er sich ein paar Tage im Dienst auffällig verhalten hatte, schroff, desinteressiert und lustlos, hatte ihm sein Chef ein paar Tage Urlaub verordnet. Den hatte er überzogen, was bis dahin nie vorgekommen war.
Wohin er gefahren war, wussten weder seine langjährige Freundin noch Kollegen oder Chef.
Zu guter Letzt war er in die Firma zurückgekehrt, mit einem schweren Kopfverband, und mit einer Anzeige gegen ihn wegen schwerer Körperverletzung, die er auf Sylt begangen haben sollte.
Dr. Golz, so der Name des Cheflektors, hatte sich noch unzugänglicher und schroffer als vorher gezeigt. Er war uneinsichtig, grob und gemein und hatte sofort gekündigt, als sein Chef ihn freundlich und nachsichtig an seine Arbeit erinnert hatte. Und an seine Freundin Renate, die Golz komplett links liegen gelassen hatte.
Dann verschwand der auch außerhalb des Verlagswesens sehr bekannte Lektor und tauchte nicht wieder auf.
Normalerweise hatte er täglich Kontakt zu wichtigen Persönlichkeiten gehabt. Er sprach mit anderen Verlagen, saß in Talkshows, trat bei gehobenen literarischen Zirkeln auf.
Dr. Golz fand man bei nahezu allen wichtigen Kulturveranstaltungen der Stadt Hamburg, zusammen mit vielen Freunden aus den besseren Kreisen der Stadt. So jemand wie er verschwand nicht einfach so.
Unter seinen Bekannten befand sich ein Kriminaloberrat der Stadt Hamburg, und den hatte nach einigen Tagen Golzens Freundin angesprochen, Renate Schiller, die Nachfahrin eines in der Stadt sehr beliebten Politikers, die den Oberrat und seine Frau sehr gut kannte.
Viel hatte der junge Polizist nicht. Er wusste, dass Golz sich auf Sylt in einem Szene-Lokal danebenbenommen hatte. Er hatte trotz Verbotes geraucht – als Nichtraucher, wie seine Freundin erstaunt kommentiert hatte – und einem Mann, der ihn auf die Verbotsregelung hingewiesen hatte, mit einem brutalen Faustschlag die Nase gebrochen.
Golz war kein Schwächling. Er hatte in seiner Jugend als Hobby-Sportler geboxt, in derselben Halle, wo Max Schmeling früher trainiert hatte. Der Freund des Opfers hatte ihm aus Notwehr von hinten eine teure Weinflasche übergezogen, Golz war schwer verletzt im Krankenhaus gelandet. Von wo er bald wieder abgehauen war.
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