Sie riss die Augen auf und fing wieder an zu würgen. Um nicht auf ihre Beine zu kotzen, richtete sie sich auf und schleppte sich um die Ecke zum Eimer.
»Deine Wohnung biete ich über Airbnb auch gerade zur Vermietung an«, fuhr ich fort, während sie in den Eimer spuckte. Es klang erbärmlich. Es kam wohl nichts, aber würgen musste sie trotzdem. »Und deinen Freunden habe ich Nachrichten geschickt, dass du einen tollen Typen kennengelernt und mit ihm auf und davon bist. Nach Thailand.«
Sie hatte aufgehört, ihren leeren Magen auszuquetschen. Stattdessen hörte ich es unter ihrem enttäuschten Stöhnen nun munter plätschern.
»Stimmt ja irgendwie auch. Du hast ja mich kennengelernt. Nur Thailand ist nicht ganz richtig.« Sie stöhnte weiter auf ihrem Eimer. »Ach ja, du hast drei Wochen Urlaub genommen. Ist sogar schon bewilligt.«
Ihr Handy war kaum gesichert gewesen. Nur durch den Fingerabdruck und ihr Geburtsdatum. Das hatte ich alles bereits geändert. Aus ihrer Wohnung hatte ich nur ihren Laptop und eine Reisetasche mit den üblichen Klamotten mitgenommen, nachts um drei. Und ihre Handschellen, mit denen ich sie gefesselt hatte.
Ich hatte mit ihrem Handy noch ein paar Fotos gemacht, die ich von ihrem Laptop aus auf Airbnb eingestellt hatte. Wegen Urlaub zu vermieten. Schlüsselübergabe nach Zahlungseingang über PayPal, hatte ich dazugeschrieben. Bei ihrem Laptop hatte ich mich auch nicht anstrengen müssen, ihre Passwörter zu knacken. Die hatte sie alle auf dem gleichen Handy gespeichert, in einer simpel verschlüsselten Word-Datei.
Von ihr kamen immer noch unschöne Verdauungsgeräusche rüber. Sie hatte lange ausgehalten, und das mit schlimmem Durchfall, so wie es klang. Aber irgendwann verlangt die Natur ihr Recht.
Sie abzufischen war ein Kinderspiel gewesen. Sie ging nach Feierabend immer durch den Englischen Garten und nahm danach ein Taxi, wenn eines da war. Sonst nahm sie den Bus. Ich hatte mir in der Nacht davor ein ausgemustertes Taxi vom Parkplatz eines Taxi-Unternehmers und falsche Nummernschilder besorgt, und ich war zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen.
Mit der gleichen Hand, mit der ich ihre Tür im Taxi zugezogen hatte, hatte ich ihr den Wattebausch mit Chloroform auf Mund und Nase gedrückt. Dann hatte ich sie hierhergebracht und ihr etwas Stärkeres gespritzt. Angesehen hatte sie mich beim Einsteigen nicht. Taxifahrer sind für die meisten Nobodys, und für eitle Lektorinnen allemal.
Während sie bewusstlos im Keller lag, hatte ich das gestohlene Taxi zurückgebracht und alles so wiederhergestellt, wie es vorher gewesen war. Und ihre Wohnung betreten und das mitgenommen, was mir brauchbar erschienen war, nebst den Fotos für die Vermietung.
Die sonstigen Vorbereitungen für ihren Abgang hatte ich auch von dort aus erledigt.
Sie war fertig mit ihrem Geschäft und stand wieder vor mir, halbnackt und erbärmlich zusammengekrümmt, vor Scham und Erniedrigung, den Eimer noch in der Hand. Sie wirkte hilflos.
Aber dieser Eindruck täuschte, und genau das musste sie beabsichtigt haben.
Sie war alles andere als hilflos. Mit einem heiseren Schrei stürzte sie auf mich zu, riss den Eimer hoch und schüttete das Gemisch aus Erbrochenem, Durchfall und Urin in meine Richtung.
Es war zu spät, um ganz auszuweichen, und den Eimer, den sie hinterhergeworfen hatte, bekam ich auch noch an den Kopf. Jetzt war ich es, der würgen musste, während ich zur Seite stolperte. Sie hatte die Überraschung auf ihrer Seite, und sie nutzte den Schwung, um an meiner Skimütze zu zerren.
Sie riss sie mir vom Kopf, wobei ich halb froh war, weil sie stank, und zur anderen Hälfte aufgebracht, denn jetzt konnte sie mein Gesicht sehen. Aber bevor sie mich ansah, zog sie die rotlackierten Fingernägel ihrer anderen Hand durch mein Antlitz, wohl um mir die Augen zu beschädigen.
Das war gar nicht nach Plan gegangen. Das hatte ich von meiner Güte, dachte ich, während ich mich fing und sie gleich darauf im Nacken packte, umdrehte und wie eine zappelnde Katze von mir weg in die Luft hielt.
Überall klebten jetzt ihr widerlich süßes Mädchenpipi und ihr Dünnpfiff auf meiner Kleidung. Das hatte ich so nicht geplant, Sachen zum Wechseln hatte ich nicht mit. Ich musste das waschen, und die einzige noch funktionierende Wasserquelle war das Waschbecken hier unten.
Ich war mir nicht sicher, wieviel sie von meinem Gesicht gesehen hatte. Es war nur ein ganz kurzer Moment gewesen, bevor ich mir sie geschnappt hatte. Sie strampelte und keifte, aber ich musste überlegen, was ich jetzt weiter mit ihr machen sollte.
Als erstes nahm ich mit der anderen Hand meine besudelte Mütze wieder auf und zog sie mir übers Gesicht. Sie stank erbärmlich, aber mir war wichtiger, meine Identität zu schützen.
Ich drückte die Frau wieder auf ihr Lager und kniete mich auf ihren Rücken, so dass ich ihr die Hand- und Fußfesseln wieder anlegen konnte. Ich griff zur einer Rolle Isolierband, riss ihr den Kopf nach hinten und verschloss ihr den keifenden Mund und ihre Augen mit zwei dicken Streifen. Ich musste mich jetzt erst mal um mich selbst kümmern.
Ich zog mir am Waschbecken die stinkenden Sachen aus und wusch sie mit der Flüssigseife aus dem alten Industriespender an der Wand. Das musste reichen. Aber in meiner Unterwäsche wollte ich mich ihr nicht zeigen. Die war noch von der Bundeswehr, ein weiteres Erkennungsmerkmal. Ich würde oben den alten Holzofen anmachen und die Sachen darüber trocknen.
Bevor ich wieder nach oben ging, stülpte ich ihr den Eimer über ihren Kopf. »Damit du auch in den Genuss deiner süßen Säfte kommst, mein Honigbrötchen«, sagte ich ihr und ging.
Ich musste jetzt warten, bis meine Sachen wieder trocken waren. Ich wollte nicht, dass sie mehr von mir sah als den flüchtigen Anblick aus der Bewegung heraus. Ich brauchte meine Sachen dazu. Außerdem wollte ich diesen widerlich süßlichen Geruch loswerden.
Das gab mir ausreichend Zeit, mich um den nächsten Textteil zu kümmern, den ich als weitere Leseprobe an Frau Herzog senden wollte.
Kapitel 6
Leseprobe für Frau Herzog
Lektorkiller
In der Dienststelle hatten ihre beiden Assistenten, KK Florian Wedemeyer und Emma Epstein, alles zusammengetragen, was sie über die Tote herausbekommen hatten. Monika Segers war eine angesehene Lektorin in einem bekannten Essener Verlag. Unverheiratet, 33 Jahre alt, mit einem Lebenswandel zwischen Lesungen, Empfängen und Ausstellungen. Ohne bekannten Partner oder Partnerin; eine Beziehungstat schied wohl aus.
Bein blätterte durch ein paar Artikel, die sie in der Zeit , der Sonntagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen und im Messeblatt der Leipziger Buchmesse veröffentlicht hatte. Sie wetterte darin gegen Literatur als Konsumartikel, als Mittel zur Unterhaltung.
Literatur sei eine Kunstform, schrieb sie wieder und wieder, nichts für den alltäglichen Gebrauch. Es gebe keine gehobene Literatur, denn das ließe den Schluss zu, es gebe auch niedere Literatur, aber das sei bestenfalls Unterhaltung, nicht Kunst. Ein Unterschied wie Schlagermusik und Beethoven.
Keine Literatur ohne Ästhetik, ohne Sinnhaftigkeit, ohne moralische Botschaft oder doch zumindest eine Lehre über Gesellschaft und Kultur. Bücher minderer Qualität zu drucken sei das gleiche wie der Druck von Werbezeitschriften: ein Frevel an der Natur, an wertvollen Bäumen, die für Schund ihr Leben lassen müssten. Wider die U-Literatur!
Bein stieß auf Beschreibungen wie Stilikone und Kulturbotschafterin, wenn von Segers die Rede war. Offenbar war sie eine wichtige Person in ihrem Beruf und Umfeld gewesen.
Nur gab ihm das nichts, um den Mord an ihr aufzuklären.
In der Redaktion hatte sie keine Feinde. Sie wurde entweder angebetet oder gefürchtet, aber von allen respektiert. Das und noch mehr hatte Emma Epstein am Telefon herausgefunden. Ihre Nachbarn kannten sie kaum; mehr als ein paar Worte hatte sie mit keinem gewechselt, aber alle beschrieben sie als freundlich und unauffällig. Wo ihr nicht gehuldigt wurde, war sie ein unbeschriebenes Blatt.
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