Nach einem weiteren unauffälligen Blick zog ich den Reißverschluss der Tasche auf. Und staunte nicht schlecht, was Holger so alles mit sich führte: Zunächst jede Menge Nahrung. Vermutlich Brötchen - der Form nach - aber eingepackt in Aluminiumfolie. Dann Obst. Nun, es sprach ja nichts gegen Obst. Das war ja schließlich gesund. Sonnencreme. Auch sehr löblich. Eine Packung Tampons. Tampons? Was wollte Holger damit? Na, vielleicht für die Freundinnen. Der Mann dachte aber auch an alles! Ein Taschenbuch. Ich konnte den Titel nicht erkennen, deswegen drehte ich das Buch ein wenig herum. ‚Romantische Ärzte’ - was Holger aber auch so las. Das klang für mich eher wie ein Frauenroman. Aber vielleicht suchte er ja in dieser Literatur nur Anregungen dafür, wie er sich den Frauen gegenüber verhalten musste.
Ich beschloss der Sache hier und jetzt - also gleich - ein Ende zu bereiten. Ich brauchte ja lediglich darauf zu warten, dass Holger mit seinen Gespielinnen aus dem kühlen Nass kam. Dann die DSLR aktiviert und mit den Beweisfotos zurück ins Büro. Wer wollte da leugnen, dass Jonathan Lärpers der geborene Privatdetektiv war? Birgit der Zicke würde ich die Zunge herausstrecken.
Ich zog mich ein wenig zurück und suchte mir eine günstige Fotografierposition. Dann hockte ich mich auf den Boden. Jetzt fiel die Decke wie ein Zelt über meinen Körper und die Kamera. Lediglich mein Kopf schaute noch heraus. Die perfekte Tarnung. Wie ich feststellte, beobachtete mich jetzt ein dicker Mann. Ich ließ mir aber nicht anmerken, dass ich es bemerkte. Ein Detektiv Lärpers lässt sich nicht von seinem Auftrag ablenken!
Ich musste eine geraume Weile warten, dann tat sich etwas. Zwar war es nicht Holger Hewa, der sich da den Handtüchern näherte, sondern eine schlanke Frau Mitte dreißig mit zwei kleinen, lachenden Kindern, aber immerhin geschah jetzt etwas. Holger erstaunte mich immer mehr. Eine Frau mit zwei Kindern? Junge, war der Mann abgebrüht. Zu Hause wartete seine eigene Frau auf ihn und er vergnügte sich hier im Schwimmbad mit einer fremden Frau, die zwei Kinder hatte. Vermutlich war diese Frau auch noch verheiratet und beide gingen fremd. Er und Sie. Das würde im Büro einschlagen wie eine Bombe. Jonathan Lärpers löst Doppelfall mit dem kleinen Finger!
Jetzt aber benutzte ich erst einmal meinen rechten Zeigefinger, um den Auslöser der Kamera zu betätigen. Auch wenn Holger noch nicht bei seinen Lieben hier eingetroffen war, so sicherte ich doch schon vorab Beweise.
Gerade bannte ich den erstaunten Blick der Frau auf digitales Zelluloid, als sie bemerkte, dass das Abdeckhandtuch von ihrer Tasche nicht mehr am rechten Ort lag. Plötzlich tippte mir jemand auf die Schulter. Langsam wandte ich meinen Blick und schaute direkt in das ernste Gesicht Holger Hewas.
Holger schien sich umgezogen zu haben - daher vermutlich auch seine Verspätung - denn er trug keine Badekleidung, sondern eine weiße kurze Hose mit einem ebenso weißen T-Shirt. Den kleinen Schriftzug auf seiner Brust konnte ich nicht lesen, aber es handelte sich vermutlich um den Markennamen des Herstellers. ‚Eitel ist er auch noch’, dachte ich in Anbetracht seiner ausgefallenen Kleidung. Der Mann sah eher aus wie ein Tennisspieler, denn ein Badegast. Auch so eine Masche, um bei den Frauen besser anzukommen!
„Was um alles in der Welt machen sie da?“, herrschte er mich an. „Stehen sie doch mal auf und kommen sie mit!“ An seiner Seite befand sich der dicke Mann, der mich vorhin schon beobachtet hatte. Was wollte der Kerl von mir?
Holger zog mich zu der Frau mit den beiden Kindern hin. Zu seiner Freundin. Wollte er mir die drei jetzt vorstellen? Das wäre ja noch schöner, dann könnte ich ihn bitten, mit denen für ein Foto zu posieren. Ich musste ihm ja nicht sagen, was ich vorhatte. Aber Holger Hewa wandte sich jetzt an die Frau: „Entschuldigen sie, fehlt bei ihnen etwas? Dieser Herr hier“, er zeigte auf den Dicken, der leicht hinter mir stand, „hat beobachtet, wie dieser Mann“, jetzt zeigte er mit dem nackten Finger auf mich, „in ihren Sachen gewühlt hat.“
Ich, gewühlt? Aber Holger sprach weiter: „Überprüfen sie doch bitte, ob etwas gestohlen wurde. Geld, Wertsachen oder sonst etwas. Obwohl wir ja immer davor warnen, Wertsachen in den Taschen zu lassen.“
Die Frau sah erstaunt hoch: „Ich habe keine Wertsachen. Und mein Geld ist sicher im Schrank eingeschlossen.“ Dann wühlte sie in ihrer Tasche. „Nein, es scheint nichts zu fehlen. Wer ist der Mann?“
Holger blickte mich an: „Ja, wer sind sie? Und was machen sie hier? Mir wurde berichtet, dass sie die Tasche dieser Frau durchsucht haben und - wie ich selbst sah - sie dann auch noch fotografierten. Was soll das also?“
Der Dicke schob sich etwas nach vorne: „Ich habe den Typ schon die ganze Zeit beobachtet. Der hat sich alle möglichen Taschen und Liegeplätze angesehen. Das kann nur ein Dieb sein.“
„Ich bin kein Dieb“, protestierte ich, wurde dann aber durch das Plärren eines der Kinder unterbrochen: „Ich habe Hunger, Mama, gibt es nichts zu essen?“ Mama wühlte in ihrer Tasche und brachte zwei der silbernen Päckchen zum Vorschein. Ich musste lächeln, denn jetzt würde sich zeigen, ob meine Vermutung richtig war. Befanden sich dort belegte Brötchen drin?
Ich beobachtete aufmerksam, wie die Kinder die Aluminiumfolie abwickelten. Und wirklich! Belegte Brötchen. Siegessicher lächelte ich Holger Hewa an.
„Was grinsen sie so?“, wollte der nur wissen und schüttelte den Kopf. „Erklären sie uns lieber, wer sie sind und warum sie diese Frau hier fotografiert haben.“
Natürlich durfte ich nicht einfach so mit der Wahrheit herausrücken, das hätte Holger garantiert misstrauisch gemacht. Jetzt lag es an mir, durch geschicktes Hinterfragen weitere Informationen über sein Verhältnis zu dieser Frau zu erlangen. Ich wusste sofort, wie ich den Mann verblüffen konnte: „Sie sind Holger Hewa“, begann ich meine Ausführungen und dachte ‚eins zu null für mich’. Aber Holger winkte lediglich ab: „Seit vorne die Tafeln mit unseren Fotos hängen, kennt hier jeder unsere Namen. Ich habe sie aber nicht gefragt, wer ich bin, sondern wer sie sind. Zeigen sie mir doch einmal bitte ihren Ausweis!“
Ich schüttelte den Kopf. Soweit kam es noch, dass ein x-beliebiger Badegast meinen Ausweis zu sehen bekam. „Ich glaube nicht, dass ich ihnen den zeigen werde.“ Dieses kurze Statement musste reichen. Und wie es mir schien, hatte ich Holger damit überzeugt. Der wandte sich nämlich um und sprach in ein kleines Handy.
In Gedanken rieb ich mir die Hände. Mehrere Fotos seiner Freundin nebst Kindern, ihn eindeutig dabei erwischt, wie er sich in ihrer Nähe herumtrieb und eventuell als Zeugen noch den Dicken. Der allerdings sah mich unverwandt böse an, so dass ich diese Möglichkeit doch eher ausschloss.
„Dann kommen sie einmal mit mir“, sprach Holger mich jetzt wieder an und riss mich aus meinen Gedanken. Wohin wollte er gehen - und was noch wichtiger war: was wurde jetzt aus dem gemeinsamen Foto?
„Würden sie - bevor wir gehen - dann bitte noch für ein Foto neben ihre Freundin treten?“
Holger sah mich fragend an. Ebenso wie die Frau. Lediglich der Dicke blickte weiter böse. Dem hatte ich doch gar nichts getan. Und ihn wollte ich ja auch nicht fotografieren ...
„Jetzt reicht es mir aber, Freundchen!“ Holger klang jetzt so böse, wie der Dicke guckte. „Ich kenne diese Frau nicht. Sie kommen jetzt mit und wehe sie weigern sich!“ Was dann wäre, sprach er nicht aus. Aber so, wie ich mich kannte, würde es für diesen ‚Lust - Holger’ schlecht ausgehen. Mir konnte der Mann nichts vormachen. Kannte die Frau angeblich nicht ...
Trotzdem folgte ich ihm und fand mich kurze Zeit später in einem Raum für Bademeister wieder. Umso besser, dann würde ich hier ja wenigstens einen vernünftigen Menschen treffen, dem ich alles erzählen konnte. Der Dicke war uns ebenfalls gefolgt, stand wie ein Wachposten an der Tür und ließ mich nicht aus den Augen. Mir hing immer noch die Decke um die Schultern und es war verdammt warm. Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, am liebsten hätte ich die Decke fort gelegt. Aber ich schwieg beharrlich. Ebenso wie Holger und der Dicke. Und kein Bademeister kam. Endlich wurde es mir zu dumm: „Also, schön Herr Hewa. Jetzt sitzen wir hier und warten auf einen Bademeister. Wo bleibt der Mann denn?“
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