Alle nickten, denn den Kriminalbeamten war klar, dass man besonders bei einem jungen Opfer sehr umsichtig vorgehen musste.
Krohmer stand auf und gab somit das Zeichen, dass die Besprechung zu Ende war.
Die Kriminalbeamten waren froh darüber und konnten endlich wieder an die Arbeit gehen, auch wenn die sehr unangenehm werden würde.
„Ist es okay für dich, wenn ich mit Leo zur Schule des Opfers fahre? Toni und du könntet nochmals die Eltern und den Bruder befragen“, sagte Hans zu Diana und zeigte dabei auf Graumaier.
„Das geht für mich in Ordnung. Und Toni ist für mich kein Problem, mit dem werde ich fertig.“
„Wenn er frech wird, sagst du es mir, einverstanden?“
„Wenn er frech wird, wird er es sehr bereuen, das kannst du mir glauben.“
„Es wird Zeit, dass der Kollege Graumaier wieder geht“, sagte Eberwein zu Krohmer, als sie allein waren. „Er passt einfach nicht nach Mühldorf.“
„Ich möchte nicht, dass Sie sich nochmals in die interne Arbeit der Polizei einmischen“, sagte Krohmer, ohne auf das Gesagte des Staatsanwaltes einzugehen.
„Ich habe mich eingemischt? Was habe ich denn gesagt?“
„Bei mir dürfen alle Kollegen vorbehaltlos alles sagen und brauchen sich nicht dumm anreden zu lassen. Ich schätze einen offenen Umgang untereinander, den ich mir von niemandem kaputtmachen lasse, auch nicht von Ihnen!“
„Sie meinen diesen Undercover-Einsatz? Das war äußerst dämlich, das müssen Sie zugeben!“
„Das zu bewerten gehört nicht zu Ihren Aufgaben und das steht Ihnen auch nicht zu. Sie dürfen gerne Anregungen geben und wir werden Sie umfassend informieren, aber in unsere Arbeit werden Sie sich nicht mehr einmischen. Haben wir uns verstanden?“
„Was sind Sie denn heute so gereizt?“
„Ich bin gereizt? Sie haben hier während der von Ihnen einberufenen Besprechung zum Tod eines jungen Mädchens mit dem Kollegen Schwartz einen Streit angezettelt und massiv auf ihn eingewirkt – und das zu einem Thema, das nicht hierhergehört. Das war sehr unprofessionell, Herr Doktor Eberwein!“
„Ich fühle mich von den Journalisten in die Ecke gedrängt, vor allem von Frau Kofler. Diese Frau ist echt die Pest! Hatten Sie schon einmal mit ihr zu tun? Ich denke nicht, sonst würden Sie mich verstehen. Sie taucht überall auf und stellt mir die unverschämtesten Fragen. Denken Sie, dass sie mir auch nur einen Schritt entgegenkommt? Nein! Sie belästigt nicht nur mich, sondern auch meine Mitarbeiter. Sie hat es gestern sogar gewagt, bei mir zuhause aufzutauchen und mit meiner Frau zu sprechen. Es besteht immer noch eine Kontaktbeschränkung aufgrund des Corona-Virus. Meine Frau und ich gehören zur Risikogruppe und diese unangenehme Person taucht einfach bei mir zuhause auf! Ich finde es geradezu unverschämt, was sich Frau Kofler erlaubt! Zum Glück kam ich rechtzeitig nach Hause und konnte Schlimmeres verhindern. Frau Kofler muss gebremst werden!“
„Dann sagen Sie das ihr und nicht dem Kollegen Schwartz!“
„Sie haben gut Reden...“
„Gut, dann werde ich jetzt zu Ihrer Frau gehen und auf sie einwirken, dass sie Sie zur Vernunft bringt!“
„Was hat denn meine Frau…“
„Wenn Sie sich das ganz in Ruhe durch den Kopf gehen lassen, werden Sie verstehen, was ich damit sagen möchte. Sie haben eben betont, dass Sie zur Risikogruppe gehören. Sehen Sie zu, dass Sie sich in Sicherheit bringen. Guten Tag, Doktor Eberwein!“
Leo und Hans standen im Klassenraum der 12. Jahrgangsstufe und alle Schüler sahen sie an. Die Gesichtsmasken, die an dieser Schule Pflicht waren, gaben für Leo und Hans ein erschreckendes Bild ab. Die Kriminalbeamten hatten ihre Masken dabei, trugen sie aber nicht, da sie genug Abstand zu den Schülern und der Lehrerin hielten. Außerdem mussten sie eine Ansprache halten und gewährleisten, dass jedes Wort verstanden wurde, was ohne Maske einfacher war.
Viele Schüler hatten geweint, einige wollten Fragen stellen und reckten die Arme, andere grinsten dämlich und wollten damit ihre Unsicherheit überspielen – oder der Tod der Mitschülerin war ihnen schlichtweg egal. Da Leo im Umgang mit Jugendlichen nicht wirklich geschickt war, überließ er die Befragung vorerst Hans.
„Mein Name ist Hans Hiebler und das ist mein Kollege Leo Schwartz. Wir sind beide von der Kriminalpolizei. Wenn ihr erlaubt, würde ich vorerst noch keine Fragen beantworten, die könnt ihr uns gerne später stellen.“ Die Hände gingen wieder nach unten und ein Murmeln ging durch die Reihen.
„Welche Abteilung bei der Kripo?“, rief einer aus der hintersten Reihe.
„Mordkommission“, antwortete Hans wahrheitsgemäß.
„Die Kathi wurde ermordet?“ Die Lehrerin Brigitte Seizinger war erschrocken. Als sie ihre Frage gestellt hatte, bereute sie sie sofort, denn ihre Schüler reagierten darauf und alle sprachen durcheinander.
„Ich bitte um Ruhe!“, rief Leo, der wieder Ordnung in die Klasse bringen musste. Er hatte die lautere Stimme und die zeigte Wirkung. „Ja, wir sind von der Mordkommission, was aber nicht automatisch bedeutet, dass wir es mit Mord zu tun haben. Es ist völlig normal, dass wir bei einem vermeintlichen Suizid ermitteln. Wir wollen die Gründe für die Tat herausfinden, das sind wir der Familie und dem gesamten Umfeld der Toten schuldig. Bitte hört meinem Kollegen zu und beantwortet die Fragen.“
Sofort war es still und Hans konnte fortfahren.
„Wer von euch war enger mit Katharina befreundet?“
Alle schüttelten die Köpfe oder starrten Hans an, der darauf erschrocken reagierte. Konnte es sein, dass keiner der Mitschüler mit dem Opfer befreundet war?
„Ich habe sie manchmal mit einem Mädchen aus der 11b gesehen. Ich glaube, sie heißt Simone“, sagte ein Mädchen in der ersten Reihe.
„Hat jemand etwas gesehen oder gehört, das uns weiterhelfen könnte?“
„Die Kathi hat oft die Schule geschwänzt, die war ja kaum noch da“, sagte ein Mädchen in der zweiten Reihe.
„Ja, das kann ich bestätigen“, sagte Frau Seizinger. „Wir waren sogar gezwungen, der Schülerin einen Verweis zu erteilen, da sie nur noch selten am Unterricht teilnahm.“
„Haben Sie eine Erklärung für ihr Fernbleiben?“
„Nein, meine Kollegen und ich konnten das Verhalten nicht nachvollziehen. Katharina war immer eine vorbildliche und zuverlässige Schülerin gewesen. Kurz nach ihrem achtzehnten Geburtstag hatte sie sich sehr verändert.“
„Die Kathi wurde mehrmals abgeholt. Von einem Wagen mit Altöttinger Kennzeichen“, sagte ein Schüler in der letzten Reihe.
„Das habe ich auch gesehen!“
„Ich auch!“
„Was ist daran so ungewöhnlich?“ Leo verstand nicht.
„Die Kathi wurde nie gebracht oder abgeholt, ihre Eltern haben noch nicht einmal ein Auto. Wir haben das im letzten Jahr rausgefunden und uns darüber lustig gemacht. Kathis Eltern sind komische Leute, die erlauben fast nichts. Außerdem sind die ziemlich assi.“
„Die Kathi war irgendwie komisch“, fügte ein anderer hinzu.
„Komisch? Kannst du das erläutern?“, hakte Leo nach, der nicht im Traum daran dachte, diese Schüler zu siezen.
„Die sah mit ihren billigen Klamotten immer beschissen ärmlich aus, eben echt unterste Schiene“, sagte derselbe Junge aus der letzten Reihe und lachte, woraufhin einige einstimmten. „Außerdem tauchte sie immer noch mit einem Schulpack aus der Grundschulzeit auf. Ich glaube, die Eltern haben keine Kohle. Außerdem schien es ihnen egal zu sein, wie ihr Kind herumläuft und ob es dazugehörte. Zu allem Übel durfte sie nichts machen was Spaß macht. Eben voll assi“, wiederholte er seine Aussage von vorhin. Es war offensichtlich, dass er das Wort „assi“ gerne aussprach. Einige lachten. Diejenigen, die nicht mitlachten, machten ein betrübtes Gesicht.
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