Wie immer, wenn Herr Meierdom sich erregt, hat das Auswirkungen auf seinen Kreislauf. Ein gar nicht so leichtes Rot überströmt seine Wagen, die Adern treten an Nase und Wangen hervor. Sein Schritt stockt, obwohl die nachrückenden Passagiere in den offenen Leib des Airbus drängen. Am liebsten würde Herr Meierdom es gleich hier am Eingang den Leuten sagen, dass sie einen derartigen Unsinn auf keinen Fall glauben dürfen. Wie kann man den Hunden eine solche Verleumdung antun, die doch seit Jahrtausenden die treuesten Freunde des Menschen sind! Seine einzigen wahren Freunde sogar, denn auf Kameraden in Menschengestalt kann sich ja heute, wenn es wirklich auf Treue ankommt, keiner mehr wirklich verlassen. Dem Herbert Kungel hat er geglaubt. Sein bester Freund war das einmal gewesen, jedenfalls hatte er ihn dafür gehalten. Aber auch der hat ihn von einem Tag auf den anderen im Stich gelassen. Ein Hund würde das niemals tun. Ein Hund hat ihn noch nie verraten. Hunde sind einfach treu, von Natur aus.
Welch frecher Unsinn!, schnaubt er, den Druck der Nachkommenden in seinem Rücken spürend, noch einmal in Richtung zur Stewardess. Die aber lächelt, wie sie es immer tut - bei jedem der eintretenden Passagiere. Das ist die Vorschrift, und sie gilt jedenfalls solange, wie die Passagiere nicht aufsässig werden und die Ordnung im Flugzeug stören. Dann gibt es natürlich nichts mehr zu lächeln. Leider kommt dieser Fall in letzter Zeit gar nicht so selten vor ...
Etwas vor elf tritt Kapitän Behrends, ein mächtiger blonder Mann um die fünfzig, mit seinem gebückten Kopiloten Kroschke als letzter durch die Eingangstür. Er hat noch Zeit, es wird noch eine Viertelstunde vergehen, bis die Maschine auf die Startbahn hinausgeschleppt wird. Die üblichen Verzögerungen, der Hamburger Nieselregen spielt wieder einmal eine leidige Rolle. Stellenweise liegt er als dichter Nebel über der Bahn. Behrends lässt sich einen heißen Kaffee in das Cockpit bringen. Dabei kann er es nicht lassen, der jungen Stewardess Ute Dalz sozusagen versehentlich über die Hand zu streichen.
Die Ute kennt er schon lange. Er freut sich immer wieder, wenn er sie sieht. Er mag ihr Lächeln und ihren kecken Witz, auch wenn sie jetzt auf seine Vorschläge zu einem Treffen im Café Stern längst nicht mehr eingeht. Seit sie verheiratet ist, wie sie sagt. Aber er glaubt, dass das eher etwas mit seinem Alter zu tun hat. Immerhin ist es ein Vergnügen, die Ute anzuschauen, und einen duftenden süßen Café, den wird sie ihm jedenfalls immer servieren. Dagegen wird der magere Kopilot, dieser bleiche, unscheinbare Kroschke, den Flug ganz bestimmt nicht versüßen. Außer einem hingelispelten Gutenmorgengruß und dem üblichen Dialog über die technischen Angaben der Instrumente, ist mit dem Mann ja l kein Wort zu wechseln.
Ja, Behrends sieht es deutlich voraus. Dieser Flug wird in beiderseitigem mürrischen Schweigen vergehen. Mit ernüchternder Klarheit stellt sich der Kapitän die kommenden eineinhalb Stunden vor. Schweigen, nichts weiter als tonloses Schweigen. Das ist nicht so leicht zu ertragen, zumal wenn man so ein Bedürfnis nach Worten hat wie gerade er. Wie gut es im Vergleich mit ihm die Reisenden haben! Die können doch wenigstens ein Buch oder eine Zeitung lesen, aber er muss schweigend in den Nebel, die Wolken oder auf die Instrumente starren, beinahe zwei Stunden lang. Für ihn gibt es keinen Pardon.
Ja, es wird wohl das unselige Wetter sein, dieser verdammte Nieselregen, der einem das Gemüt auf den Boden drückt. In Hamburg ist es eben die meiste Zeit nass. Das ist schon merkwürdig, wenn man bedenkt, dass auf die Stadt an der Elbe insgesamt nicht mehr Regen fällt als zum Beispiel auf Rom. Das hat Behrends vor kurzem in einer Zeitung gelesen. Nicht mehr Regen im ganzen Jahr als in Rom! Man stelle sich vor, wie schön es in Hamburg sein könnte! Doch leider hat ein launischer Wettergott Hamburg und seine Bewohner bestrafen wollen - für irgendein unbekanntes Vergehen vermutlich. Er hat es so eingerichtet, dass der Regen seine Fracht an wenigen Tagen auf die heilige Stadt entlädt, in Hamburg dagegen ist er zu einem Sprühnebel aufgefächert. Ohne eine bestimmte Vorliebe für besondere Tage verteilt der sich gleichmäßig über alle dreihundertfünfundsechzig von ihnen.
Es ist wohl der verdammte Regen, aber vielleicht bin ich auch einfach nur schlechter Laune, gesteht sich Kapitän Behrends. In letzter Zeit kommt das öfter vor, eigentlich bin ich ja schon permanent schlechter Laune. Als ob man nicht auch Grund genug dazu hätte! Es braucht ja auch gar kein schlechtes Wetter, keinen Nieselregen, damit einem die üble Laune auf das Gemüt drückt. Die feinen Herren der Direktion sind daran schuld. Die haben sich doch schon wieder etwas einfallen lassen, womit sie uns ärgern können. Soeben haben sie die Einstiegsgehälter für die Piloten um ganze zehn Prozent hinuntergeschraubt. So geht das nun schon seit Jahren, und auch die Festangestellten kriegen keine Zulagen mehr. Bei sich selbst sparen die da oben natürlich gar nicht. Es heißt, der Diefenstein habe sich schon wieder eine zehnprozentige Zulage gegönnt, während er uns die finanzielle Abmagerung verordnet, aus der am Ende noch eine Schwindsucht wird.
Wie soll denn das weitergehen? Ist das etwa kein Grund, um alle Freude an diesem Beruf zu verlieren? Seit zehn Jahren behandelt man unsere Gehälter wie eine Salamiwurst - scheibchenweise wird davon ein Stück nach dem anderen herunter geschnippelt. Nur weiter so, dann werde ich hier in zehn Jahren nur noch ehrenamtlich tätig sein dürfen – oder auch gar nicht. Es dauert nicht mehr lange, dann verdient der Pilot eines Airbus gerade mal so viel wie ein fleißiger Taxichauffeur. Bei den Billigfluglinien sind sie ja jetzt schon soweit.
Verflucht noch mal! Das war doch einmal ganz anders. Damals, wenn ich zurückdenke, wie es damals war, als ich mit dreiundzwanzig zum ersten Mal als Kopilot im Cockpit saß! Damals war man noch etwas, die Frauen liefen einem Piloten noch in jedes Hotelzimmer nach. Geld hatte man in Hülle und Fülle. Jedenfalls glaubte das jeder, wenn er einen Flugkapitän vor sich sah, und wir selbst waren damals wirklich zufrieden. Wir waren ja etwas. Als Kapitän eines Großflugzeuges stellte man etwas dar. Man wurde bewundert.
Ja, so habe ich mich gefühlt – wie ein Formel-1-Rennfahrer der Lüfte. Was waren das noch für Zeiten, als es genügte, einer schönen Stewardess – und es gab damals jede Menge davon – einen etwas längeren Blick zuzuwerfen. Jeden Abend wurde gefeiert, wir waren lustig, und die Umarmungen benannten wir nach dem Flughafen, in dem wir gerade Halt gemacht hatten. Die schöne Maria I. von Rom oder Antoinette, die Prächtige, von Paris; auf diese Weise prägten wir uns die Städte erst richtig ein. Selten musste eine Drohung nachhelfen, dass ich die Maschine aus Verzweiflung abstürzen ließe, wenn nicht ...
Die Masche hatte allerdings schon Saint-Exupery aus der Trickkiste geholt. Er drohte einfach: Madame, entweder Sie küssen mich oder ich schalte auf der Stelle den Motor ab. Natürlich küsste sie ihn. Es blieb ihr ja gar nichts anderes übrig. Saint Exupéry war freilich noch ein Kavalier der alten Schule. Nach dieser Drohung und ihrer Einwilligung hat er die Dame sogar noch geehelicht, so war das damals, die reine Romantik. Zu meiner Zeit genügte es, wenn man den jungen Frauen gefiel.
James Bond der Lüfte nannten sie mich, weil ich dem Mann irgendwie ähnlich sah. Hat meiner Eitelkeit doch geschmeichelt. Und dabei habe ich früher doch wesentlich kleinere Maschinen geflogen. Heute steuere ich im Vergleich dazu einen Riesen und bin dennoch der vorletzte Dreck. Der Diefenstein und die übrigen Herrn der Direktion, die sacken das Geld ein, das wir verdienen, obwohl sie nur an Bürotischen hocken und dabei nichts als Buchstaben malen. Wir hier oben, wir leisten doch die wirkliche Arbeit. Wir in der Luft sind für die Menschen tatsächlich verantwortlich. Wir sorgen für ihre Sicherheit, dafür bürgen wir mit unserem eigenen Leben.
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