Mehr noch als den Jungs mit Zigarettenerfahrung durch Ami-Kippen.
Für jugendliche Raucher war schnell ein Lied geboren, im badischen Dialekt:
„Babbe guck, dort dranne liegt‘n Kippe!“
„Haltsch net dei Gosch, du Lumpebu!“
„Babbe guck, jetz tut sich oiner bücke – un hebt se uff un du gugsch grad zu!“
„Eins, zwei, drei im Sauseschritt läuft die Zeit, wir laufen mit“ – mitten hinein in die fünfziger Jahre.
Mein erster Auftritt am richtigen Theater, im provisorischen kleinen Haus des Badischen Staatstheaters. Das Stück: „Der Verschwender“ von Ferdinand Raimund.
Regisseur Alfons Kloeble
Ich spielte den Michel, den ältesten Sohn vom Valentin Holzwurm, von Beruf Tischlermeister. Eintritt war frei.
Und zugleich, immer nachmittags, Aufnahmen zur Kinderfunk-Sendereihe des SDR: „Das Rätsel um das Mondschiff“
Ich sprach den Koch, den Smutje. Dramatische, kindergerechte Geschichte auf einem Boot im Altrhein Arm bei Karlsruhe, Daxlanden. Fotos in Zeitschriften. Es gab Leute, die behaupteten, sie würden mich kennen.
Weitere Aufführungen am Staatstheater Karlsruhe folgten: „Peterchens Mondfahrt“, „Der Bund der Haifische“, „Zauberer Gottes“, „Tom Sawyers Abenteuer“. Ich gab den Huck Finn und in „Emil und die Detektive“ den Gustav, das war der mit der Hupe. Wobei mir sowohl beim „Huck“ als später beim „Puck“ ein vom ´Opa` in Gamshurst erteilter Unterricht in Sachen Räuspern und Spucken und in weitem Bogen aus der Nase rotzen sehr zu Gute kam. Von den Zuschauern hat sich nie einer beschwert, weil, das waren ja so zusagen asoziale Typen, die ich da gespielt habe.
Und außerdem liegt zwischen Zuschauerraum und offener Bühne immer noch der Orchestergaben, da hat man sich als gutbürgerlicher Theaterkunst Genießer einigermaßen sicher vor den Schauspielern gefühlt. Soll heute ja gelegentlich anders sein.
Als Huck Finn in „Tom Sawyers Abenteuer“
Der Gustav brachte übrigens den Durchbruch – allerdings nur bei der Karlsruher Jugend. Die große Anerkennung vor allem durch die Mädchen, die nach der Vorstellung am Künstlereingang warteten. Nicht wegen eines Autogramms, dazu waren sie zu schüchtern, bloß aagucke und rufen: „Des isch er, de Guschtav!“
Ich arbeitete an meinem Ruf, unterstützte frühen Ruhm, indem ich meine ´
Gustav-Hupe auch privat am Fahrrad oder beim abendlichen, beleuchteten Schlittschuhlauf auf dem zugefrorenen Stadtgartensee mitführte. Mit anderen Worten, ich war jederzeit bereit, meine Präsenz „behupen“ zu können – bis mich eine selbstverschuldete Panne zwang, ernsthafter über den Beruf Schauspieler nachzudenken.
Die Mittagsvorstellung von „Emil und die Detektive“ sollte um 15 Uhr stattfinden. Ich hatte vorher noch viel Zeit und sauste mit dem Fahrrad in den nahegelegenen Durlacher Wald, um eine Dame aus dem Landkreis Karlsruhe zu treffen, die mir am Herzen lag. Renate war Kinderschwester und mindesten vier Jahre älter als ich. Ich denke, sie war so um die 17.
Nach einem sogenannten Schäferstündchen im Gras der Blick auf die Uhr:
14 Uhr 55!
Aufs Rad und ab die Post. Meine Hupe und ich mussten ja erst im zweiten Akt auftreten.
Dann die Katastrophe: Die durch zu schnelles Fahren überstrapazierte, rostige Fahrradkette riss. Sie war auf die Schnelle nicht zu reparieren. Ich kam zu spät, viel zu spät, mit verdrecktem Gesicht und ölverschmierten Händen.
„Wer sein Rad liebt – der schiebt!“, schrien die am Künstlereingang wartenden Kinder.
Regisseur Lenbach hatte schon nach dem ersten Akt die Große Pause einläuten lassen, weil der Gustav noch nicht im Hause war. Schweißüberströmt rannte ich ins Theater und direkt auf die Bühne. Die Vorstellung ging weiter.
Mein Vater, der bisher untadelige Regisseur und Staatsschauspieler, erhielt eine Rüge vom Intendanten. Mein Paps hat mir bald verziehen. Aber ich schwor mir, so etwas nie wieder passieren zu lassen. Bis heute neige ich zu einer krassen Überpünktlichkeit.
Alter schützt vor Torheit nicht.
Ich bin alt?
Du bist alt.
Danke.
Den Jahren nach.
Danke.
Körperlich.
Im Kopf?
Manchmal.
Danke. Jetzt verstehe ich endlich, wie sich Paps im Alter gefühlt haben muss.
*
Das hatte er nicht verdient, im Alter häufig als fünftes Rad am Wagen behandelt zu werden.
Von wem?
Von uns.
Wer ist uns?
Wer schon. Die Familie. Ehefrau, erster Sohn, zweiter Sohn.
In meiner Kinderzeit, also ganz zu Anfang, war Paps respektvoll „der Vater“. Später dann „der Papa“. Mit zunehmendem Alter freundschaftlich und auf Augenhöhe „Paps“ oder „Dad“ . In seinen letzten Jahren dann „Peppl“, wobei Mama gerne ein „mit der Greisenpfote“ hinzufügte.
In der Meinung, das würde ihn amüsieren?
Sie war acht Jahre jünger. Nach seinem Tod hat ihr wohl einiges leidgetan.
Was meinst du?
Dass sie ihn im Alter oft sehr gefordert hat. Vielleicht sogar überfordert. Kesse Bemerkungen, anstrengende Wanderungen, späte Theaterbesuche, Lesungen, Vortragsabende, Kino. Er war am Ende sehr müde.
Das Leben?
Das Weiterleben.
Zwei Weltkriege unversehrt zu überleben, war keine Heldentat, aber auch keine Schande.
In deinem Alter war Paps schon tot.
Natürlich hätte ich mir, wie jeder Junge, einen Vater gewünscht, der fit genug war, mit mir Fußball zu spielen oder auf dem Rad rumzuturnen. Paps aber hatte andere Qualitäten, die wir leider erst spät zu schätzen lernten, zu spät sogar, weil er nun schon lange nicht mehr bei uns ist.
Ob und wie viel Kraft ihn die beiden Weltkriege gekostet haben, hat er niemandem verraten. Amüsiert bestenfalls zeigte er sich, wenn ihm danach zu Mute war, aus dieser Zeit zu erzählen. 1917, als er Kanonier war und den Franzosen ordentlich einheizte.
„Eine Räuberpistole“, wie er nach so einer Geschichtsstunde immer zugab, denn weder hatte er dem Franzmann eingeheizt, noch war er ein richtiger Kanonier gewesen, der, den Überblick über die Schlacht behaltend, den Gegner erst ins Visier nahm und dann die Lunte entzündete.
Staatsschauspieler Alfons Kloeble
In Wahrheit hatte er Befehl gehabt, die schweren Granaten, von ihm ironisch „Kanonenkugeln“ genannt, vom Munitionslager hinauf zum Geschütz zu schleppen. Einzeln. Denn die Dinger waren verdammt schwer für einen jungen Schauspieler, der bisher nur am Gewicht seiner gerade einstudierten Rolle zu tragen gehabt hatte.
Aufgewachsen in Offenbach am Main, hatte Papas Vater eigentlich gehofft, in ihm den geeigneten Nachfolger für sein Geschäft zu finden, einen Fachmann, der genauso leidenschaftlich mit den berühmten „Offenbacher Lederwaren“ handeln würde wie er selbst. Ein Irrtum, wie sich bald herausstellte.
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