Titelseite George Sand Geschichte meines Lebens Autobiographie Deutsch von Claire Glümer Zweite Ausgabe Verlag von Otto Wigand. Leipzig; 1863.
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11. Kapitel.
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18. Kapitel.
19. Kapitel.
20. Kapitel.
21. Kapitel.
Zweite Abteilung.
22. Kapitel.
23. Kapitel.
24. Kapitel.
25. Kapitel.
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27. Kapitel.
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29. Kapitel.
30. Kapitel.
31. Kapitel.
32. Kapitel.
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34. Kapitel.
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37. Kapitel.
38. Kapitel.
39. Kapitel.
40. Kapitel.
41. Kapitel.
42. Kapitel.
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44. Kapitel.
45. Kapitel.
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47. Kapitel.
48. Kapitel.
49. Kapitel.
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51. Kapitel.
52. Kapitel.
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56. Kapitel.
57. Kapitel.
58. Kapitel.
59. Kapitel.
60. Kapitel.
61. Kapitel.
62. Kapitel.
63. Kapitel.
64. Kapitel.
65. Kapitel.
66. Kapitel.
Impressum
George Sand
Geschichte meines Lebens
Autobiographie
Deutsch
von
Claire Glümer
Zweite Ausgabe
Verlag von Otto Wigand. Leipzig; 1863.
Erste Abteilung.
1. Kapitel.
Was soll dies Buch? — Es ist Pflicht Andern durch unsere Erfahrungen zu nützen. — Briefe eines Reisenden. — Die Geständnisse J. J. Rousseau's. — Anton Delaborde Ballspielhausaufseher und Meister Vogelhändler. — Wahlverwandtschaften. — Lob der Vögel. — Geschichte von Agathe und Jonquilla. — Der Vogler von Venedig.
Ich glaube nicht, daß es hochmüthig und unbescheiden ist die Geschichte des eignen Lebens zu schreiben; besonders wenn wir aus den Erinnerungen, welche dies Leben in uns zurückgelassen hat, nur die auswählen, die uns der Erhaltung werth scheinen. Ich glaube damit sogar eine Pflicht, eine ziemlich schwere Pflicht zu erfüllen, denn ich kenne nichts Unbequemeres, als die eigne Persönlichkeit zu erklären und darzustellen.
Je mehr wir uns in die Ergründung des menschlichen Herzens vertiefen, um so unsichrer wird unser Blick, und für gewisse regsame Geister wird das Studium der Selbsterkenntniß immer ein langweiliges und unvollständiges sein. Und doch will ich diese Pflicht erfüllen; ich habe sie immer vor Augen gehabt und habe mir gelobt nicht zu sterben ohne vollbracht zu haben, was ich Andern anrieth: eine aufrichtige Erforschung des eignen Wesens und eine aufmerksame Prüfung des eignen Daseins.
Eine unüberwindliche Trägheit, — die Krankheit zu viel beschäftigter Geister und darum vor allem die der Jugend — hat mich bis heute an der Erfüllung dieser Aufgabe gehindert. Und vielleicht habe ich mich gegen mich selbst versündigt, indem ich das Erscheinen zahlreicher Biographien ruhig ansah, die voll Irrthümern aller Art waren, im Lob wie im Tadel. Es geht soweit, daß in einigen dieser Biographien, die erst im Auslande erschienen, dann in Frankreich mit allerhand phantastischen Ausschmückungen wiederholt wurden, selbst mein Name eine Fabel ist. Wenn ich durch diese Berichterstatter befragt oder aufgefordert wurde, nach Belieben einige Nachrichten über mein Leben zu geben, habe ich die Gleichgültigkeit so weit getrieben, daß ich selbst wohlwollenden Personen die kleinste Erklärung verweigerte. Ich muß gestehen, daß ich einen tödtlichen Widerwillen empfand, das Publikum mit meiner Persönlichkeit zu beschäftigen, die nichts Hervorragendes hat, während mir Wesen, die stärker, klarer, vollendeter, idealischer und mir weit überlegen sind — mit einem Worte Romanfiguren — Kopf und Herz erfüllten. Ich fühlte, daß man nur einmal im Leben sehr ernsthaft mit dem Publikum von sich selbst sprechen darf, um nie mehr darauf zurückzukommen.
Gewöhnen wir uns, von uns selbst zu sprechen, so kommen wir leicht und unwillkürlich dazu uns selbst zu loben, was eine natürliche Folge der Neigung des Menschen ist, den Gegenstand seiner Betrachtung zu verschönen und zu erheben. Es giebt sogar ein unbefangenes Selbstlob, vor dem wir nicht erschrecken dürfen, wenn es, wie das der Dichter, welche in dieser Beziehung ein besonderes geheiligtes Vorrecht haben, in die Formen der Lyrik gehüllt ist. Aber die Selbstbewunderung, die uns zu diesem kühnen Flug gen Himmel begeistert, ist der Mittelpunkt nicht, in den sich die Seele stellen kann, um lange von sich selbst mit den Menschen zu sprechen. In dieser Erregung geht ihr das Bewußtsein der eignen Schwächen verloren; sie identificirt sich mit der Gottheit, mit dem Ideale, dem sie nachstrebt. Die Regungen der Sehnsucht und der Reue, die sie in sich findet, dehnt sie bis zur Poesie der Verzweiflung und der Gewissensqual aus: sie wird Werther, oder Faust, oder Manfred, oder Zamba — erhabne Gestalten vom Gesichtspunkte der Kunst, die aber, ohne Hülfe philosophischer Erkenntnisse, zuweilen verderbliche Beispiele, oder unfaßbare Vorbilder geworden sind.
Und doch müssen diese großen Gemälde der mächtigsten Erregungen der Dichterseele auf ewig verehrt werden — wir müssen es den großen Künstlern verzeihen, wenn sie sich in Gewitterwolken oder Ruhmesstrahlen hüllen. Es ist ihr Recht — und indem sie uns das Ergebniß ihrer erhabensten Gefühle geben, haben sie ihre Sendung vollständig erfüllt. Aber auch in demüthigern Verhältnissen, unter gewöhnlichern Formen können wir eine ernste, unmittelbar nützliche Pflicht gegen unsere Nächsten erfüllen, indem wir uns ohne Symbol, ohne Heiligenschein und ohne Piedestal darstellen.
Gewiß ist es unmöglich, von der Fähigkeit der Dichter, ihr eignes Dasein zu idealisiren und zu etwas Abstractem, Unfaßbarem zu machen, eine vollständige Belehrung zu erwarten. Ohne Zweifel ist diese Fähigkeit Nutzen bringend und belebend, denn jeder Geist erhebt sich mit dem der begeisterten Träumer, jedes Gefühl reinigt oder erhöht sich, indem es ihnen in höhere Sphären folgt, — aber es fehlt dem flüchtigen Balsam, den sie über unsre Wunden ausgießen, etwas sehr Wichtiges: die Wirklichkeit.
Aber es wird dem Künstler schwer, diese Wirklichkeit zu berühren und nur großherzige Naturen können es mit Freuden thun. Ich muß gestehen, daß meine Liebe zur Pflicht nicht so weit reicht, und daß ich nicht ohne große Anstrengung zur Prosa meines Gegenstandes herabsteige.
Ich hatte immer gefunden, daß es ebenso viel schlechten Geschmack verräth, sich lange mit sich selbst zu unterhalten, als lange von sich selbst zu sprechen. Es giebt im Leben der gewöhnlichen Wesen wenige Tage, wenige Augenblicke, wo es interessant oder nützlich wäre sie zu beobachten. Aber zuweilen habe ich solche Tage und Augenblicke gehabt; dann habe ich gefühlt, wie Andre fühlen, und habe die Feder ergriffen, um einen lebhaften Schmerz, der mich bedrängte, oder eine heftige Angst, die mich durchwühlte, ausströmen zu lassen. Die Mehrzahl dieser Fragmente ist nicht veröffentlicht und sie werden mir, bei der Uebersicht meines Lebens, als Merkzeichen dienen. Nur einige derselben haben in Briefen, die zu verschiedenen Zeiten erschienen und von verschiedenen Orten datirt sind, eine halb vertrauliche, halb literarische Gestalt angenommen und sind unter dem Titel „Briefe eines Reisenden“ zusammengestellt. Zur Zeit als ich diese Briefe schrieb, war mir der Gedanke, von mir selbst zu sprechen, um so weniger peinlich, da ich, buchstäblich genommen, nicht mich selbst darstellte. Dieser „Reisende“ war eine Fiction, ein gedachtes Wesen; männlich wie mein Pseudonym; alt, obwohl ich noch jung war — und diesem traurigen Pilger, der eigentlich auch nur ein Romanheld ist, legte ich subjectivere Empfindungen und Reflexionen in den Mund, als ich im Roman, der strengern Kunstgesetzen unterworfen ist, gewagt haben würde. Ich fühlte damals das Bedürfniß gewissen Gemüthsbewegungen einen Ausdruck zu geben, aber nicht das Verlangen, den Leser mit mir selbst zu beschäftigen. Dieses Verlangen, das bei Allen ein kindisches und, beim Künstler wenigstens, ein gefährliches ist, fühle ich jetzt vielleicht noch weniger als sonst. Ich werde sagen, warum ich es nicht fühle und warum ich doch schreiben werde, als ob ich's hätte — wie man ißt aus Vernunft, ohne den geringsten Appetit zu spüren.
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