„Was ist nur los mit dir? Wo ist das Mädchen, das sich niemals selbst vergessen wollte?“, fragte Miguel nun verächtlich schnaubend, nachdem er an ihre erste Begegnung zurückgedacht hatte. „Ich bin erwachsen geworden, das solltest du vielleicht auch mal versuchen“, entgegnete Kayla spitz. „Ach, erwachsen ist das also, wenn man der dummen Braggs die Schuhe küsst, sobald sie schnipst“, höhnte Miguel, und Kayla machte eine absichtliche Vollbremsung, so dass Miguel gegen den Gurt geschleudert wurde. Kayla schlug ihm vor Wut mit dem Ellbogen in den Magen, dass er sich zusammen krümmte. „Hör zu, du verdammter Mistkerl! Wo ständest du heute, wenn sie dich nicht aufgenommen hätten? Im Knast? Unter einer Brücke? Wo? Anstatt, dass du dich mal ein bisschen erkenntlich zeigst, überleg nur, was sie alles für dich getan haben, kannst du nicht aufhören, Ärger zu machen und Regeln zu brechen?! Der Plan ist dir egal, ebenso wie die Menschen, die dir dieses Leben hier ermöglicht haben, und ja, ich finde es kindisch und launisch, wie du dich benimmst. Du bist egoistisch und willst nur deinen Spaß, aber jetzt sag ich dir mal was. So läuft das Leben nicht, und ich werde dich auch nicht weiter schützen. Mit der ganzen Nummer hier hast du einfach den Bogen überspannt. Das ist keine einfache Frechheit oder jugendliche Lappalie, nein das ist ernst, und ich habe kein Interesse daran, dich weiter darin zu unterstützen“, schrie sie ihn an. Jetzt wurde er ebenso wütend und brüllte zurück: „Unterstützung? Wann hilfst du mir schon mal? Nein, wie eine brave kleine Arbeiterbiene gibst du sofort alles an die Königin weiter, damit ja alles nach diesem wundervollen Plan läuft. Denkst du überhaupt noch selber oder steuern die auch schon dein Gehirn. Ich erinnere mich noch daran, dass wir uns über diese Regeln lustig gemacht haben, weil sie eine vollständige Beschneidung von Autonomie und Freiheit sind, und es tut mir Leid, aber nach einem solchen Prinzip will ich nicht leben. Damals hat mich niemand gefragt, ob ich für sie leben will, und heute tut das auch keiner, wofür soll ich also dankbar sein? Ich habe die Nase voll davon, überwacht zu werden und nicht normal leben zu dürfen. Ich will keine dämlichen Kontrolltermine und vor allem will ich keine Frau zu Hause, die gegen mich arbeitet!“ Kayla war wieder angefahren und warf Miguel so zurück in den Sitz. „So siehst du das also? Ich arbeite gegen dich? Wer hat denn in den letzten Jahren dafür gesorgt, dass du nicht regelmäßig beim Boss landest, weil du schon wieder absolut konträr zu den Ansichten agiert hast? Ohne mich dürftest du gar nicht mehr frei rumlaufen, aber schön, wenn du darauf keine Lust mehr hast, dann kannst du gleich mit Frau Braggs eine Alternative besprechen, weil ich auch raus bin, hast du verstanden. Du kannst schauen, wer dir dann den Rücken freihält. So etwas muss ich mir von dir wirklich nicht vorwerfen lassen.“ Bevor Miguel etwas erwidern konnte, klingelte Kaylas Handy, und über die Freisprechanlage nahm sie den Anruf entgegen. „Ich bin es“, meldete sich Frau Braggs: „Wo bleibt ihr? Ist alles gut gelaufen?“ „Ja, wir sind gleich da. Niemand hat uns gesehen“, antwortete Kayla und beobachtete, wie Miguels Körper sich komplett anspannte, sobald Frau Braggs Stimme erklang. Vom psychologischen Standpunkt aus, hatte er sie immer sehr fasziniert, und für einen kurzen Moment vergaß sie ihren Zorn und betrachtete ihren Ehemann. Seine Hände presste er flach auf seine Beine, und er straffte die Schultern, so dass er ganz grade saß. Den Blick hatte er auf seine Hände gerichtet, und er biss sich leicht schuldbewusst auf die Unterlippe. Fast hätte Kayla laut aufgelacht. Hatte er nicht eben noch behauptet, dass sie die hörige Arbeiterbiene sei? Er sollte sich selbst sehen, wie er schon bei dem bloßen Klang von Frau Braggs Stimme ganz folgsam wurde. „Das heißt, es ist alles in Ordnung?“, hakte Frau Braggs nach, die sofort spürte, dass etwas nicht stimmte. „Ich ähm, ja wir hatten nur eine kleine Auseinandersetzung“, winkte Kayla ab, betont beiläufig klingend. „Wie bitte?“, wollte Frau Braggs nun doch genauer wissen. „Es ist wirklich nur eine Kleinigkeit, ich habe mich nur darüber aufgeregt, dass Miguel unsere ganze Arbeit so mit Füßen tritt, in dem er so leichtfertig ein Risiko eingeht“, erklärte Kayla und vergaß dabei vollkommen ihre Drohung, nicht mehr für Miguel in die Bresche zu springen. „Du musst ihn nicht decken, wenn er sich daneben benimmt, dann sag es ruhig“, redet Frau Braggs auf sie ein. Kayla warf Miguel einen mitleidigen Blick zu, welcher stumm das Wort Danke formte. „Nein, nein er hat sich nur bei mir entschuldigt“, versuchte Kayla das Gespräch zu beenden: „Wir sind aber auch in fünf Minuten da.“ „Na schön“, sagte Frau Braggs und legte auf. Miguel atmete erleichtert auf und entspannte sofort wieder. Seine Hände lagen locker in seinem Schoß und die Schultern sanken herab. „Danke, Kayla“, sagte er ehrlich und sie nickte nur, da sie seine Vorwürfe immer noch nicht ganz verdaut hatte. „Ich habe dich immer gedeckt“, meinte sie nur. „Es tut mir leid, was ich vorhin gesagt habe, ganz ehrlich. Nur manchmal ist mir der ganze Druck einfach zu viel.“ „Mir geht es ähnlich, dennoch ist das kein Grund, aus der Rolle zu fallen und so einen Mist zu machen. Du hättest einfach mit mir reden können, ich will dir schließlich nichts Böses“, bemerkte Kayla. „Jetzt ist mir das auch klar. Nur du bist so anders als früher. Das hat mich total verunsichert“, entfuhr es Miguel, und sein Blick huschte flüchtig in Kaylas Richtung. „Wie ich schon sagte, ich bin wohl erwachsen geworden. Außerdem habe ich erkannt, dass die Erfüllung unseres Plans das Beste für uns alle ist. Warum sollte ich mich also dagegen stellen?“, wollte Kayla wissen. „Naja, aber sie verraten uns doch nicht mal alles. Ich kann einfach nicht blindlings etwas folgen, dessen Ende ich nicht absehen kann. Meine Aufgaben erfülle ich nur, soweit ich sie als sinnvoll erachte“, gab Miguel zu bedenken. „Nun, ich kenne das Ende, und wenn du schon nicht dem Boss vertraust, dann vertrau mir, denn es wird nur Gutes für uns bereit halten“, forderte Kayla. Ihr Haus kam in Sicht, und Miguel schluckte seine Antwort hinunter. Sie wohnten am Stadtrand in einem großen Haus recht weit entfernt von anderen Nachbarn. Das Grundstück hatte Frau Braggs ausgewählt, doch Miguel hatte es von Anfang an sehr gut gefallen. Die großzügigen Grünflächen, die das Haus umgaben und der angrenzende Wald hatten ihn begeistert, und er genoss jede freie Minute in der Natur, was ihm das Gefühl von Freiheit vermittelte. Im Haus waren mehrere Schlafzimmer, sowie ein großer Wohn- und Essbereich. Neben drei Badezimmern hatte Miguel sich im Keller einen Fitnessraum einrichten lassen, sowie jeweils ein eigenes Büro für ihn und Kayla. Als Frau Braggs ihnen damals die Immobilie gezeigt hatte, war er sofort überzeugt und hatte den Kauf bereitwillig getätigt. In der breiten Einfahrt stand bereits der Wagen von Frau Braggs, die ungeduldig daran lehnte und ihnen erwartungsvoll entgegen schaute. Kayla hielt hinter ihr und machte den Motor aus. Gleichzeitig stiegen sie aus, und Frau Braggs machte bereits einige Schritte auf sie zu. Kayla öffnete den Kofferraum, und zu ihrer Erleichterung war Jeanette nicht aufgewacht. „Bring sie in ein Gästezimmer. Da kann sie bleiben, bis sie aufwacht“, befahl Frau Braggs in unmissverständlichem Tonfall. Miguel nickte und machte sich sofort daran, seine Geliebte ins Haus zu tragen und sie sanft auf einem Bett abzulegen. Er setzte sich auf die Bettkante und fuhr der regungslosen Frau mehrere Male übers Haar. Dann drückte er ihr einen leichten Kuss auf die Lippen und ging in die Küche, wo Kayla und Frau Braggs sich an die Theke gesetzt hatten, die den Übergang zum Esszimmer markierte.
Unsicher blieb Miguel im Türrahmen stehen und betrachtete die beiden, die sich leise unterhielten. Als Frau Braggs auf ihn aufmerksam wurde, informierte sie ihn: „Wir reden gerade darüber, wie wir nun fortfahren sollen. Zu deinem Glück ist die Wahl wohl nicht in akuter Gefahr, da ich das mit Jeanette schon klären werde, nur was dich betrifft, bin ich dennoch ziemlich wütend. Es gibt uns wirklich sehr zu denken, wie leichtfertig du alles aufs Spiel setzt, und du weißt ganz genau, dass ich das nicht dulde. Du kannst dir also sicher sein, dass dein Verhalten Konsequenzen zur Folge hat.“ „Ja, was auch sonst“, murmelte Miguel vor sich hin und starrte trotzig zu Boden. „Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann so, dass ich es verstehen kann!“, verlangte Frau Braggs wütend. „Schon gut“, meinte Miguel schulterzuckend. „Nein, gut ist es ganz und gar nicht“, schrie sie ihn an: „Im Gegenteil, du brichst Regeln, bringst deine und Kaylas Aufgabe in Gefahr, ignorierst meine Anweisungen und bist absolut respektlos. Ich kann und will diese Entwicklung deinerseits nicht zulassen!“ Sie war geschmeidig von dem Hocker geglitten, auf dem sie gesessen hatte und mit langsamen Schritten auf Miguel zugegangen. Er hatte sich bemüht, ruhig zu wirken und seine Angst zu verbergen, doch jetzt, da sie so dicht vor ihm stand, raste sein Herz panisch, und er machte unweigerlich einen Schritt zurück. Aus dem Augenwinkel bemerkte er, dass Kayla ihn interessiert beobachtete, aber seine vordergründigen Gedanken galten in diesem Moment Frau Braggs. Sie packte ihn grob am Arm und stieß ihn in Richtung Kellertreppe. „Runter mit dir“, verlangte sie und gab ihm einen leichten Stoß, als er nicht sofort reagierte. Reflexartig krallte er sich am Geländer fest, um nicht zu stürzen, und eilte dann dicht gefolgt von Frau Braggs die Treppe hinunter. Sie schob ihn zu der Tür, hinter der sich der einzige Raum verbarg, den Miguel noch nie betreten hatte. Mit Schwung öffnete sie die Tür und gab ihm die Order, hineinzugehen. Zunächst hob Miguel an, um etwas zu sagen, sie zu bitten, es sich noch einmal zu überlegen. Er zitterte am ganzen Körper und blickte sie flehentlich an, aber ihre Augen waren kalt und erbarmungslos, sie duldeten keinen Widerspruch, so dass er sich schließlich mit kleinen Schritten in den Raum begab. Sobald er eingetreten war, schlug Frau Braggs die Tür hinter ihm zu und schloss ihn ein. Es war stockdunkel, und Miguel tastete sich an den Wänden ab, um sich besser orientieren zu können. Eine Welle der Furcht überkam ihn, als er feststellte, wie klein der Raum war. Ein beengendes Gefühl machte sich in seiner Brust breit, und er glaubte, keine Luft mehr zu bekommen. Wie ein Kind hockte er sich auf den Boden und hielt seine Beine umklammert. Laut flehte er Frau Braggs an, sie möge ihn wieder heraus lassen, er habe seine Lektion gelernt und wolle sich von nun an bessern, aber sie reagierte nicht. Alles blieb still und dunkel, und wieder einmal bereute Miguel es, sie herausgefordert zu haben, wo sie doch immer mit seinen schlimmsten Ängsten spielte und mit Vorliebe seine Psyche folterte. Schon von Beginn an, hatte sie ihm immer wieder ihre Überlegenheit demonstriert und ihn bis zum Rande des Wahnsinns getrieben, um ihn gefügig zu machen.
Читать дальше