1 ...6 7 8 10 11 12 ...24 Als es Zeit wurde, erhoben sie sich und verließen lautlos den Schutz der Wurzeln ihres Banyans. Neben der Palme nahm Narindar wie üblich ihre Hände in seine. Sie ahnte mehr, wie er unsicher seinen Kopf auf sie zubewegte und kam ihm entgegen. Zum ersten Mal berührten sich zärtlich ihre Lippen. Wenn es nicht so dunkel gewesen wäre, hätte er das leichte Rot auf ihren Wangen erkennen können. Ardas schlich sich mit einer Mischung aus Glück, Aufregung, aber auch Unruhe und Besorgnis ins Haus zurück. Lange noch lag sie wach, spürte der Berührung auf ihren Lippen nach und hielt den angenehmen Geruch seiner Haut fest, den sie wahrgenommen hatte.
Gegenüber Horst Jung und seinem Kollegen Franz Hilpertsauer hatten am vergangenen Tag mehrere Befragte ausgesagt, wie Sylvia Tröger offensichtlich verwirrt durch die Straßen gehastet sei. Manchmal sei sie stehen geblieben und habe sich umgedreht und wild mit den Armen gestikuliert, so als weise sie jemanden zurück. Eine Bewohnerin der Kommune wollte gehört haben, wie sie »bleib fort, teuflischer Dämon, mich bekommst du nicht«, gerufen und daraufhin hysterisch gelacht habe. Ein weiterer Zeuge gab an, wie ein Mann, aus einer Seitenstraße kommend, hinter ihr hergelaufen sei. Er konnte allerdings keine Aussage dazu machen, seit wann dieser die verwirrte Frau verfolgt zu haben schien. Aber er habe mehrfach »Marion, bleib stehen«, gerufen, bevor diese einen Durchgang in der Lärmschutzwand erreicht, die Tür geöffnet habe und dahinter verschwunden sei. Leider hatte der Bewohner den Unbekannten im Zwielicht unter den Bäumen, deren Äste bis über den Gehweg reichten, nicht erkennen können. Als sich erste Fenster wegen des Geschreis geöffnet hätten, habe sich der auffällig verhaltende Mann augenblicklich in den Schutz der Grünanlagen verzogen und die weitere Verfolgung der Fliehenden aufgegeben. Eine Frau und ein Mann einer Wohngemeinschaft hatten die Gefahr für Sylvia Tröger sofort realisiert. Obwohl sie ihr aus einem der dem Durchgang am nächsten liegenden Häusern hinterhergestürmt waren, war es ihnen nicht mehr gelungen, die offensichtlich Desorientierte an der Überquerung der Fahrbahn zu hindern. Leider hatten die Ermittler in den weiteren Vernehmungen bisher keinen genaueren Hinweis zu dem unbekannten Verfolger erhalten.
Es nieselte leicht, als die beiden Kommissare mit ihrem Chef ein weiteres Mal von Tür zu Tür zogen. Die Gebäude sahen in diesem Eck des Areals alle gleich aus: Funktionsbauten aus den siebziger Jahren. Auf der östlichen Seite drei Eingänge pro Block, ein Fenster meist links neben dem Treppenhaus, zwei rechts davon, je nach Größe der Wohnung. Immerhin hatte man früher großzügig Grünflächen eingeplant, so dass die inzwischen in bunten Farben leuchtenden, phantasielosen Zweckbauten in erster Linie wegen ihres Anstrichs hinter den Bäumen und Büschen auffielen. Schnellen Schrittes flüchteten die drei Beamten vor dem Regen unter das Betonvordach mit zentralem Deckenlicht.
»Na, dann mal los«, forderte Thomas Sprengel seine Mitarbeiter angesichts des Wetters mürrisch auf. »Ich nehme die Wohnung im ersten Halbgeschoss, Horst die ganz oben.«
»Diskriminierung«, protestierte der Jüngste im Team wie immer, wenn es darum ging, weitere Strecken zurücklegen zu müssen. »Ältere Menschen benötigen erwiesenermaßen mehr Bewegung, um ihr Leistungsniveau auch nur zu halten.«
»Stell dir vor, du trainierst schon einmal für den Fall, dass dich zwei Kolleginnen begleiten«, scherzte Franz Hilpertsauer und klopfte ihm aufmunternd auf die Schulter.
»Ja, Frauen, genau«, war der um eine Antwort nicht verlegen. »Lene hat erst vor kurzem auf Thomas´ ... äh ... großzügige Verhältnisse im Hüftbereich hingewiesen.«
Der Kopfnuss seines Chefs konnte er sich kichernd nur durch seine Flucht in den Regen entziehen.
»Du solltest aufpassen, dass bei dem Regen deine kunstvolle Gelfrisur nicht leidet«, spottete der Beleidigte zurück. »Du stehst wahrscheinlich länger im Bad als Heike.«
Franz Hilpertsauer drückte die drei Klingeln zu den linksseitigen Wohnungen, während Horst Jung sich vorsichtig, aber noch wachsam unter das Vordach traute. Er war an diesem Morgen längst nicht in Bestform, sonst wäre ihm zweifellos eine Replik eingefallen.
»Ja?«, knarzte es aus der Sprechanlage.
»Kriminalpolizei Heidelberg«, antwortete Franz Hilpertsauer. »Könnten wir Sie kurz sprechen?«
»Wieso?«, kam es misstrauisch zurück.
»Wir ermitteln im Todesfall einer Bewohnerin dieser ... Kommune«, gab der Kommissar Auskunft, nachdem ihm die Sprachregelung des Vortages wieder eingefallen war.
Es folgte ein kurzes Stocken am anderen Ende. In der entstehenden Pause vernahmen sie eine Frauenstimme, die sie hereinbat und den Türöffner betätigte. Als Franz Hilpertsauer die Tür aufdrückte, drang die erste Stimme sichtlich nervöser aus der Gegensprechanlage. »Kommen Sie bitte ins Souterrain.«
»Du sicherst den Flur«, wies Franz Hilpertsauer seinen Chef an, während er die Eingangstür weit aufstieß, damit sie nicht ins Schloss fiel. Der schaute wegen der Anweisung verdutzt und sah nur noch wie Horst nach rechts und Franz nach links davonstoben, wobei Letzterer ihm über die Schulter zurief: »Der will türmen. Hier gibt es nirgends Wohnungen im Souterrain.«
Als Peter Hüsing realisierte, dass sein Plan fehlgeschlagen war, sich an den in den Keller gelotsten Beamten vorbei aus dem Haus zu schleichen, eilte er panisch in sein Schlafzimmer, das auf einen Balkon hinausging, der auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite des Wohnblocks lag. Rasch öffnete er dessen Tür und kletterte behände über die Balkonbrüstung, von der er es hängend kaum mehr als einen halben Meter bis zum Boden hatte. So schnell er konnte überquerte er die Rasenfläche, die ein baugleiches Wohnhaus von seinem trennte. Mit einem Satz war er die wenigen Stufen zu einer der Kellertüren nach unten gesprungen und hoffte inständig, diese nicht abgeschlossen vorzufinden. Sonst saß er ziemlich in der Klemme.
Franz Hilpertsauer kam mit gezogener Waffe um die Ecke des Wohnblocks gespurtet und blieb wie angewurzelt stehen. Zwischen den Häusern war niemand zu sehen. Kurze Zeit später erschien Horst Jung am anderen Ende der Rasenfläche. Franz bedeutete ihm mit der Hand, stehen zu bleiben. Der Herr Hüsing, wie er dem Klingelschild entnommen hatte, konnte so schnell nicht einfach verschwunden sein. Diesbezüglich war er sich sicher. Nur wo steckte der Flüchtige? Sie wussten bisher nicht einmal, wie der aussah. Es gab in jedem Block drei Kellerausgänge, die sie aufgrund des Bewuchses nicht einsehen konnten. Was, wenn eine der Türen offen gewesen war? Es musste schnell gehen. Er zückte sein Telefon, um seinen überrumpelten Chef anzurufen, während er gleichzeitig Horst mit einer Handbewegung aufforderte, er solle zur Vorderseite des zweiten Wohnblocks laufen. Als er sah, wie der die Schultern und Hände fragend hob, versuchte er ihm zu signalisieren, wie der Gesuchte durch eine Kellertür nach vorne hätte gelangen können. Es dauerte einen Moment, bis Horst endlich begriff und eiligst verschwand.
»Habt ihr ihn?«, wollte der Hauptkommissar unmittelbar nach Entgegennahme des Anrufs wissen.
»Er ist nirgends zu sehen«, verneinte sein Mitarbeiter schnaufend. Seit er Ekaterina kannte, hatte er zwar schon einiges abgespeckt, aber ein bisschen zu viel war es immer noch, wie sich in dieser Situation ungünstig bemerkbar machte. Insofern ging es ihm keineswegs besser als Thomas Sprengel, nur Ekaterina kommentierte im Gegensatz zu Lene die Röllchen nicht auch noch. »Aber er kann unmöglich weg sein. Du musst die gesamte Hausfront im Auge behalten, falls der Mann durch die Keller wieder nach vorne gelangen sollte. Horst sichert die Vorderseite des nächsten Wohnblocks. Wir benötigen einen Hundeführer und schnellstens mehr Leute.«
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