Jones bestätigte kurz, aber dieser Befehl behagte ihm nicht. Bei einem Angriff kämpften alle gemeinsam gegen die Schniefer. Nur wer zu schwer verletzt oder getötet worden war, bildete die Ausnahme. Sich zurückzuziehen, war undenkbar.
Er biss sich erneut auf die Unterlippe, ging in Gedanken versunken an der Seesoldatin vor der Kapitänskabine vorbei und zur kleinen Offiziersmesse hinüber. Abermals neigte sich das Schiff und dieses Mal musste sich der neu ernannte Lieutenant Jones an der Wand des Ganges abstützen.
Inzwischen hatte auch Offiziersanwärterin Maria ihren Dienst beendet und saß mit drei weiteren Offizieren und Anwärtern am kleinen Tisch der Messe. Die Gruppe begrüßte ihn mit freudigem Hallo und Maria rückte ein wenig zur Seite, sodass Jones sich neben sie quetschen konnte.
Mittelpunkt am Tisch war Debris, der Waffenoffizier des Kreuzers. Er warf einen kurzen Blick auf Jones, der da so plötzlich in die Runde eingedrungen war, und setzte seine Ausführungen fort. „Wirklich, Leute, ich habe das direkt aus einer zuverlässigen Quelle in der Admiralität. Die verdammten Schniefer haben eine neue Waffe. Ein Unterwasserschiff. Groß wie ein Kreuzer und mit schweren Waffen. Ich vermute, dass wir deswegen zur Stadt zurückfahren. Man wird die Schwert mit einer neuen Abwehrwaffe ausrüsten, die direkt aus dem Bringer stammt.“
Maria stieß einen Laut aus, der ihre Zweifel zum Ausdruck brachte. Debris blickte sie missbilligend an, aber er unterdrückte eine wütende Reaktion. Jones dachte daran, das Debris schon lange scharf auf Maria war und sie wahrscheinlich nicht verärgern wollte.
„Es stimmt wirklich“, beschwor der ältere Offizier. „Ich habe gehört, dass die Blaubanner-Pfeil von einem solchen Unterwasserkreuzer angegriffen und versenkt wurde. Keine Überlebenden.“
„Und wer hat dann von dem Angriff berichtet?“, fragte der andere Offiziersanwärter mit skeptischer Miene.
Jones grinste. Gerüchte hatte es schon immer gegeben. Jeder Soldat und jede Soldatin, ob zu Wasser oder an Land, kannte solche „zuverlässigen Quellen“. Immer war von neuen Geheimwaffen der Schniefer und von ganz geheimen Gegenwaffen aus dem Bringer die Rede. Der Bringer. Als vor zwei Generationen die Stadt von den Schniefern angegriffen wurde, da war das alte Archiv zerstört worden und ausgebrannt. Seitdem kannte niemand mehr den genauen Standort des Bringers.
Jones schenkte sich ein Glas aus der Karaffe ein. Wie viele Expeditionen waren schon zu den Kontinenten und Inseln geschickt worden, um den Bringer wiederzufinden? Die letzte Suche war jene mit seinem Urgroßvater gewesen. Doch der war auf der Rückreise verstorben und Jones hatte nie erfahren, was der alte Herr entdeckt hatte. Allerdings hielten sich hartnäckige Gerüchte, nach denen man damals den Bringer entdeckt habe. Beweise schien es dafür nicht zu geben und Jones vermutete, dass dieses Gerücht vom König verbreitet wurde, um den Menschen Mut zu machen.
Der Stoß traf Jones und die anderen unvorbereitet. Mit einem unterdrückten Aufschrei kippte Maria gegen Debris, als das Schiff sich erneut neigte. Dieses Mal jedoch sehr viel stärker.
„Shib, das war keine Windböe“, fluchte Debris. Er rappelte sich vom Boden hoch und Jones gefiel es nicht, das der Mann Maria länger festhielt, als unbedingt nötig.
Das Schiff richtete sich wieder auf und in stillem Einverständnis stürzten alle aus der Messe auf den Mittelgang.
„Was ist hier los?“, rief einer der aufgeregten Matrosen.
„Bestimmt die verdammten Schniefer“, fluchte ein anderer. Die Männer und Frauen der Besatzung hasteten zu ihren Gefechtsstationen, ohne dass ein Alarm gegeben werden musste. Jones sah Kapitän Malter aus seiner Kabine treten. Trotz der Aufregung in atemberaubender Ruhe, gerade so, wie es sich für einen Offizier gehörte. Unwillkürlich verlangsamte auch Jones seinen Schritt.
„Die Unruhe des Offiziers beunruhigt die Mannschaft“, sinnierte er halblaut.
Auf der Brücke hatte Venloe sein Fernglas vor Augen. „Nichts zu sehen“, brummte er leise.
Malter betrat die Brücke, trat ruhig neben seinen Ersten Offizier. „Was ist los, Erster?“
Venloe blickte zu einem Matrosen hinüber, der sich über die Reling beugte und ins Wasser starrte. Jones sah, dass der Mann sich durch eines der Enternetze gezwängt hatte und von einer Matrosin festgehalten wurde. Der Mann besaß Mut und hing sehr weit über die Bordwand. Jones hörte den halblauten Ruf der Frau.
„Etwas unter dem Rumpf, Kapitän. Direkt unter uns.“
„Gefällt mir nicht. Scheinen aber keine Schniefer zu sein.“ Malter überlegte. „Es ist auch nichts Hartes, sonst kämen stärkere Geräusche durch. Schätze, wir haben es mit etwas Organischem zu tun. Wir brauchen Gewissheit, Venloe.“
„Die Taucher, Kapitän?“
„Die Taucher“, bestätigte Malter. „Schicken Sie zwei Mann runter. Sie sollen nach dem Rechten sehen und sich auf nichts einlassen.“
Minuten später traten zwei der Kampftaucher an die Reling. Jones hörte ein sanftes Plätschern, als sich die dunklen Gestalten ins Meer gleiten ließen. Trotz der Nacht konnte man ihre Silhouetten im Licht der beiden Monde unter Wasser gut erkennen. Schon nach zwei Minuten kehrten die beiden zurück. Wasser tropfte auf den Boden der Brücke, als der eine von ihnen dem Kapitän Meldung machte.
„Ist ein Langwal, Kapitän. Ziemlich großer Bursche. Liegt direkt unter dem Rumpf und klopft mit seinen Tentakeln unter das Vorderschiff.“
„Brunftverhalten“, knurrte Venloe. „Der hält uns für ein paarungswilliges Weibchen.“
Jones sah, dass sich Malters Mundwinkel zu einem schwachen Lächeln verzogen. „Da werden wir ihn enttäuschen müssen. Irgendwann wird er es ja von selbst merken und sich verziehen, aber so lange können wir nicht warten.“
„Die Propeller, Kapitän“, meinte Venloe nickend.
„Richtig. Die Gefahr, dass er eines der Propellerblätter beschädigt, ist zu groß. Nun gut, erschrecken wir den Burschen ein wenig. Rudergänger, Maschine starten und Propeller in Betrieb nehmen. Zweihundert Touren rückwärts auf rechten Bug.“
„Zweihundert Touren rückwärts auf rechten Bug“, bestätigte die Frau am Steuerruder. Sie drückte einen Knopf, der den Maschinisten im Maschinenraum ein Signal gab.
Jones hörte den Knall, mit dem die Maschine zündete. Für einen kurzen Moment wurde die Brücke erhellt, als eine Funkengarbe aus dem Schornstein fuhr.
„Da werden die Schniefer sich aber freuen“, knurrte Venloe leise.
„Über defekte Propeller noch mehr“, entgegnete Malter.
Brummend fuhren die Turbinen an. Sie hörten es unter dem Heck rauschen, als die Propeller das Wasser zu peitschen begannen. Ein Ruck ging durch den Kreuzer, als sich die Blaubanner-Schwert unter dem Druck von Antrieb und Steuerruder etwas auf die Seite legte und den neuen Kurs aufnahm.
„Zweihundert Touren und rechter Bug liegen an, Kapitän“, meldete die Rudergängerin.
Die See am Heck schäumte, als das Schiff sich entgegen dem Druck der Segel plötzlich rückwärts bewegte, aber Jones erkannte, dass es keine andere Möglichkeit gab. Hätte die Schwert vorwärts beschleunigt, wäre sie über den Wal hinweggefahren und würde sich möglicherweise die Propeller beschädigen.
Ein leichter Schlag ging durch das Schiff und der Matrose, der immer noch seitwärts über der Reling hing, zog sich blitzartig an Deck zurück. „Schiff ist frei, Kapitän. Der Bulle ist ziemlich sauer.“
„Na, wer wäre nicht frustriert, wenn sich die Liebste verweigert?“, flüsterte Maria im Dunkel der Brücke.
„Maschine aus, Ruder mittschiffs auf altem Kurs“, befahl Malter.
Die Rudergängerin bestätigte. Das Brummen der Turbine und Rauschen der Antriebspropeller verstummte.
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