„Und?“, murmelte sie schließlich. Sie versuchte ihrer Stimme einen neutralen Klang zu geben, aber Nahed spürte ihre Anspannung. „Hast du dich entschieden?“
Er erwiderte ihren Blick und seine Stimme klang fest. „Krieg.“
Bijana nickte. „Ich dachte es.“ Für einen Moment schien ihr Nasenrüssel zu schrumpfen, ein Zeichen dafür, wie betroffen sie war. „Dann solltest du zu ihnen gehen und ihnen deinen Entschluss mitteilen. Sie sind bestimmt begierig, die frohe Nachricht zu hören.“
„Du bist keineswegs froh gestimmt.“ Nahed hatte die seltsame Empfindung, sich vor ihr rechtfertigen zu müssen. „Es gibt keinen anderen Weg. Elunt ist das Symbol unseres Verlustes. Hier in der alten Stadt brennt die ewige Flamme des Unvergessens. Wenn das Volk der Shanyar in den Krieg zieht, dann darf Elunt nicht fehlen.“
Bijana zuckte leicht mit der Nase. „Ginge es darum, unser Leben zu verteidigen, dann würde ich dir zustimmen. Aber was ihr plant, ist kein Krieg, Nahed-Sha-Elunt. Ihr plant die Ausrottung der Flachgesichter.“
Nahed-Sha-Elunt erwiderte nichts. Er verspürte den Wunsch, sie tröstend in den Arm zu nehmen und seinen Nasenrüssel an ihrem zu reiben, aber er wusste, dass sie diese Geste ablehnen würde, denn er und sein Entschluss waren der Grund für ihre Trauer. Er fühlte sich ein wenig hilflos, als er die Bibliothek verließ und in den Gang hinaustrat.
Der Kartenraum des Regierungssitzes lag im Obergeschoss und Nahed passierte eine metallene Schleuse, bevor er über die Treppe in das obere Stockwerk trat. Die druckdichte Tür des Kartenraums stand offen und Licht fiel in den Gang. Naheds bloße Füße spürten den Läufer aus grünem Rasen, der den Gang bedeckte. Kein gewöhnlicher Bodenbelag und Nahed hatte ihn mit Bedacht gewählt. Immer wenn er zum Kartenraum ging, in dem die Geschicke des Kampfes geplant wurden, erinnerte ihn der Rasen an das Land, von dem die Bewohner Elunts vertrieben worden waren.
Als Nahed den Raum betrat, standen Yehed-Sha und Botschafter Korus-Sha-Dor über den Kartentisch gebeugt und taten geschäftig, dabei hatten sie Naheds Schritte sicherlich gehört. Nahed räusperte sich und die beiden Shanyar richteten sich auf. Der Botschafter zeigte ein unbeteiligt wirkendes Gesicht, obwohl gerade er die treibende Kraft hinter den Kriegsbestrebungen war. Kaum jemand hasste die Flachgesichter so sehr wie Korus-Sha. Drei seiner Söhne waren gefallen und sein Weib hatte die Last des Kummers nicht mehr ertragen. Nahed konnte den Schmerz des Botschafters verstehen, aber durfte Schmerz zu blindem Hass führen?
Bei Yehed-Sha war das anders. Yehed war durch und durch ein Kämpfer. Er hatte als einfacher Gardist begonnen und sich durch Mut und Geschick in der Schlacht nach oben gearbeitet. Er war ein direkter und manchmal verletzender Charakter, aber er genoss den Rückhalt der Kämpfer. Korus-Sha hatte überlegt gehandelt, den Kampfherrn der Stadt Elunt sofort auf seine Seite zu ziehen. Viel war hierzu sicher nicht erforderlich gewesen. Auch Yehed war begierig auf den Krieg.
Wie erwartet, war es Yehed, der das Wort an den Oberherrn der Stadt richtete. „Es ist alles vorbereitet, Nahed-Sha. Elunt ist bereit.“
Nahed runzelte seinen Nasenrüssel. „Du tust gerade, als könne es an meiner Entscheidung keinen Zweifel geben.“
Yehed sah seinen Oberherrn offen an. „Nein, ich habe keinen Zweifel. Elunt ist die Flamme des Unvergessens und sie darf im Kampf nicht fehlen.“
Botschafter Korus-Sha-Dor nickte bestätigend. Sein Nasenrüssel blieb unbewegt und zeugte von seiner großen Beherrschung. „Ich kann im Namen der anderen Städte sprechen. Sie alle sind bereit.“
„Die Städte des Landes und die Städte der See“, bekräftigte Yehed. Die Spitze seines Nasenrüssels kräuselte sich. „Elunt sollte nicht fehlen.“
Nahed hatte seine Entscheidung getroffen und es gab keinen Grund, sie länger vorzuenthalten. „Elunt wird nicht fehlen.“
„Ja.“ Yehed-Sha schlug erregt mit einer Hand auf den Kartentisch. „Ja, ich sagte es.“
Der Botschafter begnügte sich mit einem Nicken. Er beugte sich zur Seite, wo auf einer kleinen Säule ein Tablett mit Erfrischungen stand, und reichte die Seetulpen weiter. Erneut nickte er und hob die Wasserpflanze an seinen Mund. „Auf den Krieg.“
„Auf die Vernichtung der Flachgesichter“, stimmte Yehed ein.
Nahed nickte stumm. Er setzte die Wassertulpe an, drückte sanft gegen den Kelch und spürte, wie der schmackhafte Symbiont der Pflanze in seinen Mund glitt. Sein Gaumen zerquetschte das Wassertier und Nahed leckte sich behaglich die Lippen, als der köstliche Brei durch seine Kehle glitt.
Er musterte die Gesichter von Yehed und Korus. Bijana hatte recht, letztlich würde der Krieg auf die Ausrottung der Flachgesichter hinauslaufen.
„ Blaubanner-Schwert“, schwerer Kreuzer des Blaubanners,
auf Heimatkurs im nördlichen Meer.
Die Heckpropeller liefen mit maximaler Drehzahl und brachten den Kreuzer auf volle fünfundzwanzig Kilometer in der Stunde. Die See rauschte am runden Bug des Schiffes vorbei. Jones war immer wieder fasziniert, wie das Licht der Sonne die Bugsee in glitzernde Fontänen verwandelte, die alle Farben des Spektrums widerspiegelten.
Er blickte zum vorderen Mast. Alle Segel waren eingeholt und provisorisch an den Rahen festgezurrt. Die Mannschaft war darauf vorbereitet, sie bei einem Ausfall der Dampfturbine rasch zu setzen, damit das Schiff in Fahrt und manövrierfähig blieb. Über den oberen Rahen befand sich der Masttop, eine kleine Aussichtsplattform, von der zwei Matrosen Ausguck nach Gefahren hielten. Gefahr war gleichzusetzen mit Schniefern, denn in diesem Gewässer gab es kein gefährliches Riff oder Untiefen. Diese Risiken würden erst auftauchen, wenn das Land und die Heimat in Sicht waren.
Jones blickte zur Brücke hinauf und sah Kapitän Malter und Venloe miteinander plaudern. Sie wirkten vollkommen entspannt, schienen überhaupt nicht auf die See zu achten, als könne nichts ihr Schiff bedrohen. Ihre Ruhe schien auf die Brückenbesatzung überzugreifen, während der Ausguck im Masttop aufmerksam umherspähte. Auch am Bug standen Posten, denn die Blaubanner-Schwert machte gute Fahrt. Das Wasser wurde von ihrem Bug geteilt und rauschte an den Flanken des Kreuzers entlang. Viel zu schnell, als dass ein Schnieferbeobachter unter dem Rumpf eine Überlebenschance gehabt hätte. So musste man sich auf die Augen der Posten und die Geschwindigkeit des Schiffes verlassen, um eine Gefahr rechtzeitig entdecken oder ihr entkommen zu können.
Die Beförderung hatte sich mit Windeseile an Bord herumgesprochen, aber Jones konnte sich noch nicht daran gewöhnen, plötzlich mit Lieutenant angesprochen zu werden. Statt mit Freude, erfüllte ihn der unerwartete Aufstieg mit Unbehagen und Wehmut. Noch vor Kurzem war sein Weg vorgezeichnet gewesen. Noch ein Jahr auf der Schwert und dann die reguläre Beförderung, die ihn automatisch auf ein anderes Schiff gebracht hätte, denn kein Offizier der Blaubannerflotte wurde auf einem Schiff eingesetzt, auf dem er zuvor als einfacher Kadett gedient hatte. Noch ein Jahr, in dem er von Malter und Venloe so vieles hätte lernen können. Noch ein Jahr in Marias Nähe.
Nun war seine Zukunft infrage gestellt. Warum die außerplanmäßige Beförderung? Sie konnte nur vom Oberherrn selbst ausgesprochen werden, aber was hatte Seine Hochheit zu diesem Schritt bewogen? Der Oberherr verschenkte keine Offizierspatente, man musste sie sich verdienen. Jones fragte sich besorgt, womit er sich diese rasche Beförderung verdienen sollte.
Er zuckte zusammen, als er Schritte hörte, und erkannte Maria, die neben ihn trat.
„Du siehst nachdenklich aus, Jones“, sagte sie leise und blickte rasch zur Brücke hinüber. Aber Malter und Venloe schienen sie beide nicht zu beachten. Die junge Frau berührte die Hand ihres Geliebten mit einer flüchtigen, nur für Jones wahrnehmbaren Geste. „Was bedrückt dich? Du solltest stolz auf die Beförderung sein.“ Sie lächelte sanft. „Deine Eltern wären es sicherlich.“
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