Auch als Till mit der großen Rohrzange auf seinen kleinen Bruder zu steuerte, sprang ich dazwischen und wurde von Malte mit einem strafenden Blick bedacht.
"Mama, wenn wir nichts machen dürfen, dann ist das völlig uncool!"
"Mein Sohn, statt meine Haushaltsgeräte zu werfen, könnten wir doch zum Zahnarzt gehen", war mein Argument als zaghafter Versuch den Hausstand zu retten.
"Nee," warf Till ein "das ist ja fast wie mogeln! So ein Zahn muss altmodisch gezogen werden!"
Was immer er damit meinte, es machte mir Angst, denn meine Kinder schäumten in ihrer Kreativität gerade zu über. Schließlich löste sich das Problem doch noch von allein, wenn auch anders und spektakulärer, als ich dachte.
Wie fast jeden Tag, marschierten meine Kinder am Vormittag zum Spielplatz an der Ecke. Bereits eine halbe Stunde später, schreckte mich ein infernalisches Gebrüll auf und ließ mich zur Haustür stürzen. Gerade schob Till den kreischenden Malte die Treppe hinauf, der immer nur herausbrachte: "Mein Zahn ist raus, ... mein Zahn ist raus!"
Ich dachte, mein Kleiner stehe unter Schock, ist doch gerade das Ausfallen des ersten Zahns immer auch mit einem kleinen Schrecken verbunden.
Also redete ich auf ihn ein, dass wir nun einen Grund zum Feiern hätten, er auf den Schreck ein großes Eis verdient hätte und überhaupt, die ganze Familie nun in Partystimmung sei.
Malte brüllte noch lauter und nun verstand ich nicht einmal mehr seine gestammelten Worte.
Till übernahm die Rolle des Übersetzers: "Mama, darum geht es doch gar nicht! Das war Maltes erster Zahn und jedes Baby weiß doch, dass die Zahnfee beim ersten Zahn mehr springen lässt. Glaubst Du, die kommt jetzt auf den Spielplatz und legt das Geld in den Sandkasten?"
Maltes Gebrüll steigerte sich um weitere schrille Nuancen.
So blieb mir nur das Gespräch mit seinem Unterhändler, dem großen Bruder, fortzusetzen. "Abgesehen davon, dass ich mir vorstellen könnte, die Zahnfee würde sicher auch mal eine Ausnahme machen. Mhm, wenn nicht, könnten wir ja einen kleine Notlüge anwenden und einen von Euren alten Milchzähnen unters Kissen legen."
Wie gut, dass Malte weiter brüllte, so kamen meine beiden Großen gar nicht auf die Idee nachzufragen, wie ich in den Besitz ihrer Milchzähne gelangte, die doch von der Zahnfee abgeholt worden waren.
Jedenfalls wurde mein Vorschlag mit einem skeptischen Blick abgewehrt. Das ging ja gar nicht, denn die Zahnfee wüsste doch schließlich, dass das nicht Maltes Zahn sei und am Ende würde sie ihn vielleicht noch wegen Betruges anzeigen.
Ich gab auf, meine Söhne packten sich ein Marschpaket, sammelten sich Grabwerkzeug zusammen und verließen das Haus, mit dem feierlichen Schwur, nicht eher wieder nach Hause zu kommen, bis sie den Zahn wieder gefunden hätten oder der Hunger sie zurück, gen Heimat trieb.
In den folgenden Stunden schickte ich Jemma immer wieder zum Spielplatz, um unauffällig den Stand der Dinge auszukundschaften. Abgesehen davon, dass die Brüder mittlerweile herausgefunden hatten, der Sandkasten sei sicher einen halben Meter tief und man den Hauch einer Klondike-Romantik verspürte, wenn man die beiden Jungs dort hocken und Sand sieben sah, gab es nichts Neues.
Dann, es war gegen späten Nachmittag, hörte ich erneut Geschrei.
Zuerst dachte ich, die Marschverpflegung sei aufgebraucht und meine Söhne schrien nach Futter, doch sie rannten die Straße entlang, wie zwei Läufer mit dem olympischen Feuer. Nur, dass sie keine Fackel trugen, sondern etwas anderes, kleineres, das in die Höhe gehalten wurde.
Es war ein Zahn!
Jubelnd sprangen sie um mich herum und berichteten von all dem Schweiß, den es sie gekostet hatte, doch dann lag er endlich im Sieb, schmutzig, Sand verklebt, aber er war da: der Zahn.
Ein wenig skeptisch schaute ich das weiße Krümelchen an. Ob sie denn sicher waren, dass dies tatsächlich Maltes Zahn sei, wagte ich kurz zu bezweifeln.
Empört baute Till sich vor mir auf.
"Mama, für wie dumm hältst Du uns eigentlich? Natürlich haben wir den Zahn zuerst in Maltes Lücke gehalten und er hat gepasst!"
Mich durchlief ein Schauer und ich sträubte mich vor dem Bild, wie Till Malte diesen Sand verklebten, möglicherweise sogar fremden Zahn in die Lücke stopfte, um eine optischen Vergleich zu haben.
Als er dann, beim Hinausgehen, noch nuschelte: "Wenn wir so dumm wären, hätten wir den anderen ja mitgebracht, der nicht gepasst hat!", wurde mir endgültig ganz anders und ich befahl Malte, sich gründlich die Zähne, samt den gesamten Mundraum zu putzen.
Mein kleiner Zahnsucher war glücklich und behielt das Zähnchen, bis zum Schlafengehen, bei sich.
Es muss wohl nicht gesondert erwähnt werden, dass die Zahnfee in dieser Nacht besonders großzügig war.
Beim Frühstück spielte Malte gedankenverloren mit seinen zwei Euro. Ich fragte ihn, ob er seinen Zahn vermisst, weil er so grübelte. Malte seufzte.
"Nee, Mama, den Zahn vermisse ich nicht. Aber Till meinte, die Zahnfee bringt für die Zähne doch immer fünfzig Cent. Für den Zahn habe ich gleich so viel mehr bekommen, dass ich gerade überlege, wo ich den nächsten verlieren muss, damit die Zahnfee weiter so großzügig bei mir ist."
Innerlich verabschiedete ich mich von meinem Bügeleisen.
Ich hasste es sowieso und ein Neues käme, langfristig gesehen, nicht teurer als der Spektakuläritätsbonus für Maltes Zahnungsorte.
Als aus meinem besten Freund mein Partner wurde, stand fest, wir wollten ein gemeinsames Baby. Ich hatte bereits drei Kinder, er eines, somit war klar: wir sind fruchtbar, dem Kind steht nichts im Weg.
Doch so recht wollte es nicht klappen, der Storch flog über ein Jahr eine Umleitung um unser Haus.
Naja, eigentlich nicht ganz, wie sich an einem kalten Morgen, Anfang Dezember, herausstellte.
Meine älteste Tochter, knapp 17 Jahre alt, nuschelte einen kurzen Gruß und huschte aus der Tür, Richtung Schule.
Morgenmuffel!
Dann fand ich den Zettel: "Mama, ich weiß nicht, wie ich Dir das sagen soll, aber ich bin total durcheinander, denn ich glaube, ich bin schwanger!"
Mein Kaffeepott landete unsanft auf dem Tisch, die Kinnlade ruhte irgendwo auf meiner Brust und irgendwann beschwerten sich meine Lungenflügel, weil sie gerade nichts zu tun hatten.
In meinem Kopf arbeitete nichts mehr, mein Körper handelte mechanisch und griff zum Telefon.
Wie in Trance wählte ich die Nummer meiner Tochter und zitierte sie mit einer langen Rede - "Egal, wo Du jetzt bist, es wird umgehend der Rückwärtsgang eingelegt und das heimische Schloss angesteuert!" - nach Hause.
Zehn Minuten später saß sie auf der Couch.
Sie kaute keine Nägel, nein, ihr Arm war bis zum Ellenbogen weg.
Innerlich versuchte ich mir eine Checkliste zurecht zu legen, nach der ich Jemma nun, so ruhig es mir möglich war, ausfragte. Ich war mir völlig sicher, sie hatte nur eine leicht verschobene Periode, die eben ein paar Tage später kommt.
"Wann hättest Du denn Deine Tage kriegen sollen?" schmunzelte ich sie noch siegessicher an.
"Ähm... also, ganz genau weiß ich das jetzt nicht... Ich würde sagen... so vor zwei oder drei... Monaten!"
Ein Moment für die Geschichtsbücher: Ich war komplett sprachlos und saß mit weit nach unten geklappten Kiefer da.
Der nächste mechanische Griff folgte zum Portemonnaie, ich zog irgend einen Geldschein raus, warf ihn Jemma hin und orderte die sofortige Beschaffung eines Schwangerschaftstest aus der Apotheke an.
Zwischenzeitlich rief ich meine Schwester an, um ihr zu erklären, dass wir uns gleich bei ihr treffen würden, um gemeinsam einen Schwangerschaftstest zu machen, bei dem sie entweder Jemma erste Hilfe, wegen Erleichterungsohnmacht oder selbige bei mir, wegen völligem Nervenzusammenbruch leisten müsse.
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