Er besaß nicht wirklich viele Freunde, im Vergleich zu ihrer ansehnlichen Sammlung. Außerdem war er nicht gerade aktiv im Social Network unterwegs und zu ihrem Leidwesen fand sie nicht heraus, mit wem er liiert war. Sie wollte ja nur einen klitzekleinen Blick auf die Dame des Hauses werfen, um ihren eigenen Voyeurismus zu befriedigen.
Enttäuscht klappte sie den Laptop zu und zog sich die Laufschuhe über. Dick vermummt joggte sie durch die Straßen, um ihren Kopf freizubekommen. Ohne es zu bemerken, war sie in die Richtung des Bistros gelaufen, in dem sie Florian zum ersten Mal begegnet war. Sehnsüchtig starrte sie durch die Scheibe und ließ ihrem Herzschmerz freien Lauf.
Oh nein, wie peinlich. Ihr Ex saß an einem der Tische und hielt mit seiner Neuen Händchen. Kopfschüttelnd blickte er Julia an. Wie konnte er nur! Florian hatte diesen Ort entweiht, für immer und ewig. Am meisten störte sie jedoch, dass er wahrscheinlich dachte, sie würde ihm hinterherspionieren. Wütend tippte sie sich mit dem Zeigefinger an die Stirn und trabte mit hängenden Schultern nach Hause.
Um den restlichen Nachmittag nicht sinnlos verstreichen zu lassen, breitete sie auf dem Schreibtisch die Lehrbücher aus und versuchte mit der nötigen Konzentration den Lernprozess zu beschleunigen. Das klappte genau zwanzig Minuten, dann zeigte das Smartphone akustisch eine Nachricht an. Wie hypnotisiert las sie die Zeilen, Christian lud sie zu einem Abendessen ein.
Obwohl, das stimmte nicht so ganz, denn er hatte eher im Alleingang beschlossen, mit ihr zu dinieren. Ort und Zeit standen bereits fest, fehlte nur noch, dass er ihr einen bestimmten Dresscode vorschrieben hätte. Sie war schon drauf und dran ihm eine Absage zu erteilen, als sie sich an die Begegnung mit Florian erinnerte.
Schien dieses Abendessen nicht geradezu dafür geschaffen, ihrem Ex auf diese Weise unter die Nase zu reiben, dass auch sie vergeben war? Sie brauchte ja nur ein Foto von Christian und dem opulenten Mahl zu posten. Immerhin waren Florian und sie noch befreundet, zumindest in den sozialen Netzwerken.
Ein reifer Mann interessierte sich für sie und alle Welt sollte es wissen. Und so schlecht sah Christian nun wirklich nicht aus, er war auf eine gewisse Weise durchaus vorzeigbar. Sie tippte ihm ihre Zusage und wühlte sich durch die Outfits im Kleiderschrank. In einem luftigen Sommerkleid hätte sie vielleicht mit ihren wohlgeformten Beinen punkten können, aber in Wollpullover und Jeans sah die Sache schon ganz anders aus.
Von der Figur her war sie eher der schlanke, sportliche Typ. Noch heute kam es manchmal vor, dass sie ihren Ausweis vorzeigen musste. Kritisch beäugte sie sich im Spiegel und wünschte sich ein wenig mehr Kaminholz vor der Hütten, mit dem das Weib locken konnte. Stattdessen wirkte sie zerbrechlich, ja beinahe kindlich …
Das warf natürlich einige Fragen auf. Warum interessierte sich Christian überhaupt für sie? Und was hielt seine Partnerin eigentlich davon, dass er sich mit anderen Frauen verabredete? Oder wollte der Chefkoch sie persönlich mit seinen Kochkünsten aufpäppeln? Vielleicht war es besser, sie zerbrach sich darüber nicht den Kopf. Hauptsache, es ergab sich eine passende Gelegenheit, um dieses Foto zu posten, und danach konnte die Welt untergehen.
Nach einer kurzen Dusche traf Julia die letzten Vorbereitungen für ihr Date mit Christian. Sie schminkte sich viel zu selten und nervös wie sie war, zitterten ihre Hände beim Auftragen der Mascara. Anschließend musste sie sich die schwarzen Tupfen sogar von ihrer Augenbraue wischen.
Damals, für das erste Treffen mit Florian, hatte Emily sie zurechtgemacht. Sie war das klassische Weibchen, mit Sommersprossen und Stupsnase weckte sie in jedem Mann den Beschützerinstinkt. Und mehr als einen einzigen Augenaufschlag brauchte es meist nicht, um das männliche Geschlecht davon zu überzeugen.
Emily ging unglaublich geschickt mit den Schminkutensilien um und das Ergebnis war hinterher stets perfekt. Julia staunte immer wieder über die eigene Verwandlung. Aber dieses Mal traute sie sich nicht, die Dienste ihrer besten Freundin in Anspruch zu nehmen. Emily würde die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Erst über die Idee mit dem Foto und dann wahrscheinlich über das Alter von Christian. Mit Sicherheit war es besser, Emily nicht einzuweihen.
Ein letztes Mal musterte sich Julia im Spiegel. Das flachsblonde Haar fiel in leichten Wellen auf ihre Schultern. Die Farbe des Shirts ließ sie ein wenig zu blass und die enge Jeans etwas zu dünn wirken. Aber mit dem Gesamtpaket konnte sie sich arrangieren. Sie zwängte sich in die dicke Winterjacke, griff nach dem Autoschlüssel und lief nach unten.
Kalte Winterluft strömte ihr entgegen, als sie die Haustür öffnete. War es wirklich die richtige Entscheidung, sich mit Christian zu treffen? Sie spürte förmlich, wie es sie zurück in ihre gemütlichen vier Wände zog. Die Kälte und die Dunkelheit wirkten wenig einladend.
Dann dachte sie an die händchenhaltende Szene im Bistro, verfluchte Florian und stieg in den Wagen. Ihre eiskalten Hände umklammerten das Lenkrad, während die Heizung auf Hochtouren lief. In Sekundenschnelle beschlugen die Scheiben von innen. Julia zockelte im Schneckentempo durch den Feierabendverkehr, während sich ihre Laune im Tiefflug befand.
Vor dem Restaurant musste sie einige Runden drehen, um einen Parkplatz zu ergattern. Mit raschen Schritten strebte sie zum Eingang und entdeckte Christian sofort. Er saß direkt vor dem Fenster und flirtete ganz ungeniert mit der Dame vom Nebentisch. Julias Enthusiasmus löste sich vollends auf.
Sie beschloss kurzerhand zurückzufahren, die Sache mit dem Foto war sowieso eine dumme Idee gewesen. Kaum hatte sie eine Kehrtwendung vollführt, klopfte Christian an die Scheibe. Wie ärgerlich. Enttäuscht drehte sie sich um und sah, wie er ihr zuwinkte. Warum hatte sie nur so lange gezögert?
Sie trat durch die große Glastür und steuerte den Tisch an. Christian nickte ihr zur Begrüßung zu, blieb aber sitzen. Ein Mann ohne Manieren, dachte Julia verärgert. Es wäre doch das Mindeste gewesen, ihr aus der Jacke zu helfen. Sobald sich eine günstige Gelegenheit ergab, würde sie sich unter einem Vorwand davonmachen.
Mühsam pellte sie sich aus ihrer Winterjacke und hängte sie an einen Haken.
„Ich habe bis vor einem Jahr in diesem Restaurant gearbeitet. Der gesamten Mannschaft musste ich das Kochen und den Service beibringen“, fügte er nicht ohne Stolz hinzu.
Bitte nicht schon wieder. Julia senkte ihren Blick und atmete tief durch. Am liebsten hätte sie ihm die Speisekarte um seine Ohren gehauen, aber diese Blöße wollte sie sich in aller Öffentlichkeit nicht geben.
„Na, dann bin ich aber gespannt, ob sich dein Einsatz auch gelohnt hat“, erwiderte sie mit einem Hauch von Sarkasmus.
Christians Blick verfinsterte sich. „Wie darf ich denn das bitte verstehen?“
„Ich freue mich auf das Essen, deinen Empfehlungen nach zu urteilen“, wich sie ihm aus.
„Ach so. Ich dachte schon, ich hätte dich falsch verstanden.“
„Aber nein, keine Sorge“, versicherte sie ihm mit einem aufgesetzten Lächeln. Der Appetit war ihr vergangen und sie wählte nur eine Kleinigkeit. Der enttäuschte Blick von Christian ließ sie kalt. Er konnte ja anschließend die Dame vom Nebentisch einladen.
„Du scheinst nicht auf deftige Hausmannskost zu stehen?“, fragte er, während sein Blick ihren Oberkörper streifte.
„Was willst du damit sagen? Dass du mehr auf Rundungen stehst und ich dir zu mager bin?“
Ihre Augen funkelten zornig. Dieser Mann brachte sie völlig aus dem Konzept, er musste ein Dauer-Abo für egomanes Verhalten abgeschlossen haben. Wie konnte er sie nur so verletzen, gleich beim ersten Treffen?
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