„Hätte ich dir gar nicht zugetraut.“
Hallo ? Für wen hielt sich dieser Möchtegern-Sternekoch eigentlich? Seine Worte hatten sie verletzt und erbost dachte sie an Florian - Männer waren doch alle gleich.
Endlich standen die Kaffeetassen auf dem Tisch und sie nippte mit kleinen Schlucken am heißen Getränk. Die vielen Leute engten sie ein und sie sehnte sich nach ihren eigenen vier Wänden. Christian seufzte mehrmals hintereinander und höflich, wie sie war, widmete sie ihm wieder ihre volle Aufmerksamkeit.
„Na, wo drückt der Schuh?“
„Frag lieber nicht.“
Er nahm einen großen Schluck, verbrannte sich die Lippen und fluchte einen Tick zu laut. Pikiert drehten sich die Damen vom Nebentisch in seine Richtung, jetzt war er definitiv in Ungnade gefallen. Doch das kümmerte ihn nicht. Unbeeindruckt fuhr er fort und redete sich fest. Schimpfte über das unfähige Personal, seinen schwulen Chef, die unbeholfenen Küchenhilfen und die völlig untalentierten Jungköche. Warum hatte sie ihn bloß ermuntert, sich alles von der Seele zu reden? Hatte sie nicht noch einen dringenden Termin?
Mit Sicherheit!
Demonstrativ warf sie einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Oh, das tut mir wirklich sehr leid“, unterbrach sie ihn und schenkte ihm ihren charmantesten Augenaufschlag, „aber ich muss noch ein Rezept zur Apotheke bringen. Meine Großmutter braucht ihre Herztabletten, sie kann unmöglich darauf verzichten.“
Eine unglaublich plumpe Ausrede, aber sie brachte es einfach nicht fertig, geschickt zu lügen. Christian blickte missmutig zu ihr auf, als sie sich erhob.
„Vielen Dank für den Kaffee, man sieht sich …“
Sie verabschiedete sich hastig und eilte nach draußen. Vor der Tür atmete sie erleichtert auf und lief in Richtung Parkplatz. Sie schämte sich ein wenig, ihn einfach sitzen gelassen zu haben, aber sie hätte es keine Sekunde länger ausgehalten.
Christian war schon ein komischer Kauz - selbstverliebt und arrogant. Warum hatte er sie so herabgestuft? Musste man einem Menschen immer genau ansehen, welchen Beruf er ausübte? Sie liebte Kinder und nach dem Abitur war nur das Studium in Frage gekommen.
Außerdem, irgendeine Mahlzeit konnte doch schließlich jeder zaubern? Der ganze Hype um diese trivialen Kochsendungen war ihr einfach suspekt. Da stiefelte ein Team aufgeplusterter Köche in irgendwelche Restaurants und bemängelte die Arbeit der Dilettanten am Herd. Und so, wie Christian über seine Kollegen vom Leder zog, würde er wunderbar in diese Truppe passen.
Endlich hatte Julia ihr Apartment erreicht und schloss die Eingangstür auf. Der aromatische Geruch von Zimt und eine wohlige Wärme strömten ihr entgegen. Wie sehr hatte sie diesen Augenblick herbeigesehnt. Die kärgliche Ausbeute ihrer Shoppingtour verstaute sie im Schlafzimmer, das eher einer winzigen Abstellkammer glich.
In der Küche brühte sie sich einen Tee, denn sie fror noch immer. Anschließend sprang sie unter die Dusche. Während das Wasser auf sie niederprasselte, musste sie unweigerlich an Florian denken. Wie oft hatten sie hier gemeinsam gestanden, das warme Nass und die prickelnde Körpernähe genossen. Zu den Wassertropfen auf ihrem Gesicht gesellten sich salzige Tränen. Ihre Liebesbeziehungen standen unter keinem guten Stern und bei der Partnerwahl bewies sie meist kein glückliches Händchen. Mit Florian, so hatte sie gehofft, würde alles besser werden. Aber dachte sie das nicht jedes Mal?
Nachdem sie ihren Eltern das Trennungsdrama gebeichtet hatte, bemerkte sie den flüchtigen Seitenblick ihrer Mutter. Wie sie zum Vater hinüberschaute, die Augen leicht verdrehte, getreu dem Motto: Hatten wir das nicht vorausgesagt?
Und nun stand sie hier, mutterseelenallein und umschlang mit ihren Armen den Oberkörper. Selbstmitleid hatte ihr noch nie gutgetan. Trotzdem heulte sie wie ein Schlosshund, hatte Sehnsucht nach Florian und wollte ihn wieder zurück. Sie pfiff auf ihren Stolz. Vielleicht sollte sie ihn anrufen? Aber war das wirklich eine Option? Warum konnte sie Florian nicht zum Teufel jagen, anstatt ihm hinterherzutrauern?
In Wahrheit fürchtete sie sich vor dem Alleinsein und diese Angst war tief in ihrem Unterbewusstsein verankert. Mehr als einmal hatte sie sich gefragt, woher diese zwiespältigen Gefühle stammten, die einfach aus dem Nichts auftauchten und über sie hinwegfegten. Wehleidig schluchzend verkroch sie sich im Bett, der Tee blieb unberührt in der Küche zurück.
Am nächsten Morgen hatte sie sich wieder etwas gefangen. Mit einer Tasse Kaffee saß sie vor ihrem Laptop und loggte sich in eines der sozialen Netzwerke ein. An diesem täglichen Ritual hatte sie stets festgehalten. Die witzigen Sprüche, die ihre Kommilitonen fleißig teilten, entlockten ihr oft ein herzhaftes Lachen. Sie war kein Morgenmuffel und liebte es, aktiv in den Tag zu starten.
Kaum im Netz wunderte sie sich über eine gewisse Freundschaftsanfrage. Wie hatte Christian sie bloß ausfindig gemacht und warum eigentlich? Sicherlich war er beinahe doppelt so alt wie sie. Doch warum sich jetzt den Kopf darüber zerbrechen, die Uni rief. Sie schnappte sich ihre Tasche und eilte aus dem Haus.
Nachdem sie den Wagen auf dem Universitätsgelände abgestellt hatte, lief sie die Flure zum Hörsaal entlang und ihre gute Laune verebbte schlagartig. Florian stand mit seiner neuen Flamme in einer Nische und küsste sie zärtlich auf die Stirn.
Julia versuchte sich nichts anmerken zu lassen, straffte die Schultern und schritt hoch erhobenen Hauptes an den Turteltauben vorbei. Es kostete sie einiges an Überwindung und am liebsten wäre sie umgekehrt, aber sie konnte nicht ewig davonlaufen. Der Ausspruch ihres Vaters, was Liebesbeziehung betraf, fiel ihr wieder ein. „Tauche deinen Füller niemals in Firmentinte.“ Tja, nun musste sie Florian ertragen, bis zum Ende ihres Studiums. Aber suchte man sich denn aus, in wen man sich verliebte?
Frustriert fischte sie ihr Smartphone aus dem Rucksack, nahm Christians Freundschaftsanfrage an und ließ es in die Jackentasche gleiten. Basta.
Vor dem Hörsaal wartete bereits ihre beste Freundin Emily auf sie.
„Guten Morgen Julia, hast du gut geschlafen?“
„Eigentlich schon. Aber kaum bin ich hier, läuft mir Florian über den Weg und reißt die alten Wunden wieder auf.“
„Du kommst darüber hinweg, glaube es mir. Ich mochte ihn sowieso nie besonders leiden.“
„Ich dafür umso mehr …“ Julia schniefte leise.
„Ach was. Vergiss diesen Kerl und lass uns reingehen.“
Die Vorlesung zog sich wie Gummi in die Länge. Von der eigenen Neugierde angestachelt, angelte Julia vorsichtig das Smartphone aus der Jacke und legte es auf ihre Knie. Mit wem Christian wohl alles befreundet war? Sein Beziehungsstatus interessierte sie besonders. Vergeben. Na ja, einen Versuch war es wert gewesen. Außerdem redete er zu viel über Gott und die Welt.
„Fräulein Lange, könnten Sie Ihre gesamte Aufmerksamkeit wieder meinem Vortrag widmen?“
Der grauhaarige Professor blickte streng über den Rand seiner Brille und Julia schoss die Röte ins Gesicht. Sie schaute wieder nach vorn, um den Ausführungen des Professors zu folgen, während Emily wissend grinste. Ja, das war auch so eines dieser Dinge, die sie ziemlich schlecht beherrschte. Sie konnte niemandem etwas vormachen und schon beim Abschreiben in der Grundschule hatte sie sich äußerst ungeschickt angestellt. Sie hegte sogar die heimliche Befürchtung, dass ihre zukünftigen Schüler sie mit Cleverness um Längen schlugen.
Zurück in ihrem kleinen Reich kickte sie die Schuhe von den Füßen und warf die Tasche auf das Sofa. Lustlos schob sie eine Lasagne in den Backofen. Eigentlich sollte sie sich auf eine anstehende Klausur vorbereiten, doch schon gestern hatte sie sich kurzfristig für die Shoppingtour entschieden und das Lernen sausen lassen. Auch heute fehlte ihr die nötige Muße und sie surfte stattdessen im Internet. Irgendwann blieb sie an Christians Profil kleben und studierte, was er von sich preisgab.
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