«Okay, ich komme!», meinte Daniel rasch und schaute sich um. Ein Taxi musste her und zwar schnell. War Jakob Saibling wirklich in seinem Penthaus? Schwer zu sagen. Saibling hatte gezögert.
«Tss, tss, tss ...», sagte nun wieder Johnny. «So leicht ist das nicht. Schon vergessen? Das ist ein Spiel. Du hast zwei Optionen. Entweder du kommst hierher und rettest Jakob. Oder seine Familie. Die ist nämlich nicht hier. Du hast also die Wahl. Kommst du hierher und rettest deinen Arbeitgeber und bewahrst dir die Option vielleicht auch mich zu erwischen, dann stirbt seine Familie. Oder andersherum. Du rettest seine Frau und Kinder. Dafür stirbt jedoch er und ich bin weg.»
«Hör auf mit diesem Versteckspiel», sagte Daniel wütend. «Du hast ein Problem mit mir! Was hat Herr Saibling damit zu tun?»
«Sein Name ist passend, findest du nicht? Er heißt wie ein Fisch. Ein schlüpfriger Waffenlobbyist. Ich weiß von den Waffen in Afghanistan, halte mich nicht für dumm. Und ich weiß auch, dass unser Auftrag im Nahen Osten im Grunde rein wirtschaftliche Gründe hatte. Herrgott, hältst du mich für blöd? Ich weiß, dass man damals vertuschen wollte, dass deutsche Waffen in die falschen Hände geraten sind.»
«Es war ein militärischer Auftrag», sagte Daniel: «Die Waffen waren mir egal. Das änderte nichts an meinem Auftrag. An unserem Auftrag.»
«Ja, das glaube ich dir sogar», meinte Johnny. «Aber dieser Kerl hier, dieser Saibling wusste auch davon. Und er ist auch der Grund, warum wir in einen Hinterhalt gerieten. Sie wollten nicht, dass wir dort lebend rauskommen. Weil du von den Waffen wusstest.»
«Das ist doch Unsinn», meinte Daniel. «Ich wusste, dass wir die Waffen dort zerstören sollten. Ja, weil sie in falsche Hände geraten waren. Herr Saibling hat damit nichts zu tun.»
«Sag es ihm», meinte die Stimme von Johnny etwas leiser. Er sprach nicht direkt ins Telefon. «Sag ihm die Wahrheit. Oder einer aus deiner Familie stirbt jetzt sofort!»
Man hörte im Hintergrund das Schluchzen. Dann war Saibling wieder am Apparat: «Es tut mir leid, Daniel. Er hat recht.»
«Was meinen Sie?», Daniel war verwirrt.
«Die Waffen. Oh Gott. Es war eine Lieferung alter T44-Gewehre.»
«Und?»
«Sie waren für die Taliban bestimmt. Nicht für die afghanische Armee.»
«Sie machen Scherze?»
«Nein. Die UN hat das mitbekommen. Und so befahl der Kommandeur diese Waffen zu vernichten.»
«Weiter. Erzählen Sie die ganze Geschichte!», hörte man Johnny aus dem Hintergrund.
Saibling tat sich sichtlich schwer: «Wir hatten die Taliban gewarnt. Deshalb waren die Waffen längst nicht mehr vor Ort. Die Container, die in die Luft gesprengt wurden, waren mit Metallschrott gefüllt.»
«Aber ...», Daniel überlegte. Sein Blick wanderte über den Karlsplatz. So viele Menschen, die hier im Frieden lebten. Im beschaulichen, ruhigen München. Solche Dinge wie in Afghanistan passierten, bekamen sie nicht mit. Sie lebten in ihrer eigenen Welt. Er ging ein paar Meter. «Wir haben also leere Container in die Luft gesprengt?»
«Nicht leer. Aber es waren keine deutschen T44-Gewehre darin», meinte Saibling.
«Verflucht!», meinte Daniel. «Wir sind auf massiven Widerstand gestoßen. Wieso haben die Taliban das Lager dann derart verteidigt?»
«Sagen Sie es ihm!», sagte die Stimme von Johnny barsch.
«Weil ..., weil wir dazu geraten hatten», sagte Jakob Saibling kleinlaut. «Wir wollten nicht, dass Sie zurückkommen. Bei der UN wäre das Einsatzziel erreicht gewesen, es wäre jedoch niemand aus dieser Einheit lebend herausgekommen.»
«Aus meiner Einheit!», schnaubte Daniel.
«Ja. Und es tut mir leid, ich ...», Saibling wollte etwas sagen, aber Johnny nahm ihm das Handy aus der Hand: «Siehst du Daniel. Es ist nichts so, wie du denkst. Und das ist das Paradoxe. Du warst der Offizier. Du warst die Schnittstelle zwischen dem Befehl von oben und uns. Du hättest es wissen müssen.»
«Und dafür verurteilst du mich? Weil ich genauso wenig wusste?»
«Nein, verdammt. Weil du mich zurückgelassen hast!»
«Dieser Hinterhalt», sagte Daniel laut: «Nach dem Einsatz kehrten wir zur Basis zurück. Was ist damit?»
«Sagen Sie es ihm!», meinte Johnny und Daniel spürte durch das Handy das Drängelnde in der Stimme.
«Das waren nicht einmal Taliban!», sagte Saibling und schluchzte: «Gottverdammt, ich bereue das so! Glauben Sie mir, ich habe nie eine Nacht ruhig geschlafen seitdem.»
«Wer, zum Teufel, war das dann?», Daniel war sichtlich wütend. Er ging wieder Richtung Hauptbahnhof zurück.
«Söldner. Meine Söldner. Als wir den Funkspruch hörten, dass Sie den Rückzug befohlen hatten, griffen wir auf Plan B zurück.»
Daniel wusste, dass es viele Söldner in Afghanistan gab. Oft von amerikanischen Unternehmen angestellt um die schmutzige Arbeit zu erledigen. Er hatte sie immer gehasst. Die besserverdienenden Kämpfer, die es nur des Geldes wegen machten. Vor seinem inneren Auge lief noch einmal das Gefecht ab. Alle hatte er verloren. Ihn hatte man zurückgelassen. Schwer verwundet. Als er wach geworden war, war er geflohen und schließlich auf afghanische Truppen gestoßen: «Sie waren es, der mich ausgeflogen hat. Das ist der Punkt, den ich nicht verstehe. Sie haben mich geholt.»
«Ich erfuhr von einem unserer Mittelsmänner in der afghanischen Armee, dass man einen Offizier gefunden hatte. Der sich an nichts erinnert. Ich wollte sie eigentlich töten lassen. Aber dann ... habe ich mich anders entschieden.»
Daniel erinnerte sich. Saibling war es gewesen, der ihn im Lazarett der afghanischen Truppen besucht hatte. Ein deutscher Unternehmer in der Waffenindustrie. Und er war es gewesen, der ihm geraten hatte in Deutschland unterzutauchen. Man hatte ihn für tot erklärt und das sollte auch so bleiben: «Sie haben mir eingeredet, dass es besser ist für immer tot zu sein. Dass man mich nie in Ruhe lassen würde ...»
«Das ist nicht ganz wahr,», meinte Saibling. Seine Verteidigung wirkte brüchig: «Sie litten unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Sie waren fix und fertig. Ich habe ihnen nur einen Ausweg gezeigt. Aus der Gesellschaft.»
«Nun ja. Normalerweise macht man das andersherum», lachte Johnny spöttisch im Hintergrund: «Man versucht solche Leute in die Gesellschaft zurückzuführen.»
«Sie haben mir einen Job gegeben. Ich habe für Sie Ihre Familie beschützt, ich bin ... war Ihr Sicherheitschef ... Sie verdammtes Arschloch!», Daniel war außer sich. So einiges wurde ihm klar. Jetzt verstand er, warum ihm Saibling geholfen hatte und ihm sogar einen Job angeboten hatte. Ihm, dem einsatzgeschädigten Offizier: «Wieso?»
«Die Frage ist interessant», sagte Johnny laut und deutlich in den Apparat. Er schien das Telefon wieder an sich genommen zu haben: «Aber dafür haben wir nun keine Zeit. Du hast zwei Möglichkeiten, Hauptmann. Entweder er stirbt und wie wir nun erfahren haben, hat er es verdient. Oder seine unschuldige Familie. Ihn findest du in seinem Loft hier in München. Die Familie ist daheim in seinem Haus in Grünwald. Deine Entscheidung!»
«Fick dich!», sagte Daniel wütend.
Johnny lachte. «Du hast eine Stunde! Ab jetzt. Tick tack. Die Zeit läuft ...»
Dann war das Telefon tot.
Elisabeth versuchte nicht zu heulen. Aber das war gar nicht so einfach. Ihr Herz pochte schmerzhaft in ihrer Brust. Die Hölle war über ihr Leben eingebrochen. Der Mann, der in ihr Haus eingedrungen war, hatte sie auf einem Stuhl gefesselt. Sie und ihre beiden Kinder. Der zehnjährige Timo und die zwölfjährige Steffi. Ihr ein und alles. Ihre Familie. Unschuldige Kinder.
«Bitte», flehte sie. «Bitte lassen Sie uns frei. Wenigstens meine Kinder. Sie haben nichts getan.»
Der Mann grinste. «Das ist immer so eine Frage, wer was getan hat. Ich entscheide das nicht. Sondern mein Boss.» Er spulte das Aufnahmegerät zurück, dass er in der Hand hielt. Und ließ es dann ablaufen. Zu hören waren die beiden Kinder. Er hatte sie gezwungen ein Lied zu singen. Gefühlte hundert Mal hatten sie einen neuen Versuch unternommen. Bis sie endlich aufhörten zu schluchzen. Und schließlich fehlerfrei den Text wiedergaben: « Heile, heile München, es schlägt dein letztes Stündchen,
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