des Nennens wert: »Ihro Exzellenz, Ihro Gnaden haben
gewonnen« (höchstens mochte man hinzusetzen: »mit
mir«); daß man bei Tische den abgeleckten Löffel, womit
man gegessen, nicht wieder vor sich hinlegen solle, wie so
viele tun; daß es anständig sei, wenn man jemand im
Vorbeigehn grüßen will, den Hut auf der Seite abzuziehn,
wo der Fremde nicht geht, damit man ihn nicht damit
berühre und sein Gesicht nicht vor ihm verberge; daß
man, wenn man jemand etwas darreicht, es, insofern dies
zu ändern steht, nicht mit der bloßen Hand hingeben
müsse; daß es sich nicht schicke, in Gesellschaften in das
Ohr zu flüstern, bei Tafel krumm zu sitzen, unanständige
Gebärden zu machen, noch zu leiden, daß ein
Frauenzimmer oder jemand, der vornehmer ist als wir,
von einer Speise, die vor uns steht, vorlege; daß es
unartig sei, in Gesellschaften jemanden einen
unschuldigen Spaß zu verderben, z.B. wenn er
Kartenkünste zeigt und wir wissen, wie das Stück
gemacht wird, das kleine Wunder zu enthüllen, und
dergleichen Regeln mehr zu geben, dazu ist hier nicht der
Ort. Leuten von gewissem Stande und einer nicht ganz
gemeinen Erziehung ist das in der ersten Jugend schon
eingeprägt worden; nur erinnere ich, daß diese kleinen
Dinge in mancher Leute Augen keine kleinen Dinge sind
und daß oft unsre zeitliche Wohlfahrt in solcher Leute
Händen ist.
44.
Soviel über den äußern Anstand und über schickliche
Manieren. Also nur noch etwas über die Kleidung. Kleide
Dich nicht unter und nicht über Deinen Stand; nicht über
und nicht unter Dein Vermögen; nicht phantastisch;
nicht bunt; nicht ohne Not prächtig, glänzend noch
kostbar; aber reinlich, geschmackvoll, und wo Du
Aufwand machen mußt, da sei Dein Aufwand zugleich
solide und schon. Zeichne Dich weder durch
altväterische, noch jede neumodische Torheit
nachahmende Kleidung aus. Wende einige größere
Aufmerksamkeit auf Deinen Anzug, wenn Du in der
großen Welt erscheinen willst. Man ist in Gesellschaft
verstimmt, sobald man sich bewußt ist, in einer
unangenehmen Ausstaffierung aufzutreten.
45.
Es gibt noch andre kleine gesellschaftliche
Unschicklichkeiten und Unkonsequenzen, die man
vermeiden und wobei man immer überlegen muß, wie es
wohl aussehn würde, wenn jeder von den Anwesenden
sich dieselbe Freiheit erlauben wollte; zum Beispiel:
während der Predigt zu schlafen; in Konzerten zu
plaudern; hinter eines andern Rücken einem Freunde
etwas zuzuflüstern oder ihm Winke zu geben, die jener
auf sich deuten kann; überhaupt das Ins-Ohr-Reden in
Gesellschaften; wenn man lächerlich schlecht tanzt oder
ein Instrument elend spielt, sich damit sehn und hören zu
lassen und dadurch die Anwesenden zum Spotte und
zum Gähnen zu reizen; wenn uns die Leute aus dem
Wege gehn wollen, ihnen, wie Yorick der Marquise von
F*** in Mailand, zehnmal auf allen Seiten
entgegenzurennen; wenn wir ein Kartenspiel nicht
verstehn oder höchst langsam spielen, uns den noch
dabei hinzusetzen, unsrer Gegner Geduld auf die Probe
zu stellen und unsern Gehilfen durch Ungeschicklichkeit
in Verlust zu bringen; bei dem Tanze zugleich die
Melodie mitzusingen; in Schauspielen so hinzutreten, daß
man nicht über uns wegsehn kann; in jede Versammlung
später zu kommen, früher wegzugehn oder länger zu
verweilen als alle übrigen Mitglieder der Gesellschaft. –
Vermeide dergleichen Unschicklichkeiten. Blicke nicht in
fremde Papiere. Auch mag mancher nicht leiden, wenn
man ihm beim Lesen, Arbeiten u. dgl. auf die Finger
sieht. Bleibe auch nicht allein im Zimmer, wo Schriften
oder Gelder herumliegen.
46.
Wenn die Frage entsteht: ob es gut sei, viel oder wenig in
Gesellschaft zu erscheinen, so muß die Beantwortung
derselben freilich nach den einzelnen Lagen,
Bedürfnissen und nach unzähligen kleinen Umständen
und Rücksichten bei jedem Menschen anders ausfallen;
im ganzen aber kann man den Satz zur Richtschnur
annehmen: daß man sich nicht aufdrängen, die Leute
nicht überlaufen solle und daß es besser sei, wenn man es
einmal nicht allen Menschen recht machen kann, daß
gefragt werde, warum wir so selten, als geklagt, daß wir
zu oft und allerorten erscheinen. Es gibt einen feinen
Sinn dafür (wenn uns nicht übertriebene Eitelkeit und
Selbstsucht die Augen blenden), einen Sinn, der uns sagt,
ob wir gern gesehn oder überlästig sind, ob es Zeit ist
fortzugehn, oder ob wir noch verweilen sollen.
Übrigens rate ich, wenn man sich so weit in seiner
Gewalt haben kann, mit so wenig Leuten als möglich
vertraulich zu werden, nur einen kleinen Zirkel von
Freunden zu haben und diesen nur mit äußerster
Vorsicht zu erweitern. Gar zu leicht mißbrauchen oder
vernachlässigen uns die Menschen, sobald wir mit ihnen
vollkommen vertraulich werden. Um angenehm zu leben,
muß man fast immer ein Fremder unter den Leuten
bleiben. Dann wird man geschont, geehrt, aufgesucht. –
Deswegen ist das Leben in großen Städten so schön, wo
man alle Tage andre Menschen sehn kann. Für einen
Mann, der sonst nicht schüchtern ist, ist es ein
Vergnügen, unter Unbekannten zu sitzen. Da hört man,
was man sonst nicht hören würde; man wird nicht
gehütet und kann in der Stille beobachten.
47.
Man vermeide aber, in alle Zirkel große Forderungen
mitzunehmen, allen Menschen alles allein sein, mit aller
Gewalt glänzen, hervorgezogen werden zu wollen, zu
verlangen, daß aller Menschen Augen nur auf uns
gerichtet, ihre Ohren nur für uns gespitzt seien; denn
sonst werden wir freilich uns aller Orten zurückgesetzt
glauben, eine traurige Rolle spielen, uns und andern
Langeweile machen, menschenscheu und bitter die
Gesellschaft fliehn und von ihr geflohn werden. Ich
kenne viele Leute von der Art, die durchaus, wenn sie
sich in vorteilhaftem Lichte zeigen sollen, der
Mittelpunkt sein müssen, um welchen sich alles dreht,
sowie überhaupt manche Menschen im gemeinen Leben
niemand neben sich vertragen, der mit ihnen verglichen
werden könnte. Sie handeln vortrefflich, groß, edel,
nützlich, wohltätig, geistreich, sobald sie es allein sind, an
die man sich wendet, von denen man bittet, erwartet,
hofft; aber klein, niedrig, rachsüchtig und schwach,
sobald sie in Reihe und Gliedern stehn sollen, und
zerstören jedes Gebäude, wozu sie nicht den Plan
gemacht oder wenigstens die Kranzrede gehalten haben,
ja ihr eigenes Gebäude, sobald nur ein andrer eine kleine
Verzierung daran angebracht hat. Dies ist eine
unglückliche, ungesellige Gemütsart. Überhaupt rate ich,
um glücklich zu leben und andre glücklich zu machen, in
dieser Welt so wenig als möglich zu erwarten und zu
fordern.
48.
Mache einigen Unterschied in Deinem äußern Betragen
gegen die Menschen, mit denen Du umgehst, in den
Zeichen von Achtung, die Du ihnen beweisest. Reiche
nicht jedem Deine rechte Hand dar. Umarme nicht jeden.
Drücke nicht jeden an Dein Herz. Was bewahrst Du den
Bessern und Geliebten auf, und wer wird Deinen
Freundschaftsbezeigungen trauen, ihnen Wert beilegen,
wenn Du so verschwenderisch in Austeilung derselben
bist?
49.
Sei, was Du bist, immer ganz und immer derselbe. Nicht
heute warm, morgen kalt; heute grob, morgen höflich
und zuckersüß; heute der lustigste Gesellschafter, morgen
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