»Er hat mit irgendeinem Typ eine Bank ausgeraubt, aber als sie das Geld hatten, fing der Filialleiter an zu heulen. Poff hat das nicht ausgehalten, psychisch, meine ich. Anstatt so schnell wie möglich abzuhauen, heulte Bertram mit und entschuldigte sich. Tja, so war er.«
»Und der andere?«, fragte Herbert. »Hat der auch geheult?«
»Der konnte mit dem Geld abhauen. Er wurde nie geschnappt.«
»Wie hieß er?«, fragte Doris.
»Sie werden es nicht glauben, aber Poff weigerte sich standhaft, seinen Namen zu verraten. Das nennt man wohl Ganovenehre.«
»Ich glaube, das nennt man Berechnung«, sagte Reinhold. »Hätte man ihn geschnappt, wäre das Geld erst recht futsch gewesen. Lieber schwieg er in der Hoffnung, später doch noch zu seinem Anteil zu kommen.«
»Kann schon sein, dass er das gehofft hat«, antwortete Lottchen lahm.
»Wie lange war er im Gefängnis?«, fragte Doris.
»Wie ich schon sagte. Ziemlich lange.«
»Kannten Sie ihn da schon?«
»Zum Glück nicht, sonst hätte ich ihn im Knast besuchen müssen.« Sie tippte an ihre Stirn. »Besten Dank auch.«
»Wie lernten Sie ihn kennen?«, fragte Reinhold.
»In einer Kneipe in Perlstetten. Ich weiß selbst nicht mehr, wie ich da überhaupt reingekommen bin. Das war so ein richtig mieser Schuppen mit richtig miesen Typen drin.«
Sie senkte ihren Kopf und zog die Mundwinkel an, so als wolle sie ihnen deutlich machen, wie unbegreiflich ihr die Bekanntschaft mit diesem Taugenichts selbst vorkam.
»Und in diesem miesen Schuppen mit all den miesen Typen begegneten Sie Bertram, Ihrem späteren Verlobten.«
Lottchen hob ihren Kopf und musterte den Bestatter von der Seite. »Sie scheinen ja ein ganz besonders toller Hecht zu sein«, sagte sie und wedelte mit den Händen wie zur Unterstreichung ihrer hohen Meinung über ihn.
»Wieso war er so ungepflegt, und wieso trug er Gummistiefel?«, wollte Evi wissen.
»Ich sagte doch gerade, dass er kein Geld hatte«, antwortete Lottchen mit zunehmender Gereiztheit. »Haben Sie schon mal einen gepflegten Habenichts gesehen? Also ich nicht.«
Evi schüttelte ihren Kopf. »Ich auch nicht.«
»Haben Sie eine Idee, wieso er nach Mänzelhausen kam?«, fragte Margot.
»Ich hatte mit ihm Schluss gemacht. Damit hatte er natürlich nicht gerechnet. Er dachte allen Ernstes, ich würde das ewig mitmachen, ich meine, so wie er lebte. Aber da hatte er sich geschnitten. Jedenfalls rief er einen Tag vorher an und sagte, dass er unbedingt mit mir sprechen muss. Er ließ nicht davon ab, und ich war schon in hellster Aufregung, bevor er überhaupt angekommen war. Als ich ihn dann sah, halbnackt, ist mir der Kragen geplatzt. In dem Moment war er für mich endgültig gestorben.«
»Was er zwei Tage später tatsächlich war«, sagte Reinhold nicht ohne Mitgefühl.
»Haben Sie ihn in den zwei Tagen bis zu seiner Ermordung noch einmal irgendwo gesehen oder getroffen?«, fragte Doris.
»Nein«, antwortete Lottchen knapp.
»Weshalb sind Sie eigentlich nach Mänzelhausen gezogen?«, fragte Margot.
»Weshalb? Deshalb!«, schnauzte Lottchen. »Das hat mich die Schmontz auch schon gefragt.«
»Wundert Sie das? Unser Dorf hat einer schönen Frau wie Ihnen doch gar nichts zu bieten«, meinte Doris.
»Was hat denn was zu bieten mit Schönheit zu tun?«, blaffte Lottchen zurück. »Ich brauche nichts und niemanden, das oder der mir was bietet. Ich wohne hier. Sie doch auch.«
Misstrauisch sah sie von einem zum anderen. »Wenn das alles war, werde ich jetzt gehen. Der Champagner war gut, aber ich krieg allmählich einen sauren Magen.«
»Oh, Sie Ärmste!«, rief Evi und legte eine Hand auf ihre Brust. »Sodbrennen ist eine Heimsuchung, das kann ich nur bestätigen. Sobald ich auch nur eine Champagnerflasche ansehe, beginnt mein Magen zu rebellieren. Daher nehme ich nur Likör zu mir, aber selbstverständlich nicht jeden.«
Sie wies auf ihre Flasche. »Feinster italienischer Mandellikör. Möchten Sie mal probieren?«
Lottchen griff nach der Flasche und betrachtete das Etikett. »Hoffentlich wird mir nicht schlecht, aber wie soll ich das herausfinden, wenn ich nicht probiere?« Sie lachte laut und wedelte dabei mit der Flasche über ihrem Kopf.
Doris war augenblicklich aufgesprungen und zum Gläserschrank geeilt. Zurück kam sie mit einem Likörglas, das sie vor Lottchen auf den Tisch stellte. Evi schenkte ein.
»Ihr Verlobter Bertram Poff besaß also die Ausweispapiere von Holger Bölker. Wieso? Ich meine, warum?«, fragte Doris.
»Ich weiß es nicht. Dieser Bölker oder irgendein anderer hat sie ihm vielleicht gegeben, kann aber auch sein, dass Poff sie gefunden und eingesteckt hat.«
»Hat Beckergsell Ihnen gesagt, wieso er glaubt, dass Holger Lothars Bruder ist? Es hätte doch auch ein anderer gewesen sein können, der zufällig ebenfalls Bölker hieß.«
»An so eine Frage erinnere ich mich nicht. Ich hab ihm nur gesagt, dass ich die Typen nicht kenne, und dass einer von beiden mal hier gelebt hat, weiß ich erst seit letzten Donnerstag.«
»Haben Sie einen Verdacht, wer Ihren Verlobten getötet haben könnte?«, fragte Doris. »Vielleicht Holger Bölker?«
Lottchen antwortete mit einem heftigen Schluckauf. Ihr Likörglas war leer. Sie konnten hören, wie sie den Zucker von ihrer Zunge wegschmatzte, dann wischte sie mit einer Hand ihren Mund sauber und danach dieselbe Hand an ihrem Rock.
Ganz langsam erhob sie sich, doch sie schwankte und suchte Halt an den Schulterpolstern von Reinholds gut und gerne tausend Euro teurem Maßanzug. Sie krallte sich daran fest wie seinerzeit Lothar an Evis Kleid, als diese seinen großen Zeh durchbohrt hatte.
»Entschuldigung«, lallte sie, doch der Bestatter machte nicht den Eindruck, als wolle er sich damit zufriedengeben. Angewidert stieß er sie von sich und löste damit einen fürchterlichen Tumult aus, denn Lottchens Mantelschöße fegten nicht nur alle Gläser vom Tisch, sondern auch Evis bis oben hin mit gelben Kippen gefüllten Aschenbecher.
Alle sahen, wie sie eine Hand auf ihren Mund legte und mit den Augen rollte. »Oh Gott, ist mir schlecht.«
Im Fallen riss sie den Flaschenkühler mit sich, der zu gut einem Drittel mit Eiswürfeln und Wasser gefüllt war. Sie schrie auf vor Schreck, als die eisige Welle über ihren Rücken schwappte und die Eiswürfel über ihren Kopf hinwegkollerten. Sie selbst war auf allen vieren gelandet und zwischen Reinholds Sofa und dem abgeräumten Tisch steckengeblieben. Herbert hatte schließlich das einzig Vernünftige getan, nämlich sie bei den Händen gepackt und sprichwörtlich aus der Klemme gezogen.
Als sie wieder auf ihren Beinen stand, glichen ihre Bewegungen denen eines betrunkenen Matrosen, aber Doris und Herbert kamen ihr zu Hilfe und führten sie hinaus. In der Halle knöpften sie ihren Mantel zu, schnappten sich je einen Arm und schleiften sie so im Laufschritt über die verschneiten Straßen bis zu ihrem Haus. Dort wühlten sie in ihren Taschen nach dem Schlüssel, fanden ihn und schlossen auf. Drinnen machten sie Licht, und dann zogen und schoben sie Lottchens schlaffen Körper die steile Treppe hinauf in ihr Schlafzimmer, wo sie mit einem tief aus ihrer Kehle vernehmbaren, schaumig gluckernden, ich glaub, ich muss kotzen rücklings auf ihr Bett fiel und keinen Mucks mehr von sich gab.
»Da haben wir was Schönes angerichtet«, sagte Doris und blickte schuldbewusst auf die Betrunkene. »Sie scheint keinen Alkohol zu vertragen. Dabei waren es höchstens eineinhalb Flaschen, und das bisschen Mandellikör kann doch unmöglich solch eine Wirkung haben. Ich schlage vor, dass einer bei ihr bleibt, bis sie wieder nüchtern ist.«
Herbert schüttelte seinen Kopf und schritt bereits zur Tür.
»Das dachte ich mir«, sagte Doris gereizt, während sie sich abmühte, die Bettdecke unter Lottchens Körper hervorzuziehen. »Dann sagen Sie wenigenstens den anderen Bescheid. Wir treffen uns dann morgen wieder.«
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