Nach anfangs vergeblichen Versuchen schossen die Flammen hoch in den Himmel und tanzten mit dem Wind. Ein Genuss für meine Augen! Ich liebte das Feuer, es war voller Geheimnisse. Ein Kind wollte die Feuersteine testen und warf sie in den Glutherd. Das Feuer knisterte und verfärbte sich, am Boden leuchtete es türkis, nach oben hin ging es allmählich in Lila über. Die bunten Farben zierten den tristen, grauen Himmel wie ein schönes Bild eine hässliche Wand. Wie ich mich auf das Fest am Abend freute! Hoffentlich würde es nur nicht schon wieder regnen.
Je länger ich das Feuer beobachtete, desto tiefer tauchte ich in meine Gedankenwelt ein. Erst als es dunkel wurde, ermahnte mich eine innere Stimme und holte mich brutal zurück in die Wirklichkeit. Ich hatte viel zu lange Pause gemacht! Der Sack war nicht einmal zur Hälfte mit Kartoffeln gefüllt, und ich musste noch kochen. Mutter würde wütend sein!
Ich rannte zurück zu unserem Haus. Die Lampen im Inneren brannten, und ich sah meine Mutter in der Küche arbeiten. Sie war schon nach Hause gekommen. Verdammt sei ich!
Ins Haus gehen konnte ich nicht. Sie würde sehen, wie wenig Kartoffeln ich geerntet hatte, und mich als faul beschimpfen. Welche Wörter würden diesmal fallen? Nutzlos? Schande? Enttäuschung? Und selbst wenn ich gekocht hätte, würde sie das Essen als fad und mich als zu dumm zum Kochen bezeichnen.
Ich ging zurück zu meinem Lieblingsplatz und holte mein Messer aus der Tasche. Es war ein kleines Messer mit einer Klinge fast so lang wie meine Hand. Warum hatte ich es überhaupt mitgenommen? In den Griff war ein Pilz mit Gesicht eingeritzt. Der Pilz lächelte. Er lächelte immerzu. Er schien glücklich zu sein auf dem Griff des Messers.
Ich versuchte, meine Gedanken in eine andere Richtung zu lenken. Bloß – wie sollte mir das gelingen? Ich biss mir auf die Lippe. Als ich Blut schmeckte, ließ ich von der Lippe ab und presste die Zähne zusammen. Nichts half. Die Stimme meiner Mutter hämmerte mir gegen den Kopf. Ginge ich zu ihr, würde ich ihr ausgeliefert sein, ohne Versteck, ohne Fluchtmöglichkeit. Ich würde mir wieder anhören müssen, ich sei schuld, dass mein Vater uns verlassen hatte. Ich spürte ein flaues Gefühl in der Brust, und mir wurde unerträglich heiß. Schon bald liefen mir Tränen die Wangen hinunter, ich konnte sie einfach nicht aufhalten.
Wieso weinst du?
Ich sprach zu mir, als wäre ich eine Außenstehende. Wie ein Vogel, der mich beobachtete und über mich urteilte.
Du hast keinen Grund zu weinen. Es ist nichts Schlimmes passiert, und mehr schimpfen als sonst wird Mutter auch nicht.
Mein Geist hatte meinen Körper nicht unter Kontrolle, meine Stimme vermochte mir nichts zu sagen. Ich sah mir dabei zu, wie ich das Messer nahm und die Spitze der Klinge an meinen Unterarm hielt.
Lass es, es wird dir nicht helfen!
Ich drückte zu. Die ersten Blutstropfen kamen zum Vorschein und zeigten sich in einem schönen, dunklen Rot. Ich spürte keinen Schmerz. Ich drückte fester zu und führte die Klinge meinen Arm entlang. Jetzt spürte ich auch sanfte Schmerzen. Die Klinge hinterließ einen Pfad aus Blut, es trat langsam aus der Wunde aus und lief in verschiedenen Bahnen den Arm entlang. Danach tropfte es langsam auf die Wiese. Ein schönes Schauspiel, ich sollte es auf einem Bild festhalten.
Was sagst du dazu, kleiner Pilz?
Er sagte nichts, aber er lächelte immer noch.
Wie glücklich du bist! Ich möchte auch glücklich sein.
Es war bereits mitten in der Nacht, als das Wirtshaus sich langsam wieder mit Leben füllte. Nur leider nicht so, wie ich mir das vorgestellt hatte. Der Fremde wartete neugierig auf Tarlows Bericht über die Ereignisse, die ich am liebsten für alle Zeiten verschwiegen gewusst hätte.
Tarlow fuchtelte mit seinem Zeigefinger vor unseren Nasen herum. Er nahm noch einen Schluck Bier, dann fing er an zu erzählen: »Es fing vor drei Tagen an«, sagte er. »Es war ein Tag wie jeder andere, jeder erledigte seine Arbeit.«
»Alles war wie immer«, fügte Jack mit lauter Stimme hinzu.
»Das sagte ich bereits«, blaffte Tarlow ihn an.
»Ich will nur, dass du die Geschichte richtig erzählst. Wenn du so erzählst, wie du Karten spielst, ist unser Gast bald eingeschlafen, har!«, rief Jack und schlug seinen Krug auf den Tisch. Er sprach so laut, als sollte jeder im Dorf ihn hören können.
Der Fremde betrachtete Jack und musste lachen. Jack hingen einige Brotkrümel im Bart, aber auch ohne sie wäre seine Belustigung nicht ungewöhnlich gewesen. Jack war klein und dick, und wegen seiner Glatze und seines üppigen Schnauzers guckten ihn die Menschen oft und gerne an. Vor allem Kinder liebten sein komisches Aussehen und nannten ihn daher ›den Hofnarren Schwarzbachs‹.
Tarlow rollte mit den Augen, verkniff sich aber eine Antwort. »Die Sonne stand tief im Westen«, fuhr er fort, »und wir wollten gerade ins Wirtshaus gehen, als Lynna geschrien hat. Der Schrei war so laut und grässlich, das ganze Dorf hat es gehört und ist zu ihr gerannt.«
»So viel Aufmerksamkeit hat sie nicht mehr bekommen, seit sie vom Pferd gefallen ist, har!«, sagte Jack und lachte, doch keiner lachte mit ihm. Nacheinander schaute er uns an. »Erinnert ihr euch nicht? Das war ein Witz wie vom Narren gespielt!«
»Ich erinnere mich«, sagte ich, um Jack zufriedenzustellen.
»Darf ich jetzt weiterreden, verdammte Axt?«, fragte Tarlow und schaute Jack grimmig an. »Wir sind sofort zu ihr gelaufen und haben das Unheil mit eigenen Augen gesehen. Eine tote Maus lag vor dem Gebetshaus.«
Der Fremde nahm seinen Kopf zurück und zog die Augenbrauen zusammen. »Vor eurem Gotteshaus?«
Tarlow nickte. »Und jeder weiß, was ein totes Tier vor einem Gotteshaus bedeutet. Es ist eine Botschaft der Finsternis, ein Werk Schwarzer Magie.«
»Ich kenne ein Lied, das mit einer toten Maus anfängt und im Ewigen Feuer endet: ›Kalour, der Zügellose‹. Wird sicher nicht auf Hochzeiten gespielt.«
»Ist mir nicht bekannt. Jedenfalls haben wir die Maus sofort dort begraben. Nur die Götter wissen, ob das die richtige Entscheidung war.«
Der Fremde zuckte mit den Achseln.
»Geholfen hat es nicht«, fuhr Tarlow fort. »Am nächsten Tag lag ein toter Rabe vor dem Gebetshaus.«
Der Fremde riss die Augen auf, verschluckte sich und hustete. »Sicher, dass das nicht der Streich eines verzogenen Bengels war?«
Tarlow schüttelte den Kopf. »Kein Junge würde so etwas wagen.«
»Die Geschichten über tote Raben erstrecken sich über das gesamte Königreich. Sei es an der Eisküste im Nordwesten oder in der Roten Wüste im Südosten – überall ist man sich einig: Tote Raben vor der Tür bringen nichts als Unheil. Man sagt, sie beschwören die Pest herauf, bringen Berge zum Feuerspucken und die Erde zum Beben, bis ganze Schluchten in den Boden gerissen werden. Die Städte, in denen man sie gefunden hat, wurden angeblich zerstört, sei es durch Feuer, Blitzeinschläge, Steinhagel oder Monster, die aus der Erde kriechen.«
Wir schwiegen für eine Weile. Ein Windstoß heulte ums Haus und schmetterte das Türschild gegen die hölzerne Wand des Wirtshauses. Der Ritter zuckte bei dem Aufprall zusammen und drehte seinen Kopf zum Fenster.
»Das sind nur Geschichten«, sagte ich, während er langsam seinen Kopf zu mir drehte. »Alte Männer vorm Kamin brauchen diese Geschichten, um Kindern Angst einzujagen.«
»Ich werde diese Nacht jedenfalls mit einem offenen Auge schlafen«, sagte der Fremde, trank seinen Krug leer und stand auf.
»Das war noch nicht alles«, sagte Tarlow.
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