Eine Weile hörte ich nichts; der Fremde band wohl sein Pferd an, danach öffnete sich endlich die Tür. Im selben Moment fegte ein heftiger Windstoß durchs Dorf und blies einen Schwall kalte Luft herein. Die Umrisse einer Person zeigten sich in der Tür. Ich kniff die Augen zusammen, konnte aber gegen die Dunkelheit nichts erkennen.
Der Fremde trat mit schwerem Tritt seiner schwarzen Stiefel ein. Er trug einen schwarzen Mantel, eine Kapuze verhüllte das Gesicht. Als die Falten des Umhangs den Blick auf sein Kettenhemd freigaben, blinkte ein Schwert an seiner Seite auf, mit einer Klinge so lang wie mein Arm. Aber mein Blick blieb nicht auf seiner tödlichen Waffe haften, sondern wanderte zu seinem verhüllten Gesicht. Die Augen waren es, die ich sehen wollte, nicht sein Kettenhemd, nicht sein Schwert und nicht das Wappen auf seinem Mantel.
Als der Fremde einen weiteren Schritt in den Raum trat, fiel die Tür hinter ihm, vom Wind getrieben, mit lautem Knall ins Schloss. Ich wich zurück, auch meine Gäste suchten den Abstand. Der Neuankömmling nahm seine Kapuze ab. Das Gesicht eines jungen Mannes mit blondem Haar und grünen Augen kam zum Vorschein. Ich schaute mir die Augen ganz genau an und konnte nichts Ungewöhnliches erkennen. Ich atmete tief durch. Es mochte töricht sein, die Angst abzulegen, wenn ein Fremder mit Kettenhemd und Schwert eintrat, aber er hatte normale Augen, und nur das schien für mich von Belang zu sein.
Der Blick des Fremden wanderte zunächst zu mir hinter die Theke, danach zum Tisch, an dem meine Gäste saßen. Jorden schaute weg, Tarlow und Jack erwiderten vorsichtig den Blick.
»Willkommen in Schwarzbach!«, sagte ich. »Ich bin Kolen, der Wirt. Was kann ich für Euch tun?«
Der Mann zögerte kurz, ging dann in meine Richtung und setzte sich auf einen freien Stuhl in der Nähe der Theke. Bei jedem Schritt klapperte das Schwert an seiner Seite. Er schaute mir in die Augen. »Ein Bier und ein Zimmer für die Nacht!«, sagte er mit fester Stimme. Er zeigte mit seinem Kopf auf den Kessel. »Und etwas von dieser Suppe! Aber nur, wenn sie noch heiß ist.«
Ich erwärmte den Rest Zwiebelbrühe, dazu reichte ich Brot und Bier. Der Fremde aß hastig, schlürfte und rülpste. Während er aß, schaute er sich mehrmals um. Ich hatte das nicht erwartet, aber er spürte wohl, dass etwas nicht stimmte. Ihm war die Stimmung im ›Gerupften Huhn‹ nicht geheuer. Tarlow, Jack und Jorden hatten kein Wort gesprochen, seitdem er eingetreten war. Krüge, Schüsseln und ein ungeöffnetes Kartenspiel standen oder lagen unberührt vor ihnen auf dem Tisch.
»Was verschlägt Euch in unser Dorf, Reisender?«, fragte ich den Fremden.
»Bin auf der Durchreise. Will irgendwo anheuern, in Lloyandasburg oder wo auch immer meine Reise mich hinführt. Hauptsache, die Belohnung glänzt und klimpert.«
»Seid Ihr ein Söldner?«
Er nickte, schaute aber nicht hoch und aß weiter.
»Woher stammt Ihr?«
»Aus dem Norden, aus der Nähe von Cantermire.«
Ich merkte auf. »Gibt es Neuigkeiten aus dem Norden? Wie ergeht es Lord Deegan?«
»Sein Sohn wurde im Bett mit seinem Knappen erwischt.« Er schaute hoch und grinste. In seinen Zähnen klaffte eine große Lücke. »Das Erbe Cantermires kann der Junge jetzt vergessen.«
Mehr erzählte der Fremde nicht, er aß seine Suppe bis zum letzten Tropfen auf. Danach wischte er sich mit der Hand den Mund ab und schaute sich erneut um. Was dachte er? Würde er zum Schwert greifen, jetzt, wo er einen vollen Magen hatte?
»Wo bin ich?«, fragte er. »Dieser Ort ist auf der Karte nicht eingezeichnet.«
»Ihr befindet Euch in Schwarzbach«, sagte ich. »Wir zählen nur zweiundsechzig Einwohner, die wenigsten kennen uns.«
»Wie kann ein solch kleines Dorf überleben?«, fragte er ungläubig.
»Nun, der Boden ist fruchtbar, und der Wald ist reich an Wild und nahrhaften Früchten. Außerdem hilft hier jeder jedem. Hat der Bauer zu viel Arbeit, nimmt der Schneider einen Pflug in die Hand. Ist die Handwerkerin überfordert, greift der Wirt sich einen Hammer.«
»Und wenn Ihr angegriffen werdet?«
Ich schaute kurz zu den anderen herüber, keiner schaute zurück. »Im Ort leben einige ehemalige Ritter«, sagte ich. Eine Lüge. Bei uns lebte nur ein einziger ehemaliger Ritter. Zwar konnte dieser es mit drei Soldaten gleichzeitig aufnehmen, aber ein bewaffneter Fremder musste nicht alles über unser Dorf wissen.
»Vor Schwarzer Magie kann uns auch kein Ritter schützen«, sagte Tarlow. Es waren seine ersten Worte, seit der Fremde angekommen war.
Der Krieger hob seine Augenbrauen und schaute Tarlow an. »Schwarze Magie?«
Ich versuchte, Tarlows Blick zu fangen, wollte ihm andeuten, nichts zu sagen, doch Tarlow bemerkte mich nicht.
»Sprecht, ist Euch etwas Ungewöhnliches aufgefallen, als Ihr in unser Dorf gekommen seid?«, fragte er den Fremden.
Der nickte. »Nun, ein wildes Pack Wölfe hat mich angegriffen. Das ist ungewöhnlich, Wölfe scheuen vor Menschen. Musste sie mit dem Schwert vertreiben.«
»Das Rudel kennen wir«, sagte Jack. »Sie schleichen nachts durch den Wald, inzwischen sogar auch in unser Dorf hinein. Sie wollen sich unsere Vorräte krallen.«
»Zurzeit laufen weniger Beutetiere als sonst im Wald herum«, erklärte ich. »Die Wölfe sind hungrig, und das macht sie mutig. Das ist alles andere als ungewöhnlich.«
Der Fremde zog die Augenbrauen zusammen. »Ihr habt von Schwarzer Magie gesprochen.«
Ich schaute Tarlow an. Dachte er ähnlich wie Jorden, dass es besser wäre, Schwarzbach zu verlassen? Dachten alle Dorfbewohner wie Jorden? Kurz stellte ich mir vor, wie sie sich ängstlich in ihren Häusern verkrochen, und zuckte zusammen. Das durfte ich nicht zulassen. Es gehörte zu meinen Pflichten, die Menschen zu beruhigen, und vor dieser Verantwortung durfte ich mich nicht verstecken. »Keine dunklen Mächte peinigen unser Dorf«, sagte ich so langsam und ruhig ich konnte.
Tarlow schüttelte den Kopf. »Jorden hat recht«, sagte er zu mir, »du kannst nicht Geist und Augen täuschen.«
Hatte Jorden wirklich recht? Ich wollte und konnte das nicht glauben.
»Ich erzähle Euch gerne, was vorgefallen ist«, sagte Tarlow zum Fremden. Er hatte wohl beschlossen, ihn nicht als Bedrohung anzusehen, und das brachte die Plauderlaune in ihm hervor. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich wollte nicht über den Vorfall sprechen, wollte ihn ignorieren, ihn mit dem Wind hinfort wehen lassen, ihn für immer aus unseren Köpfen kriegen. Jedes Wort darüber würde die Erinnerung daran stärken und die Ängste der Dorfbewohner schüren. Wieder deutete ich Tarlow an, den Mund zu halten, doch entweder bemerkte er mich nicht, oder er wollte mich nicht bemerken.
»Gewiss doch«, sagte der Fremde.
»Ihr könnt mir glauben, ich rede nicht mit verlogener Zunge«, versicherte Tarlow.
Der Fremde lachte. »Das werde ich erst danach beurteilen. Und nun erzählt, ich liebe unterhaltsame Geschichten.«
»Unterhaltsam?«, fragte Tarlow und schnaubte. »Das ist sie mitnichten.«
Was war das für ein Kreis? Er schwebte über meinem Bett und erleuchtete den Raum, stärker als jede Lampe. Welch prächtiger Anblick! Er strahlte mir ins Gesicht, und in den Wangen verspürte ich ein angenehmes Kribbeln.
Doch dann kam jemand zur Tür herein, und der Kreis flog langsam durch das Fenster hinfort. Wo wollte er hin? Mit dem Kreis verschwand auch das Licht. Jetzt war es dunkel im Zimmer, und ich erkannte nur die Umrisse der Person, die mein Zimmer betreten hatte. Ein wandelnder Schatten, er kam näher und trat an mein Bett heran.
Vater? Was machst du hier?
Der Schatten beugte sich über mich.
Es ist mitten in der Nacht, Vater!
Der Geruch von Bier stieg in meine Nase. Ein abscheulicher Geruch! Ich wollte hinaus, wollte dem schönen Kreis folgen und nicht hier im kalten, finsteren Zimmer bleiben, doch ich konnte mich nicht rühren. Der Schatten stand wortlos vor mir, bis er plötzlich seine Hand hob und mir ins Gesicht schlug. Erst mit der Innenseite, dann mit der Außenseite.
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