„So soll es sein, aber ich kann nicht länger mit Jennifer zusammenwohnen. Ich muss ihr heute Abend reinen Wein einschenken und wieder in meine Eiskrembude einziehen, so schmerzhaft die Trennung werden mag. Bei meiner jetzigen Gefühlslage kann ich ihr nichts vorspielen. Das hat sie nicht verdient und meine Liebe zu dir lodert zu stark in meiner Seele, als dass ich mit einer anderen Frau zusammenleben könnte, auch wenn ich Jennifer sehr schätze und mag.“ „Rick, ich habe mir einmal heimlich deine Bude angeschaut. Die ist entsetzlich. Dorthin ziehst du auf gar keinen Fall zurück. Du ziehst zu mir. Ich will, dass alle Welt weiß, dass wir ein Paar sind und dass ich mit meinem ganzen Wesen dir gehöre.“
„Marie, weißt du, was du da sagst? Das passt gar nicht zu der Marie, die du bisher gewesen bist.“ „Das ist mir egal. Wenn das herrliche Gefühl nicht andauert, dann trennen wir uns und wir sind um eine erschütternde Erfahrung reicher.“
„Jetzt muss ich los. Ich lade die meisten meiner Habseligkeiten in meinen Käfer und fahre sie her. Dann kehre ich zurück zu Jennifers Wohnung und lade den Rest ein. Danach warte ich auf sie und erkläre ihr, was mir widerfahren ist.“ „Was uns widerfahren ist, Rick.“
Rick hatte schon eine Ladung Bücher, Klamotten und Ordner zu Maries Wohnung transportiert, sie hineingebracht und in ein Gästezimmer gestellt. Er war zurück zu Jennifers Wohnung gefahren, hatte seine restlichen Habseligkeiten in seinen Käfer gepackt und wartete nun auf Jennifer. Als sie die Wohnung betrat, sah sie sich um und zu Rick, der neben dem Küchentisch stand. Dann sagte sie: „Es ist schon heute so weit, Rick?“ Sie schwieg einen Augenblick und fuhr fort: „Ich habe es kommen sehen und will dir den Abschied so leicht wie möglich machen, denn du warst immer sehr lieb und rücksichtsvoll zu mir. Mach dir keine Gedanken über die Trauer, die ich natürlich empfinden werde. Ich liebe dich so sehr, dass das Ende mir unsäglich wehtut. But you know, whoever is not resilient will perish. Ich werde aber nicht zugrunde gehen, Rick. Ich beklage mich nicht. Ich habe sehr von meiner Liebe zu dir und von der Zeit mit dir zusammen profitiert. Profitiert, ein scheußliches Wort in diesem Zusammenhang. Gehen wir einander ab jetzt bitte nicht aus dem Weg. Wir können weiterhin füreinander da sein. Geh jetzt und grüße Marie von mir.“ Rick fühlte die Tränen, die über seine Wangen liefen. Er ging auf Jennifer zu, küsste sie auf die Stirn, drehte sich um und verließ ihre Wohnung.
Kapitel 4: Liebesglück und Zweifel
Marie und Rick genossen den schönen Sommer in Boulder und in dem Vorgebirge. Sie feierten ihre Liebe, indem sie auf Wanderungen gingen, bei denen Rick einen Picknickkorb schleppen musste. Sie fanden auf ihren Wanderungen Stellen, von denen aus die Aussicht auf die weite Ebene herrlich war. Dort lagerten sie und picknickten. Dabei aßen sie von Maries kostbaren Porzellantellern und tranken Granatapfelsaft aus ihren Kristallgläsern. An manchen Abenden gingen sie ins Freilichttheater oder besuchten Veranstaltungen der Musikfakultät, für die Rick eine starke Vorliebe hatte. Vor allem genoss er Arien. Gelegentlich sahen sie Jennifer in der Ferne und Rick empfand jedes Mal einen Stich ins Herz.
Als Rick eines Tages Jennifer auf dem Universitätsgelände begegnete, forderte sie ihn auf, vorbeizukommen und einige Bücher abzuholen, die er in ihrer Wohnung gelassen hatte. Als Rick am späten Nachmittag an Jennifers Tür anklopfte, zog sie die Tür auf und bat ihn herein. Ohne jegliche Begrüßung sagte sie: „Dir scheint der Widerspenstigen Zähmung schnell geglückt zu sein, mein lieber Rick.“ Darauf wusste Rick nichts zu erwidern. So stand er einfach vor Jennifer da und wartete. Sie trug wieder die kurze ausgebleichte Jeanshose und das enge rote T-Shirt und ihre Brüste zeichneten sich darunter deutlich ab. „Wollen wir Erinnerungszärtlichkeiten austauschen?“, fragte sie. Rick antwortete: „Meine liebe Jennifer, ich finde dich genauso attraktiv und verführerisch wie eh und je, aber ich schätze dich zu sehr, als dass ich hier auf die Schnelle Sex mit dir haben kann. Du hast mehr verdient und im Augenblick kann ich dir mehr nicht geben. Bleiben wir einfach gute Freunde.“ Dann küsste er sie auf die Stirn und ergriff den Karton, in dem sich seine Bücher befanden, und verließ die Wohnung.
In dem folgenden Semester dauerte das Glück von Marie und Rick an und Marie verlangte, dass sie heiraten sollten. Schließlich bat Rick um zwei Wochen Bedenkzeit und Marie flog in den Weihnachtsferien zu ihren Eltern nach Topeka, während Rick in seinem alten Käfer die lange Fahrt durch die schier endlose Ebene in das Plumcreektal antrat.
In seinem alten Zuhause erkannte Rick an manchem verstohlenen, verstörten Blick seiner Eltern, dass sie ihn für geistesabwesend und sein Verhalten für befremdend hielten. Einmal ging er auf Fasanenjagd um allein zu sein. Am späten Nachmittag setzte er sich auf einem Hügel ins hochgewachsene fahle Gras und schaute in das Tal hinunter. In dem Augenblick wusste er, dass er nie wieder auf die Jagd gehen würde. Die zauberhafte Wirkung der Spätnachmittagsstille zog ihn so sehr in ihren Bann, dass er spontan in seinem Kopf einen lyrischen Text formulierte, den er später niederschrieb. „ Die purpurfarbene Abendstille ruht schwer auf dem dunklen Land. Aus einem schwarzen Dickicht ruft eine schüchterne Vogelstimme einmal .“
Zurückgekehrt nach Boulder rang Rick immer noch mit der Frage, ob er und Marie heiraten sollten. Einmal wandte er sich an Horst Steenken, einen deutschen Studenten, der ursprünglich aus Westberlin stammte.
„Weißt du, was, Horst?“, sagte Rick, „ich würde Marie liebend gern heiraten. Sie liegt mir seit Wochen in den Ohren damit, aber ich weiß nicht, wie ich mit der ständigen Angst, sie könnte mir untreu werden, fertig werden könnte. Du weißt ja, dass sie extrem promiskuitiv war, als ich sie kennen lernte. Ich könnte den Gedanken, dass sie auch mit anderen Männern verkehrte, kaum ertragen. Du bist seit drei Jahren mit Elinor verheiratet. Wie kommst du mit dem Zweifel an ihrer Treue klar?“
Als Rick Horst anblickte, sah er, wie dieser schmunzelte, Dann lachte Horst und fing zu erzählen an: „Ich habe wohl meinen eigenen Schutzmechanismus entwickelt. Schließlich habe ich mir gesagt, wenn Elinor mir untreu gewesen sein sollte, so hat sie mich zumindest bislang nicht verlassen um eine Beziehung zu einem anderen zu beginnen. Dann stellte ich mir die Frage, woran dies wohl liegen könnte. An meinem Pimmelchen liegt es mit Sicherheit nicht. Schon nachdem wir das erste Mal miteinander geschlafen hatten, teilte sie mir schonungslos mit, mein Glied sei ausreichend, aber mehr nicht. An meinem tollen Aussehen liegt es auch nicht. Es laufen viele Männer herum, die besser als ich aussehen. Könnte es vielleicht an meinem einnehmenden Charakter liegen? Wohl nicht. Elinor beklagt sich gelegentlich über meine wechselnden Launen und sie hat mir einige Male sogar vorgehalten, ich sei manisch-depressiv. Liegt es an sozialem Druck? Angesichts des Milieus, in dem wir hier in Boulder leben, ganz bestimmt nicht. Anscheinend muss ich den Umstand, dass sie bei mir bleibt, auf das Gesamtpaket zurückführen, das ich darstelle.“
„Was meinst du mit sozialem Druck?“, fragte Rick. „Na, wir leben hier in Boulder in einem außergewöhnlichen sozialen Umfeld“, antwortete Horst. „Hier herrscht so etwas wie grenzenlose Toleranz im Hinblick auf Partnerschaft und Sexualmoral. Wenn man hier seinem Partner untreu wird oder die Partnerschaft scheitern lässt, löst das kaum ein Schulterzucken aus. Zu anderen Zeiten war das völlig anders. Partner blieben zusammen, auch dann, wenn es im Gebälk gewaltig knirschte, weil das soziale Umfeld, die Verwandten und Nachbarn zum Beispiel, dies von einer guten Partnerschaft erwartete. Der Druck, den Schein eines harmonischen Zusammenlebens aufrechtzuerhalten, war stark. Dies ist heute noch in vielen Gegenden der Fall.“
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