Was das T-Shirt betraf: Ich hatte es vor zwei Jahren bei Rock am Ring erworben, wie deutlich am Schriftzug auf der Vorderseite zu lesen war. Die blaugrünen Farbvariationen machten einen angenehmen Eindruck, lediglich der Stoff spannte ein wenig um die Mitte. Das lag offiziell daran, dass das Shirt beim einunddreißigsten Waschen etwas eingegangen war, inoffiziell hatte ich seit dem Musikfestival ein paar Kilos zugelegt.
Auch wenn mein Outfit zugegebenermaßen etwas abgetragen wirkte, machte es insgesamt einen akzeptablen Eindruck, wie ich fand. Gut, auf den Opernball würde man mich so nicht lassen, aber da wollte ich schließlich auch nicht hin, sondern lediglich auf meine eigene Geburtstagsparty.
»Du hast recht«, stimmte ich meiner Mutter also zu, »eigentlich könnte ich die Sachen wirklich anbehalten. Außerdem wird sonst wahrscheinlich auch keiner im Hemd auftauchen.«
Für mich war die Angelegenheit damit erledigt. Meine Mutter hingegen machte ansatzlos einen Schritt auf mich zu und drückte ihre Nase tief in meinen Brustkorb.
Was ihre unbekümmerte Art betraf, sagen wir so: Ich fühlte mich dabei nicht immer sonderlich wohl. Dass ich meine Mutter liebte, stand außer Frage, aber ich hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn sie etwas mehr Berührungsängste besessen hätte. Allerdings würde ich für sie eben auch noch in zwanzig Jahren ihr kleiner Junge sein, dem sie früher die Windeln gewechselt hatte, was ihr manchmal scheinbar wie gestern vorkommen musste. Insofern machte ich mir keine Illusionen, was eine baldige Änderung dieses Verhaltens betraf, und ich sagte nichts, als sie zwei tiefe Luftzüge nahm und an mir roch.
»Du stinkst«, sagte sie mit herzlicher Ehrlichkeit einer Mutter.
Nachdem sie wieder zurückgewichen war, nahm ich selbst eine Nase voll, indem ich meinen rechten Arm hob und mich mit dem Gesicht der Achselhöhle näherte.
»Stimmt.«
Der beißende Schweißgeruch war nicht zu leugnen.
»Vielleicht doch ein anderes Shirt?«, fragte ich.
Die hochgezogenen Augenbrauen meiner Mutter machten deutlich, dass sie es nicht für notwendig erachtete, eine derart offensichtliche Antwort zu geben. Stattdessen öffnete sie meinen Schrank, zog ein sommerlich-gelbes T-Shirt heraus und hielt es mir entgegen. Gerade in dem Moment, als ich danach greifen wollte, zog sie es wieder zurück.
»Erst gehst du dich aber duschen!«
Das war nun nicht die schlechteste Idee, denn nachdem ich eine weitere Duftprobe meiner Achselhöhle nahm, begann das Zimmer um mich herum leicht zu rotieren.
Nach der Dusche fühlte ich mich wie neugeboren. Das kühle Wasser hatte vitalisierend gewirkt, und als ich aus der Dusche stieg, kam es mir so vor, als könnte ich Bäume ausreißen. Der Moment meiner Selbstüberschätzung war jedoch nicht von langer Dauer, denn mein verhasster Erzfeind sollte mich schnell wieder auf den Boden der Tatsachen holen.
Wie oft hatte ich diesen übergroßen und völlig unnötigen Spiegel neben der Heizung schon verflucht? Meines Erachtens benötigte ein Badezimmer nur einen kleinen Spiegel über dem Waschbecken, damit man beim Rasieren keine Büschel übersah oder sich Mohnkörner aus den Zahnzwischenräumen pulen konnte. Was man mit Sicherheit nicht brauchte, war ein spiegelndes Ungetüm, das bis zu den Knien reichte und jene Fettschicht in vollem Umfang reflektierte, die sich am Bauch angesetzt hatte. Mit diesem Speckpolster umgeschnallt fiel es mir schwer, das Herkules-Selbstbildnis im Kopf zu behalten, und ich verwarf umgehend jegliche Pläne, etwaige Bäume mit bloßen Händen zu entwurzeln.
»Eines Tages schlage ich dich in Stücke«, drohte ich dem Spiegel murrend und zog das T-Shirt über, sodass die nackte Haut meines Oberkörpers unter dem Stoff verschwand.
Ganz so einfach ließ sich der Bauch zwar nicht verstecken, aber die Wölbung wirkte nun glücklicherweise ansehnlicher. Zumindest ein wenig.
*
»Wir dachten schon, du hättest dich verlaufen!«, rief Uwe mir entgegen, als ich den Innenhof betrat.
An seiner Tonlage erkannte ich, dass das Bier in seiner Hand bestimmt nicht mehr das erste von vorhin war.
»Du verpasst noch deine eigene Geburtstagsparty!«, ergänzte Peter, der Uwe in puncto Alkoholkonsum offenbar in nichts nachstand.
»Quatsch!«, erwiderte ich und blickte auf meine Armbanduhr, um nach der Zeit zu sehen.
»Überraschung!!!«, schallte es von links und rechts an meine Ohren, und ich fürchtete, dass es das Letzte war, was ich für eine lange Zeit gehört hatte.
»Alles Gute zum Geburtstag!«
Ich erkannte Silvies Stimme und wusste zugleich, dass mein Trommelfell den euphorischen Anschlag überlebt hatte und nicht geplatzt war, auch wenn ich ein leichtes Klingeln im Hintergrund wahrnahm, das mich an das Glöckchen in der Metzgerei erinnerte. Zudem konnte ich davon ausgehen, dass es Philipp gewesen war, der mir auf der anderen Seite ins Ohr gebrüllt hatte, denn die beiden waren seit einem halben Jahr zusammen und überall nur im Doppelpack anzutreffen. Tatsächlich tauchte Philipp nun auch als Erster in meinem Sichtfeld auf, fasste meine Hand und quetschte sie so sehr, dass ich mit mindestens einem gebrochenen Finger rechnete.
»Gratuliere! Wieder ein Jahr älter, was?«
»Sieht ganz danach aus.«
»Und, wie fühlst du dich?«, wollte Silvie wissen.
»Spitze. Wunderbar. Ich darf nicht klagen«, log ich, denn das Klingeln in meinen Ohren war noch nicht verschwunden und meine Hand schmerzte.
»Wollt ihr ein Bier?«
Kaum hatte ich die Frage gestellt, kamen auch schon weitere Gäste. Von nun an bestand mein Lebensinhalt in der nächsten Stunde aus Begrüßungen, Händeschütteln und Bierverteilen. Uwe und Peter unterstützten mich bei Letzterem, allerdings lag der Verdacht nahe, dass sie das nur taten, um an der Alkoholquelle zu bleiben.
Als schließlich alle da waren, machte ich mich daran, die Kohle aufzulegen und den Grill anzuheizen. Es wäre womöglich etwas zu weit hergeholt, diesem Vorgang eine sexuelle Komponente zuzuschreiben, und dennoch war es auf gewisse Weise eine Art Defloration, die hier vonstattenging, während ich in dem bis dahin unschuldigen Grill zum ersten Mal ein Feuer entfachte. Eine leichte Erregung konnte ich zumindest nicht abstreiten.
Die Harmonie zwischen uns war dann auch von Anfang an hergestellt. Noch nie hatten ein Mann und sein Grill eine so vollkommene Einheit demonstriert. Es war kaum zu sagen, wo meine Hand endete und sein Rost begann. Die glühenden Kohlen brachten das Fleisch perfekt temperiert zum Brutzeln, was für mich nicht weniger kunstvoll als Beethovens Neunte klang. Und schon bald stieg der Geruch der ersten Koteletts auf und entfaltete sich so betörend, wie es kein Parfüm jemals zustande bringen würde.
»Langt nur ordentlich zu!«, forderte ich meine Gäste mehrmals auf, obwohl das nicht notwendig gewesen wäre.
Es gab niemanden, der meinen Grillkünsten widerstehen konnte oder wollte, und so kam ich kaum damit nach, die nächste Ladung auf den Rost zu werfen. Dass ich mit dem Verlauf des Nachmittags und Abends mehr als zufrieden war, muss nicht extra erwähnt werden. Die glücklichen, ja fast schon entzückten Gesichter aller Anwesenden, die mit ihren gefüllten Mägen einhergingen, waren die größte Freude, die man mir machen konnte. Deshalb empfand ich auch meine Geburtstagsfeier insgesamt als riesigen Erfolg, wobei ich die kleinen Geschenke und die zahlreichen Glückwünsche als Sahnehäubchen wertete.
Gegen zweiundzwanzig Uhr hielten Uwe und Peter eine Festrede, in der sie mich nach allen Regeln der Kunst durch den Kakao ziehen wollten. Die beiden waren zu dieser Zeit allerdings bereits so betrunken, dass sie die Hälfte ihrer Gags bereits vergessen hatten, und die andere Hälfte brachten sie so durcheinander, dass sie nicht mehr als gelegentliche Mitleidslacher ernteten. Ich bezweifelte allerdings, dass ihnen das auffiel, zumindest wirkten sie so, als hätten sie den Spaß ihres Lebens.
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