»Hunger?«
Erst jetzt bemerkte ich, dass Uwe mit einer Pfanne am Herd stand. Ich war zutiefst beeindruckt, dass er das alte Ding zum Laufen gebracht und uns noch nicht in die Luft gejagt hatte.
»Nein, danke.«
Kurzzeitig kehrte ich in meine Gedankenwelt zurück, aber Uwes fassungsloser Blick war nicht zu ignorieren und riss mich schnell wieder in das Hier und Jetzt.
»Bist du krank?«, fragte er.
»Wieso?«, fragte ich retour.
»Na, weil ...«
Er suchte nach den richtigen Worten.
»Seit ich dich kenne, hast du noch nie ein Essen ausgeschlagen.«
Instinktiv wollte ich mich gegen diese infame Verleumdung auflehnen, kam aber nach einigem Nachdenken zu dem Schluss, dass Uwe mit seiner Behauptung mit ziemlicher Sicherheit sogar recht haben dürfte. Etwas Essbares hatte ich wahrscheinlich wirklich noch nie abgelehnt.
»Oder bist du etwa verliebt?«
Sichtlich amüsiert über seinen eigenen Scherz lachte Uwe so lautstark auf, dass sogar Peter aus seinem komatösen Zustand hochschreckte.
»Was?! Wo?!«, rief er irritiert.
Mühsam versuchte sein verkatertes Gehirn zu ergründen, was es mit seinem momentanen Zustand auf sich hatte.
»Guten Morgen, gnädiger Herr. Wir vertragen wohl nicht mehr so viel wie früher. Kann das sein?«
Uwes Stimme klang selbst in meinen Ohren ungemein schrill und laut, aber ich ging davon aus, dass er genau das beabsichtigte. Ich kannte ihn gut genug, um zu wissen, dass er Peter in den nächsten Minuten hingebungsvoll quälen würde, denn eine solche Chance ließ er sich nicht entgehen. Wir waren nun einmal wie Brüder, da gehörten so kleine Bosheiten einfach dazu.
Unter anderen Umständen hätte ich trotzdem versucht, ihn davon abzuhalten, weil Peter im Augenblick einen wirklich bemitleidenswerten Eindruck machte. Da es mir jedoch gerade recht war, dass der Fokus der Aufmerksamkeit von mir abwich, hielt ich meinen Mund.
Leider half mir das auch nicht.
»Hey, Peter! Stell dir vor: Tim hat keinen Hunger.«
Peter wandte seinen Kopf in meine Richtung und starrte mich mit glasigen Augen an.
»Bist du krank?«
Ich fand das nicht witzig.
»Oder verliebt!«, warf Uwe ein weiteres Mal ein und verließ den Herd mit einer Pfanne in der Hand.
Jetzt sah ich, dass er eine riesige Portion Rührei zubereitet hatte. Er warf einen Untersetzer auf den Tisch und stellte die heiße Pfanne darauf, welche dezente Dampfwolken in die Höhe steigen ließ.
»Mahlzeit!«, sagte Uwe, legte mir eine Gabel hin und setzte sich.
Vom ausbreitenden Duft angelockt, kämpfte sich nun auch Peter auf einen freien Stuhl und blickte lüstern auf die noch immer zuckende, gelbe Masse.
»Hier! Greif zu!«, rief Uwe erneut lauter als notwendig, sodass Peter zusammenzuckte.
Gleichzeitig reichte er ihm ebenfalls eine Gabel und Peter war dann auch der Erste, der sich auf das Frühstück stürzte. Uwe tat es ihm kurz darauf gleich, nur ich saß regungslos da und starrte Löcher in die Luft. Ich konnte mir das selbst nicht erklären, aber allein der Gedanke, etwas zu mir zu nehmen, erschien mir unmöglich.
»Sag bloß!«, schallte es plötzlich durch die Küche und ich wandte mich wieder meinen Freunden zu.
Uwe ließ die Gabel sinken und sah mich fassungslos an.
»Du bist doch nicht etwa wirklich verliebt, oder?«
»Unser Tim? Verliebt?«
Peter kicherte bei seinen Worten wie ein kleines Schulmädchen.
Alles in meinem Innersten sträubte sich dagegen, den beiden die Wahrheit zu sagen, und so formte sich auf meinen Lippen bereits ein »Ach, Blödsinn!«, um das Thema gleich wieder im Keim zu ersticken. Leider bekam ich keinen Ton heraus, sondern saß mit offenem Mund da, so als ob ich an einer Kiefersperre leiden würde.
»Nicht im Ernst jetzt, oder?«
Peter – soeben noch vollkommen verkatert und kaum ansprechbar – war auf einen Schlag hellwach und strahlte mich wie ein Honigkuchenpferd an.
»Ich fasse es nicht!«, rief Uwe mir zu. »Das ist ja großartig! Tim, du alter Aufreißer! Was haben wir denn gestern verpasst? Erzähl schon!«
In seiner Begeisterung schlug er mir mehrmals gegen den Oberarm, sodass ich befürchtete, dieser würde mir gleich abfallen. Bei Uwe musste man aufpassen, denn seine überschwängliche Freude konnte einen fast ins Krankenhaus befördern.
»Es ist nicht so, wie ihr denkt«, musste ich schließlich einlenken.
»Bist du etwa nicht verliebt?«
Ich zögerte mit der Antwort auf Uwes Frage, denn wenn ich es einmal ausgesprochen hatte, gab es keinen Weg zurück mehr.
»Doch, ich glaube schon.«
»Masel tov!«, grölte Peter.
Für gewöhnlich machte er sich nicht besonders viel aus seinen jüdischen Wurzeln, doch hin und wieder überkam es ihn dann doch.
»Na, Buberle, haste eine hübsche Ische gefunden?«
Mein Gefühl hatte mir schon immer gesagt, dass Peter hundert Prozent seiner Jiddisch-Kenntnisse aus Filmen hatte, und ich ging zudem davon aus, dass er in dieser Sprache zu fünfzig Prozent absoluten Stuss laberte, weil er sie selbst nicht verstand.
»Hazlacha uwracha!«
»Ja, genau. Wie auch immer«, warf Uwe ein und wandte sich wieder an mich, »erzähl uns endlich alles!«
Wo sollte ich da anfangen? Wie sehr man sich in Isas Augen verlieren konnte? Wie gut ihr Haar duftete? Wie geschmeidig und elegant jede einzelne ihrer Bewegungen war? Wenn ich wollte, könnte ich stundenlang schwärmen, doch es würde im Endeffekt auf dasselbe hinauslaufen: Wir waren nun einmal nicht füreinander bestimmt.
»Sie ist Vegetarierin.«
Ich ließ diese Worte im Raum stehen, denn mir war klar, dass sie für sich selbst sprachen. Melancholisch ließ ich mein Kinn nach unten sinken und betrachtete die Kerben im Holztisch, die ich seinerzeit höchstpersönlich dort hineingeschnitzt hatte. Als ich den Blick wieder meinen beiden Freunden zuwandte, hatte ich zwei ratlose Gesichter vor mir.
»Und weiter?«, erkundigte sich Uwe.
Ich verstand die Frage nicht.
»Was meinst du mit: Und weiter?«
Er zog die Augenbrauen nach oben, so als müsste mir das als Antwort genügen.
»Sie ist Vegetarierin!«, wiederholte ich lautstark. »Sie isst kein Fleisch!«
Uwe und Peter sahen mich wie einen Zeugen Jehovas an, der sie sonntagmorgens in aller Früh aus dem Bett geklingelt hatte, um ihnen vom unmittelbar bevorstehenden Armageddon zu berichten.
»Und das ist ein Problem, weil ...?«
Offenbar erwartete Uwe von mir, dass ich den Satz vervollständigte.
»Weil ... Weil ... Weil ...«
Ich schnappte nach Luft, da ich beinahe vergessen hatte zu atmen.
»Weil ich nun einmal zufällig ein sehr großer Fleischliebhaber bin und mir nicht vorstellen kann, mit jemandem zusammen zu sein, der diese Leidenschaft nicht mit mir teilt.«
Zwar war ich der Ansicht gewesen, dass diese Erklärung eigentlich auf der Hand gelegen hatte, aber zumindest konnte ich jetzt davon ausgehen, dass die beiden nun verstanden, wo das Problem lag.
»Tim, ich liebe dich, Mann, aber du bist ein Hohlkopf!«
Verdutzt guckte ich Uwe an, danach wandte ich mich hilfesuchend an Peter.
»Tut mir leid, aber er hat recht. Du bist ein Idiot.«
Plötzlich hatte ich das Gefühl, ich wäre im falschen Film.
»Moment mal! Er hat mich nicht Idiot genannt.«
»Aber gemeint«, sagte Uwe. »Das passt schon so.«
»Warum? Was habe ich denn falsch gemacht? Sie ist doch diejenige, die sich so unnatürlich ernährt. Der Mensch ist nun einmal dazu geboren, Fleisch zu essen. Er ist ein Jäger und es liegt in seinen Genen. Dieser ganze Vegetarier-Mist ist nur so eine Modeerscheinung, damit die Gemüsefresser so tun können, als wären sie besser als alle andern.«
Während ich mich reden hörte, konnte ich beinahe runterzählen, wie sich mein IQ um zehn Punkte verringerte.
Читать дальше