»Wollt ihr vorher etwas essen? Bevor ihr geht, meine ich.«
Es war nicht untypisch für mich, dass ich die Lösung eines Problems im Essen suchte. Allerdings konnte ich auch auf entsprechende Fähigkeiten zurückgreifen und möglicherweise konnte ich Isas Herz auf diese Weise für mich gewinnen. Liebe ging ja bekanntlich durch den Magen und einen Versuch war es allemal wert.
»Wir haben ja gerade noch die Reste genascht«, winkte Silvie ab.
»Also, ich bin auch voll«, pflichtete Philipp ihr bei.
Die beiden ahnten wahrscheinlich nicht, dass mir ihre Befindlichkeit im Moment mehr als egal war.
»Aber Isa ist bestimmt noch hungrig«, wandte ich demonstrativ ein und blickte aufmunternd in ihre Richtung.
»Ähm, eigentlich ...«
»Nur einen kleinen Happen«, unterbrach ich sie und machte mich humpelnd auf den Weg zum Kühlschrank, wo ich die restlichen Schweinekoteletts verstaut hatte. »Ich verspreche dir, du wirst es bestimmt nicht bereuen!«
Mit einer Gabel fischte ich nach dem größten Stück, spießte es auf und legte es auf den einzigen sauberen Teller, den es noch gab. Dann humpelte ich weiter zum Fensterbrett, wo sich ein Topf mit Petersilie befand. Ich riss zwei Büschel ab und legte sie als schmackhafte Dekoration neben das Kotelett. Fest davon überzeugt, dass Isa diesem herzhaften Stück Fleisch nicht widerstehen konnte, hüpfte ich ihr auf einem Bein entgegen.
»Hier, für dich!«
Isa starrte zuerst mich an, danach das Kotelett, das ich ihr wie einen Strauß rote Rosen unter die Nase hielt.
»Vielen Dank«, sagte sie schließlich, »aber ich möchte wirklich nicht.«
Nun war ich es, der starrte. Wie konnte man nur diese Köstlichkeit ablehnen? Gut, das Kotelett war nicht frisch vom Grill, das war mir schon klar, aber trotzdem konnte man doch mit verbundenen Augen sehen und mit verschnupfter Nase riechen, dass man hier einen Leckerbissen sondergleichen vor sich hatte.
»Koste doch nur ein kleines Stückchen«, versuchte ich es ein weiteres Mal mit gutem Zureden.
Es ging mir dabei ja nicht nur darum, dass sie etwas aß, das ich nach allen Regeln der Kunst zubereitet hatte. Vor allem wollte ich Isa nicht gehen lassen, und wenn sie nun endgültig ablehnte, dann war sie weg und aus meinem Leben verschwunden.
»Ich wette, dass du noch nie so ein leckeres Stück Fleisch gegessen hast.«
»Darauf wette ich auch«, pflichtete Philipp mir bei.
Allerdings hatte er dabei ein recht eigenwilliges Grinsen aufgesetzt, weshalb ich mir nicht ganz sicher war, ob er das wirklich zu meiner Unterstützung gesagt hatte. Irgendetwas schien da nicht zu stimmen. So richtig unwohl wurde mir in meiner Haut dann aber, als ich Silvie dabei beobachtete, wie sie mit aller Mühe versuchte, ein Lachen zu unterdrücken, obwohl sie beinahe schon zu zerbersten drohte. Isa hingegen wich meinem fragenden Blick aus und sah peinlich berührt zu Boden.
»Was?«, wollte ich energisch wissen, als ich diese seltsame Situation einige Sekunden über mich hatte ergehen lassen.
»Es ist wirklich lieb gemeint von dir«, sagte Isa endlich, »aber ich bin Vegetarierin.«
Zunächst stand ich eine Weile mit zusammengekniffenen Augen da und versuchte aus ihren Worten einen Sinn zu extrahieren. Mir war es nämlich so vorgekommen, als hätte sie etwas in einer Sprache zu mir gesagt, die ich nicht verstand. Allerdings kam ich zu dem Schluss, dass es weder spanisch noch russisch, sondern alles in allem doch deutsch geklungen hatte. Und obwohl ich meine Muttersprache im Großen und Ganzen gut beherrschte, vermochte ich lange nicht zu begreifen, was Isa mir mitteilen wollte.
»Du ... bist ...«
Weiter kam ich nicht, da packte Silvie ihre Freundin schon an der Hand und zog sie mit sich fort.
»Wir müssen jetzt wirklich los. Vielen Dank noch einmal für die tolle Party, Tim. Und alles Gute!«
»Ja, alles Gute«, sagte auch Philipp und klopfte mir beim Vorbeigehen auf die Schulter.
Die beiden drängten mit Isa in der Mitte zur Küchentür hinaus. Kurz bevor sie den Raum verließen, drehte Isa sich jedoch noch einmal kurz zu mir um.
»Schön, dich kennengelernt zu haben. Bis dann.«
Ein paar Sekunden später waren sie verschwunden. Ich stand wie angewurzelt mit dem Kotelett auf dem Teller da und blickte ins Leere. Hinter mir fingen Peter und Uwe fast gleichzeitig zu schnarchen an, aber das registrierte ich nur am Rande. Für mich war gerade eine Welt zusammengebrochen, da interessierte es mich nicht, welche Geräusche meine betrunkenen Freunde im Schlaf von sich gaben.
Wie grausam konnte das Schicksal eigentlich sein? Da traf man eine Frau, mit der man sich ein Leben bis ans Ende aller Tage vorstellen konnte, mit der man bereit war, durch gute und schlechte Zeiten zu gehen und der man sogar das letzte Stück seiner Mettwurst anbieten würde. Und dann stellte sich heraus: Sie war Vegetarierin.
Selbst das kalte Kotelett konnte mich angesichts dieser bitteren Niederlage nicht trösten.
Natürlich aß ich es dennoch auf.
Kapitel 5: Schnitzel oder Sellerie?
Ich konnte kaum schlafen. Stundenlang wälzte ich mich im Bett von der einen auf die andere Seite und fantasierte von riesigen Schweinekoteletts, die mich vor eine Kutsche gespannt hatten und vor sich hertrieben. Als Peitschen benutzten sie dabei aneinandergebundene Wiener Würstchen, die mir bei jedem Hieb klatschend gegen den nackten Rücken schlugen. Hin und wieder versuchte ich mit den Zähnen nach einem Würstchen zu schnappen, da ich vor Hunger fast umkam, aber als Strafe dafür schlugen mir die Schweinekoteletts mit zwei Meter langen Salamistangen auf den Kopf.
Als mir die ersten Sonnenstrahlen des Tages auf das Gesicht schienen und mich zwangen aufzustehen, war ich froh, diese schrägen Fantasien hinter mir lassen zu können. Mein Fuß schmerzte nach wie vor von meiner Unachtsamkeit in der vergangenen Nacht, wenn auch nicht mehr ganz so schlimm wie noch vor einigen Stunden. Natürlich vermied ich es weiterhin, ihn mehr als nötig zu belasten, und so verließ ich langsam und vorsichtig mein Zimmer.
Mit meiner Laune stand es nicht zum Besten, und das hatte nicht ausschließlich mit sadistischen Schweinekoteletts und einem schmerzenden Fuß zu tun. Hauptsächlich kreisten meine Gedanken um Isa. Ich machte mir da gar nichts vor: In dem Moment, als ich sie gesehen hatte, hatte ich mich in sie verliebt. Und in dem Moment, als sie mir gesagt hatte, dass sie Vegetarierin war, hatte sie mir mein Herz gebrochen.
Wie um alles in der Welt hätte es unter diesen Vorzeichen eine Zukunft für uns geben können? Ich, ein leidenschaftlicher Fleischfresser, der keinen einzigen Tag ohne Wurst oder Schinken erlebt hat, seit er von der Muttermilch weg war. Und sie? Wahrscheinlich fand sie schon den Gedanken an eine Rindssuppe abstoßend. Niemals konnte das gutgehen.
»Morgen«, sagte Uwe, als ich die Schwelle zur Küche überschritten hatte.
»Morgen«, erwiderte ich und war beeindruckt.
Uwe machte einen unwahrscheinlich fitten Eindruck, vor allem wenn man bedachte, dass ich ihn letzte Nacht nicht geweckt, sondern halb vom Stuhl sinkend in seinem volltrunkenen Zustand zurückgelassen hatte. Dasselbe hatte ich im Übrigen mit Peter gemacht, der nun allerdings ausgestreckt am Boden lag und noch immer weggetreten war.
»Atmet er?«, fragte ich etwas besorgt.
»Er hat vorhin im Schlaf gefurzt. Zählt das auch?«
Ich grinste.
»Schätze schon.«
Dennoch wollte ich auf Nummer sicher gehen und schleppte mich zu Peter, um ihm die Hand unter die Nase zu halten.
»Was hast du denn angestellt?«, wollte Uwe wissen, als er mich humpeln sah.
»Ach, nichts«, antwortete ich etwas abweisend. »Yep, er atmet noch.«
Nachdem ich einige Sekunden lang den warmen Atem meines Freundes am Handrücken gespürt hatte, richtete ich mich wieder auf, nur um mich anschließend auf einen Stuhl neben dem Esstisch sinken zu lassen.
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