„So lieber Onno, du gehst jetzt nach Hause und machst Feierabend, sonst reißt Frieda mir noch den Kopf ab.“
„Du spinnst wohl, jetzt, wo es gerade interessant wird?“, brauste Onno auf.
„Keine Widerrede, das wird jetzt nicht spannend. Das dauert bis die Spusi-Jungs was rauskriegen und ob die uns was sagen, ist auch nicht sicher, für die sind wir kleine Lichter.“
Murrend schob Siebelts ab und bat Petersen, ihn zu informieren, falls es etwas Neues geben sollte. Petersen beobachtete noch, wie die beiden Spusi-Beamten begannen, den Sand durch das Sieb laufen zu lassen. Die Skelettreste und die verrosteten Gewehrteile hatten sie in Plastikfolien eingepackt. Zu gern hätte er gefragt, ob es schon Erkenntnisse gab, aber er wusste zu gut, dass die Spusi nichts mehr hasste, als Kriminalbeamte, die ständig schon so früh was wissen wollten. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als auch nach Hause ins Revier zu gehen, zumal sich auch bei ihm eine gewisse Müdigkeit breit machte.
Nach dem Duschen und einem kleinen Imbiss griff er zur Gitarre und spielte einige Rock-Soli als Fingerübung. Die Ereignisse um die Strandleiche traten zunehmend in den Hintergrund. Musik war für ihn Entspannung pur. Das Projekt von Musiklehrer Sönke Meiners, eine Band auf der Insel zu gründen, musste gut überlegt sein. Sicher mussten Rock-Standards zum Repertoire gehören, aber so ganz von maritimen Inhalten sollte man sich nicht lösen, wenn auch einmal vor Publikum gespielt werden sollte. Das würde ein schmaler Grat zwischen Shanties und Rock werden. Bei diesen Gedanken fielen ihm die Augen zu und er versank in eine Welt musikalischer Träume.
Als ihn sein Handy mit dem Gitarrenriff von Smoke on the water weckte, fühlte Petersen sich komplett gerädert. Sein Traum von Lars Petersen als Rock-Heroe war jäh ausgeträumt. Er musste sich beeilen. Onno würde zu Hause frühstücken und nur noch einen Kaffee mit ihm trinken, also mussten Brötchen her. Auf dem Weg durch die Zedeliusstraße zur Inselbäckerei sog er die klare Meeresluft tief in sich ein. Auf der Straße begegneten ihm nur E-Karren einiger Handwerksbetriebe, die sich jetzt sputen mussten, um zum Saisonbeginn alle Arbeiten zum Abschluss zu bringen. Aus dem rötlichen E-Karren der Inseltischlerei donnerte ihm ein kräftiges „Moin Sheriff“ entgegen. Petersen kannte den Gesellen vom „Störtebeker“. Er gehörte zur allabendlichen Knobelrunde beim Magister. Die knallgelb gestrichene Eingangstür der Bäckerei war geöffnet. Zum ersten Mal waren wieder Tische und Stühle auf der Terrasse aufgebaut. In der Saison wurde hier ein gutes Frühstück angeboten. Auch Petersen, der, mal von Silvester abgesehen, noch keine richtige Saisonerfahrung besaß, nahm sich vor, hier einmal zu frühstücken. Im Verkaufsraum war niemand zu sehen. Petersen brummte, um sich bemerkbar zu machen, ein tiefes „Moin.“
„Komme sofort“, flötete es aus dem Hinterraum.
Sogleich erschien eine äußerst attraktive Blondine mit einer braunen Bäckerschürze. Als sie Petersen erblickte, lief ihr Gesicht leicht rot an, auch Petersen war verunsichert. Es war die nette Verkäuferin vom letzten Jahr, die ihn einmal als „Insel-Clapton“ bezeichnet hatte. Vielleicht wäre etwas zwischen ihnen gelaufen, wenn da nicht die Sache mit Mona gewesen wäre.
Petersen durchbrach als Erster die peinliche Stille:
„Wo sind Sie denn die letzten Wochen gewesen? Ich habe Sie vermisst.“
Noch einmal errötete die Verkäuferin um einiges mehr.
„Ich war zu Hause in Greifswald. Ich bin hier keine Ganzjahreskraft. Außerdem waren Sie ja mit anderen Dingen beschäftigt.“
War das jetzt eine Anspielung auf seine Arbeit im Fall Dunker oder spielte sie auf die Sache mit Mona an? Petersen versuchte seine Verunsicherung zu unterdrücken.
„Ja, ja jetzt ist es wieder ruhiger.“
Mehr brachte Petersen nicht zustande. Beim Rausgehen ärgerte er sich über sich selbst, so ein bescheuerter Satz! In solchen Dingen war er oft hilflos. Auf den Treppenstufen der Terrasse drehte er sich noch einmal um und machte eine ungelenke Handbewegung, die ein Winken darstellen sollte. Hierbei übersah er eine Stufe und hätte sich fast auf die Schnauze gelegt. Bloß weg hier, bevor es noch peinlicher wird! Schnurstracks trat er den Heimweg zur Charlottenstraße an. Onnos Fahrrad stand bereits im Fahrradständer vor dem rot geklinkertem Haus mit dem großen Polizeischild neben der Eingangstür.
Während Petersen frühstückte, kontrollierte Siebelts die eingegangenen Mails. Lachend drehte er sich zu Petersen um:
„Da ist sie wieder die Fahrradnummer! Der Bürgermeister bittet noch einmal, die Kontrollen in der Fußgängerzone in der beginnenden Saison zu verstärken.“
Petersen legte sein Marmeladenbrötchen aus der Hand:
„Weißt du, was wir machen? Wir machen Symbolpolitik. Wenn der neue Kollege da ist, gehen wir mit drei Mann in die Zedeliusstraße und machen da ‘ne große Kontrollshow.“
„Is‘ ja gut“, stutzte Siebelts, „aber warum ist das Symbolpolitik?“
„Das haben wir in Bremen auch immer gemacht. Wenn die Bevölkerung unzufrieden war, haben wir so eine Schwerpunktaktion gemacht, einen Monat lang, ordentlich Wirbel mit Presse usw.“
„Das is‘ ja nix Schlechtes oder?“
„Nein, natürlich nicht, was nur verschwiegen wird, ist, dass aus anderen Bereichen die Beamten abgezogen werden. Also, was du auf der einen Seite gewinnst, verlierst du auf der anderen, ein Nullsummenspiel.“
„Ich find‘ die Idee für uns aber trotzdem gut“, beharrte Siebelts.
„Na klar, da wird die Insel noch längere Zeit von sprechen. Wir lassen uns per Foto ablichten, machen einen Artikel für den Inselkurier. Es gibt keine Verwarnungen, gleich Bußgeld, unter dem Motto: Die Polizei greift hart durch.“
Siebelts lachte:
„Du bist so ‘n Trickser, warum bist du eigentlich nicht Polizeipräsident in Bremen geworden?“
„Weil ich nicht in der SPD bin.“
„Na ja, außerdem hast du ja auch noch anderen Scheiß gebaut.“
Bei diesen Worten verfinsterte sich Petersens Gesicht. Bei den Ereignissen, die zu seinem Straf- und Disziplinarverfahren geführt hatten, verstand er keinen Spaß. Die Wunde saß zu tief. Er war immerhin Leiter einer Ermittlungsgruppe mit der höchsten Aufklärungsquote im Drogenbereich gewesen und wurde seiner Meinung nach durch eine Intrige ans Messer geliefert. Siebelts, der das versteinerte Gesicht von Petersen bemerkt hatte, wiegelte sofort ab.
„Entschuldigung, ich wollte dir nicht zu nahe treten. Ich
weiß, dass dir übel mitgespielt wurde. Schwamm drüber!“
„Geschenkt“, murmelte Petersen.
Siebelts lenkte das Gespräch wieder in eine andere Bahn:
„Jede Wette, wenn wir das mit der Fahrradkontrolle durchziehen, das meiste Bußgeld holen wir von den Insulanern selbst.“
Petersen nickte:
„Ich denke, wir sollten jetzt mal zur Strandkorbhalle gehen. Mal sehen, wie weit die Spusi ist“
Siebelts stimmte ihm zu. Beide griffen sich ihre Uniformmützen und machten sich auf den Weg. Auf der Promenade erwartete sie ein toller Ausblick. Im Fahrwasser nach Bremerhaven konnte man ein großes Kreuzfahrtschiff erkennen, während im Wangerooger Fahrwasser ein Supertanker der offenen Nordsee entgegen fuhr. Petersen genoss diesen Moment. Beide blieben einen Moment stehen.
„Onno, ist das für dich eigentlich immer noch was Besonderes, dieser Ausblick, oder nimmst du das als Insulaner gar nicht mehr wahr?“, fragte Petersen seinen Kollegen.
Ohne zu zögern kam die Antwort:
„Ich muss einmal am Tag am Strand gewesen sein, sonst fehlt mir was. Das ist einfach so drin.“
Sie gingen jetzt am Schwimmbad vorbei, das gerade renoviert wurde, direkt auf die Auffahrt zur Strandkorbhalle. Das Rolltor war etwa zur Hälfte geöffnet. Petersen sah sofort, dass die drei Beamten am Einpacken waren.
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