Verscharrt
auf
Wangerooge
Petersens zweiter Fall
*******
Kriminalroman
von
Malte Goosmann
Copyright: © 2016 Malte Goosmann
Cover Design & Layout : Monika Goosmann
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
ISBN 978-3-7418-0040-5
Deutsche Bucht - März 1945
Trotz der alliierten Offensive am Rhein war der deutschen militärischen Führung nicht klar, ob noch ein Landeunternehmen von See aus bevorstand. Der Kommandeur im Führungsbereich Bremen ordnete eine erhöhte Aufmerksamkeit an. Jegliche Wahrnehmung über Luft- und Seelandungen waren zu melden. Hinter den Deichen sollten Panzergräben ausgehoben werden. Die Versorgungslage war jedoch schon derart desolat, dass diese Arbeiten auf Grund von Material- und Personalengpässen nur sehr beschränkt durchgeführt werden konnten. Augenscheinlich hatte man Hinweise über Aktivitäten feindlicher Marineaufklärungseinheiten vor den Ostfriesischen Inseln erhalten. Die Personalstärke im Bereich des Admirals Deutsche Bucht (Bereich von der dänischen bis zur niederländischen Grenze) betrug 82.000 Personen, zu ihnen gehörten etwa 10.000 Marinehelfer- und helferinnen.
Die Nordseeinsel Wangerooge hatte im 2.Weltkrieg eine hohe militärische Bedeutung. Von hier aus konnte der seewärtige Zugang zu Deutschlands bedeutendstem Kriegshafen Wilhelmshaven kontrolliert werden. Aber auch in der Luftverteidigung hatte Wangerooge einen hohen Stellenwert. Die alliierten Luftangriffe auf die deutschen Seehäfen und auf das Hinterland wurden häufig über den Bereich Wangerooge geflogen, somit spielte Wangerooge eine große Rolle bei der Luftverteidigung des Deutschen Reiches. Entsprechend waffenstarrend präsentierte sich die kleine Insel im 2.Weltkrieg. Vom Westturm bis zur Ostspitze der Insel war der Strand mit seinen Dünen zum Teil verbunkert und mit zahlreichen Flak- und Artilleriestellungen versehen. Man geht davon aus, dass sich auf Wangerooge ca. 100 Bunker befanden. Neben den Marineeinheiten befanden sich auch Abfangjäger vom Typ Me109/110 und Minensuchflugzeuge vom Typ Ju 52 auf der Insel, die über einen Flugplatz verfügte. Neben den Geschützstellungen befanden sich neuartige Funkmessgeräte, Vorläufer der späteren Radartechnik, die sehr früh feindliche Flugzeuge erfassen konnten. Diese Geräte trugen die Namen Würzburg, Freya oder Wassermann. Das heutige Café Pudding, ein Wahrzeichen Wangerooges, ist auf einem Bunker gebaut, auf dem eine solche Funkmessantenne stand. Neben den Antennen waren in der Regel große Suchscheinwerfer installiert. Diese Scheinwerfereinheiten sollten den Luftraum erhellen, um anfliegende Maschinen zu erfassen und gegnerische Flieger zu blenden.
Die Besatzungen dieser Stellungen bestanden auf der einen Seite aus älteren Marineoffizieren und auf der anderen Seite aus jungen Marinehelfern, die aus den Höheren Schulen und Mittelschulen im Küstenraum rekrutiert wurden. Betroffen waren die Jahrgänge 1926 und 1927. Nach etwa einem Jahr wurden diese Jugendlichen in den Reichsarbeitsdienst überführt, um dann später noch Dienst in der Wehrmacht zu absolvieren. Der Jahrgang 1928 verbrachte seine gesamte Dienstzeit bis zum Kriegsende auf der Insel. Durch den vermehrten Einsatz der Marinehelfer war es möglich, weitere Soldaten an die Front zu schicken. Für die durchweg schulpflichtigen Jugendlichen bedeutete die Einberufung zu den Marine-helfern erst einmal eine willkommene Abwechslung vom Schulalltag. Ein Minimum an schulischer Ausbildung sollte beibehalten werden. Dieses bedeutete für die Marinehelfer, dass neben dem Einsatz bei der Luftverteidigung auch Schulunterricht auf der Tagesordnung stand. Dieses hieß konkret, dass die Jugendlichen häufig nachts, wenn die Alliierten ihre Angriffe flogen, Gefechtsdienst absolvierten und am Tage dem Schulunterricht folgen mussten. Gegen Ende des Krieges wurde die geforderte Mindeststundenzahl von 18 Unterrichtsstunden deutlich unterschritten, da die Alliierten sowohl am Tag als auch in der Nacht ihre Angriffe flogen. In den Gefechtspausen mussten die Artilleriewaffen gereinigt werden. Die Zeit für Schlaf und Nahrungsaufnahme verkürzte sich zunehmend. Freizeitgestaltung, wie sie die Richtlinien für den Einsatz von Marinehelfern vorsahen, blieb die Ausnahme.
Nordseeinsel Wangerooge - März 1945
Erste Sonnenstrahlen zeigten sich am späten Vormittag. Die drei Marinehelfer, die in Höhe der Stellung 2 in den Dünen lagen, spürten schon die wärmende Kraft der Frühlingssonne. Sie hatten ihre Uniformjacken aufgeknöpft und sich in Richtung Osten aufgereiht, um ein wenig von der wärmenden Sonne abzubekommen. Alle drei rauchten eine Zigarette, obwohl ihnen dies offiziell verboten war. In einer Anweisung zur gesundheitlichen Betreuung von Flak-Helfern waren die Jugendlichen von allen Genussgiften wie z. B. Tabak und Alkohol auszuschließen. Als Ausgleich erhielten sie größere Mengen von Drops, die sie wiederum mit den älteren Soldaten gegen Zigaretten tauschten. Diese Praxis wurde in der Regel von den Vorgesetzten toleriert. Nur die Lehrer der Marinehelfer meldeten schon manchmal den einen oder anderen Schüler bei den Offizieren, wenn die Jungen rauchend erwischt wurden. Richtig Ärger gab es einmal, als am Strand mehrere Fässer englischen Vollbieres angeschwemmt wurden und in der Kantine dann ältere Soldaten die Jugendlichen, die die Fässer geborgen hatten, mit ein paar Gläsern Bier belohnten.
Für Dietrich Reimers, Meinhard Siems und Gerd Fehrensen lag dieses Ereignis weit zurück. Sie ließen sich nicht mehr von ihren Vorgesetzten und Lehrern erschrecken. Im Laufe ihrer Dienstzeit war ihr Selbstbewusstsein enorm angewachsen. Sie spürten, dass man auf sie angewiesen war. Neues Personal war nicht in Sicht und im Laufe der Zeit waren sie eine funktionierende Einheit geworden. Alle drei waren Oberschüler, mit einer schnellen Auffassungsgabe, die ihnen eine Art Sonderstellung unter den Marinehelfern bescherte. Die Schüler waren allesamt sehr gute Mathematiker. Sie konnten die Daten des Funkmessgeräts Würzburg Riese in ihrer Stellung 2 sehr schnell auswerten, in den entsprechenden Planquadraten darstellen und an die Flakstellungen weiterleiten. Ihr Vorgesetzter, der schon etwas ältere Batterieoffizier Heinz Behnken, wusste, was er an „seinen Jungs“ hatte und ließ ihnen viele Freiheiten. Er selbst war schon häufig belobigt worden wegen der hohen Abschussquoten, aber auch die drei Marinehelfer wurden auf Vorschlag von Behnken mit den Flak-Kampfabzeichen ausgezeichnet.
Obwohl sie so gut im militärischen Alltag harmonierten, waren sie völlig unterschiedliche Charaktere. Dietrich Reimers, der große schlaksige Junge mit den blonden Haaren und den wasserblauen Augen, kam aus Bremen. Sein Vater war Lehrer, langjähriges SPD-Mitglied, wurde aber wegen seiner nazikritischen Äußerungen im Jahre 1938 aus dem Schuldienst entlassen. Er hielt sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Im Jahre 1942, Reimers Vater war mittlerweile 62 Jahre alt, wurde er von der NSDAP-Kreisleitung Bremen verpflichtet, als Lehrer an der deutschen Nordseeküste Marinehelfer zu unterrichten. Zu diesem Zweck wurde er an die Hermann-Lietz-Schule auf Spiekeroog versetzt. Er musste eine Erklärung unterschreiben, die ihm jegliche Art von politischer Äußerung verbot. Da sein Sohn noch schulpflichtig war, wurde dieser somit zum Schüler auf Spiekeroog.
Meinhard Siems, geborener Wangerooger, war der Sohn eines Kapitäns, der jetzt im Krieg als Kommandant eines U-Boot-Versorgungsschiffes seinen Dienst tat. Seine Mutter war im Lazarett auf der Insel als Krankenschwester tätig. Meinhard war der kleinste der drei, dunkelhaarig und von etwas gedrungenem Körperbau. Beim Sport hatte er meist das Nachsehen, war aber wegen seines ausgleichenden Wesens sehr beliebt bei seinen Kameraden, zumal er jedes Versteck auf der Insel kannte.
Читать дальше