„Unglaublich, woher hat der so viel Geld und dann noch in bar bei sich rumliegen?“, fragte eine sichtlich aufgeregte Heike Wohlers.
Leicht grinsend sah Petersen seine Kollegin an. Die Lust zur Provokation war in ihm erwacht. „Vielleicht war er ein Callboy und hat sich seine Dienste von der Weiblichkeit bezahlen lassen.“
Heike Wohlers war sichtlich verärgert. Ihre Backen verfärbten sich. „Petersen, was ist mit dir los? Du hast ja nur diese Sex-Scheiße im Kopf. Das ist ja unerträglich.“
Er wusste, dass jetzt die Zeit für einen Rückzug gekommen war. Sie mussten wieder zur Sacharbeit zurückkehren. „Okay, okay, ich hatte Kopfkino. Wir sollten mit Erhardt nachher alle Möglichkeiten durchspielen. Er muss uns die Kontounterlagen besorgen. Wir müssen Einsicht in Poppingas finanzielle Verhältnisse bekommen. Was hat er verdient? Nebeneinkünfte? Erbschaft usw.“
„Geht doch“, kam es trocken von seiner Kollegin.
Sie brauchten noch etwa 30 Minuten, bis die komplette Wohnung durchsucht war, wobei es keine Überraschungen mehr gab. Pünktlich stand der Tischlergeselle vor der Tür. Er verriegelte die Wohnungstür provisorisch und Petersen klebte ein Polizeisiegel über den Türspalt.
„Rechnung geht an euch, oder?“
Petersen nickte. Kaum war der E-Karren der Tischlerei abgefahren, hörten sie eine tiefe, verrauchte Stimme.
„Das beste am Norden sind unsere Kommissare“, rief der Magister, der ihnen entgegenkam, um seinen morgendlichen Cappuccino zu trinken.
„Ich weiß schon, warum ich heute Nacht so gut geschlafen habe. Bei so viel polizeilicher Kompetenz auf der Insel fühlt man sich sicher“, setzte er nach und begann die erste Zeile der Titelmelodie aus der Fernsehserie „Großstadtrevier“ von Truck Stop zu singen.
„ Wenn der Schutzmann ums Eck kommt, nimmt der Ede reiß aus …“
Heike Wohlers war drauf und dran zu platzen. Sie fühlte sich schlichtweg verarscht.
„Du hast schon mal besser gesungen. Trink deinen Cappo und lass uns unsere Arbeit machen, denn wie du arbeitest, möchte‘ ich auch mal Urlaub machen“, konterte Petersen.
„Du würdest keine Schicht bei mir durchhalten, mein Lieber. Aber okay, man sieht sich. Macht’s gut, ihr Streifenhörnchen“, mit diesen Worten zog der Magister von dannen. Der Erregungspegel bei Heike Wohlers war wieder gestiegen.
„So was muss man sich doch nicht gefallen lassen und du spielst auch noch mit“, empörte sie sich.
„Er ist gewöhnungsbedürftig, aber es macht Spaß, mit ihm zu frotzeln.“
Ungläubig schüttelte Heike Wohlers ihren Kopf. Sie überquerten die Straße. Im Revier wartete Oberkommissar Erhardt schon ungeduldig auf die beiden. „Es gibt ein Problem. Der Typ von der Hausverwaltungsfirma aus Oldenburg ist schon da und ist bereits in Poppingas Büro. Das passt mir gar nicht.“
Petersen nickte. „Wir gehen sofort hin. Heike, du hältst bitte hier die Stellung. Bitte fertige in der Zwischenzeit eine Notiz über die Hausdurchsuchung an!“
Ihre säuerliche Miene zeigte Petersen, dass sie nicht unbedingt mit dieser Form der Arbeitsteilung einverstanden war.
Beide Kommissare eilten in Richtung Appartementanlage. Das Hausmeisterbüro befand sich im Erdgeschoss des ersten Hauses. Als sie dort eintraten, durchwühlte gerade jemand einen Schreibtischauszug.
„Moment mal, was machen Sie da?“, rief Kommissar Erhardt mit strenger Stimme.
„Ich suche die Liste mit den Buchungen für die Weihnachtstage“, erklärte der Mann, der sich sichtlich ertappt fühlte. „Ich darf mich erst einmal vorstellen, Dennis Wartmann, Vertreter der Hausverwaltungsagentur.“
Nachdem auch die beiden Kommissare sich vorgestellt hatten, begannen sie eine kurze Befragung zur Person von Enzo Poppinga, die aber nichts Neues zum Vorschein brachte. Poppinga war als Hausmeister tätig, empfing die Gäste und überprüfte, ob das Inventar nach Beendigung des Urlaubs noch vollständig und unbeschädigt war. Von etwaigen Nebeneinkünften war Wartmann nichts bekannt. Wartmann hatte nichts dagegen, dass die Polizisten sich in dem Büro umschauten. Allerdings eskalierte die Situation, als Erhardt bat, den Rechner mitnehmen zu dürfen.
„Hierfür brauchen Sie doch nach meiner Kenntnis einen Beschluss oder irre ich mich da?“
„Ich dachte, Sie seien bereit, mit uns zu kooperieren?“, bemerkte Erhardt verärgert.
„Da dies ein Firmencomputer ist und nicht das persönliche Eigentum von Herrn Poppinga, muss ich auf einen Beschluss bestehen.“
Jetzt wurde Erhardt förmlich. „Okay, dann ist das Büro jetzt gesperrt, auch für Sie, Gefahr im Vollzug. Ich werde mir diesen Beschluss noch heute besorgen. Bitte verlassen Sie das Büro und händigen Sie uns die Schlüssel aus!“
Wartmann fühlte sich überrumpelt, nur widerwillig händigte er die Schlüssel aus. Alle drei verließen das Büro. Wartmann hinterließ seine Handynummer und Erhardt versprach, ihn sofort zu kontaktieren, wenn der Beschluss da war.
Auf der Stelle telefonierte Erhardt mit Wilhelmshaven, um einen Beschluss zu bekommen. Auf dem Rückweg zum Revier äußerte Petersen einen Verdacht. „Der hat doch nicht die Buchungen für die Weihnachtstage gesucht. Das kann mir niemand erzählen. Solche Buchungen laufen immer über den PC. Er hat etwas anderes gesucht. Da gehe ich jede Wette ein.“
„Das kam mir auch alles etwas komisch vor.“
„Ich hoffe nur, dass der liebe Herr Wartmann uns tatsächlich alle Schlüssel vom Büro gegeben hat und nicht jetzt wieder heimlich an den PC geht.“
Erhardt nickte. „Vielleicht hätten wir das Büro versiegeln sollen. Scheiße, hab‘ ich nicht dran gedacht.“
Im Revier angekommen, wurden sie von Heike Wohlers freudig begrüßt. „Die KTU hat die Ergebnisse der ballistischen Untersuchung geschickt, höchst interessant.“
„Nun mach das nicht so spannend, was steht drin?“
Wohlers genoss es sichtlich, dass sie nun die Informationen in der Hand hielt. Betont langsam rief sie die Seite auf ihrem PC auf und studierte noch einmal die Mail aus Oldenburg.
„Hallo, was ist denn nun?“, quengelte ein reichlich genervter Petersen.
Langsam drehte Wohlers sich auf ihrem Bürostuhl zu den beiden Kommissaren. „Also“, sprach sie betont provozierend. Petersen schäumte vor Ungeduld, was sie zu genießen schien. „Poppinga wurde mit einer Jennings 6 mm erschossen. Die Waffe hat ein 6 Schuss-Magazin. Es wurde nur einmal geschossen.“
„Jennings, noch nie gehört“, staunte Erhardt.
Petersen lächelte verschmitzt und strich sich mit der rechten Hand langsam über seinen Dreitagebart. „Jennings Firearms heißt die Firma mit Sitz in Chino, Kalifornien. Diese Waffe ist sehr klein und wird in den USA vom FBI als versteckte Waffe benutzt, was natürlich einige Fragen aufwirft.“
Wohlers und Erhardt konnten ihr Erstaunen über Petersens Kenntnisse kaum unterdrücken. Aber es blieb keine Zeit für weitere Diskussionen. Das Faxgerät ratterte. Gespannt starrte Erhardt auf das Gerät. „Endlich wird mal schnell gearbeitet“, jubelte er, „der Beschluss ist da. Laut §§ 94ff. StPO können wir den PC beschlagnahmen, unterzeichnet von einem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Wilhelmshaven. Wie kriegen wir den PC denn zum Flughafen, denn dort wird er abgeholt und nach Oldenburg zur KTU gebracht?“ Jetzt hatte Kommissar Erhardt unbewusst einen wunden Punkt angesprochen.
Petersens Blutdruck fuhr hoch. „Seit Jahren fordern wir hier ein Fahrzeug für den Polizeiposten Wangerooge. Alle wichtigen Institutionen haben hier Fahrzeuge: Feuerwehr, Rettungsdienst, Seehundrettung usw. nur wir nicht. Selbst Helgoland hat ein Fahrzeug und jetzt auch Juist. Die haben einen vollelektrisch angetriebenen Squad bekommen, überdacht und in jedem Gelände einsetzbar. Und was machen wir jetzt? Ich hole den Bollerwagen aus dem Schuppen und dann ziehen wir damit den PC zum Flughafen. Ich könnte kotzen!“
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