Sie fühlte, wie er seine Hälfte hinter ihr hochhob und sich neben sie schob. Etwas streifte ihre Waden, wahrscheinlich einer seiner Füße. Als sie über ihre Schulter zurücksah, hatte er ihr den Rücken zugekehrt.
»Keine Sorge, mein Schwanz wird dich nicht berühren. Ich hab meine Hose anbehalten«, murmelte er mit dunkler Stimme.
Sie keuchte hörbar auf und zog sich den Stoff bis zu den Schultern hoch. Er lachte laut auf in ihrem Rücken. Er hatte sie schon wieder erwischt. Sie nahm sich vor, sämtliche Reaktionen auf seine Aussprache von jetzt an zu unterdrücken, damit er aufhörte, sie zu ärgern und sie aufhörte, ständig vor Scham zu verglühen.
Es dauerte nicht lange, da hörte sie ihn tief und ruhig atmen. Als sie sich nach ihm umsah, konnte sie sehen, dass seine Hand unter der Decke, direkt unter seinem Kopf, etwas umklammerte. Aber im immer dunkler werdenden Glühen des Lagerfeuers konnte sie nicht sehen, was es war. Sie legte sich auf den Rücken und starrte zum Himmel hoch, der übersät war mit Sternen. Ein wunderschöner Anblick, den sie hätte genießen können, wenn ihre Angst nicht so entsetzlich präsent gewesen wäre. Sie war erdrückend, jetzt, wo er schlief und alles ruhig war, noch viel mehr. Weil die Erinnerungen sie wieder einholten. Und das schaurige Gefühl, dass der fremde Mann neben ihr auslöste. Sie hatte noch nie neben einem anderen Mann als Manuel geschlafen. Er war nach dem Tod ihrer Eltern alles, was ihr noch geblieben war. Deswegen hatte sie es wohl auch so lange mit ihm ausgehalten. Sie wünschte sich fast, sie könnte sich wieder mit Rogue unterhalten, damit ihr Erstaunen über seine Aussprache sie weiter ablenkte.
Rogue festigte den Griff um seine Sig-Sauer, bevor er die Augen öffnete und gegen das Morgengrauen anblinzelte. Er hatte ein Geräusch gehört, das Knacken eines Zweigs, das leise Scharren der Kiesel am Seeufer. Er wusste nicht, was die Geräusche ausgelöst hatte, aber es hatte ihn aus dem Schlaf gerissen. Dazu brauchte es nicht viel, denn Rogue schlief nie besonders fest, befand sich seit seinem Aufenthalt im Knast auch nachts immer in Alarmbereitschaft. Und wenn er doch fest schlief, wurde er von Albträumen überrollt, in denen er seine Frau oder seinen Freund in seinen Armen sterben sah.
Sein Blick fiel auf ein paar schwarze Männerschuhe, abgetragen. In einer blitzschnellen Bewegung zog er seine Waffe unter seinem Kopf hervor und zielte auf das boshaft grinsende, völlig verzerrte Gesicht über ihm. Zu spät, der Mann ließ den mörderisch großen Stein fallen, den er über Rogue gehalten hatte, genau in der Sekunde, in der Rogue erkannte, was da über seinem Gesicht schwebte. Das letzte, was er wahrnahm, war das Schreien der Frau.
Hatte die Sonne sein Gehirn gebraten? Rogue öffnete die Augen und schloss sie sofort wieder, als das helle Licht wie ein Pfeil in seinen hämmernden Schädel schoss. Er stöhnte, legte mit einer Bewegung, die sich anfühlte, als würde er seinen Arm durch eine dicke Masse bewegen müssen, eine Hand auf seine Stirn und ertastete eine eingetrocknete Kruste, die quer über seine ganze Stirn lief. Blut, es musste schon eine Weile dort sein, denn es war hart. Nur langsam tauchte Rouge aus diesem vernebelten Zustand zwischen Schlaf, Ohnmacht und der Realität auf. Und mit jedem Stück Hier und Jetzt, das er sich mühsam erkämpfte, pulsierte sein Schädel noch heftiger. Er öffnete wieder die Augen und starrte auf die in der Mitte des Himmels stehende Sonne.
»Verdammt, es ist schon Mittag«, fluchte er, richtete sich auf und fluchte gleich noch einmal, weil sich alles um ihn herum drehte. Er bewegte vorsichtig den Kopf, um nach der Frau zu sehen. »Daria?«, krächzte er, dann fiel sein Blick auf den Stein. Er sprang auf, zog seine Decke weg, knurrte vor Wut. Seine Sig war weg.
»Wenn ich dieses Arschloch erwische …« Er schüttelte den Kopf. Das musste warten. Klar, er musste dieses Schwein finden, aber nicht wegen der Waffe, zuallererst wegen der Frau. Er hatte dieser Frau versprochen, sie nach Hause zu bringen, das würde er auch tun. Die Sig war nur eine von vielen. Auch wenn er diese besonders mochte, weil er mit ihr McCraw das Hirn gelöchert hatte. Dem Mann, der seine Frau zu Tode gefoltert hatte.
»Die Frau«, fluchte er wieder. Was zur Hölle war hier los? Er musste nicht lang überlegen, die Kleine war wohl nicht wandern gewesen. Eigentlich ging ihn die Sache ja nichts an, aber er mochte Miss Perfect und er hielt sich an seine Versprechen. Er beachtete seine Sachen, die überall verstreut waren, nicht weiter, sondern suchte nach einem Hinweis, der ihn zu Daria führen könnte. Der Gedanke, dass sie sich auf ihn verlassen und er es vergeigt hatte, machte ihn wütend. Ja, er war angepisst. Er würde das hier wieder in Ordnung bringen.
Er tastete nach seinem Messer, das er unter seiner Hose an der Wade trug, holte es hervor und lief los. Der Mann hatte wohl angenommen, Rogue wäre kein Problem mehr, denn er hatte sich keine Mühe gegeben, seine Spuren zu verwischen. Eine breite Schleifspur führte einige Meter am See entlang. Er musste Daria gezogen haben. Ein Schlappschwanz, der nicht einmal eine Frau tragen konnte, hatte Rogue außer Gefecht gesetzt. Rogue fühlte sich noch mehr angepisst.
Den Hang hinauf war ein Stück Erde aufgewühlt, hier musste der Mann weggerutscht sein durch das Gewicht seiner Last, die er hier hochgezogen haben musste. Ein Stück weiter entdeckte er herausgerissenes Moos, etwas Blut, zerbrochene Zweige. Er folgte den Spuren eine Weile, bis er sie verlor, kehrte zurück zur letzten Spur und suchte nach neuen Hinweisen. Die Kopfschmerzen und die Übelkeit, die ihn plagten, machten es ihm nicht unbedingt einfacher. Es war heiß, er schwitzte und er hatte Durst. Wieso hatte er sich nichts zu trinken mitgenommen? Weil er Hals über Kopf losgestürmt war, was nicht typisch für ihn war. Er konnte es nur auf seinen dröhnenden Schädel schieben.
Er blieb stehen, tastete vorsichtig nach der Wunde oberhalb seiner Stirn und ächzte. Wenn dieser Stein ein bisschen schwerer oder Rogues Schädel nicht so dick gewesen wären, dann hätte er jetzt wohl ein Problem. Oder er hätte nie wieder ein Problem, je nachdem, wie man es betrachten mochte. Frustriert wischte er sich mit dem Unterarm über die verschwitzte, verkrustete Stirn. Er war zwar umgeben von meterhohen Bäumen, aber die konnten die Sommerschwüle nicht aus dem Wald halten. Die Bäume machten es eher noch schlimmer, weil sich die Luft zu dick zum Atmen anfühlte hier unten. Er drehte sich suchend einmal im Kreis und stoppte, als er ein Haus entdeckte, das sich direkt vor seiner Nase hinter einigen Bäumen versteckte, dunkel, unheimlich und wohl lange schon verlassen. Das ideale Versteck für einen Irren?
Rogue festigte seinen Griff um sein Jagdmesser, nahm eine halb gebeugte Haltung ein und schlich sich im Schutz der Bäume näher an das Haus. Die Fenster waren dunkle Löcher, zum großen Teil eingeschlagen, das Mauerwerk war so schmutzig, dass man unmöglich noch sagen konnte, welche Farbe der herabbröckelnde Putz mal gehabt hatte. Das Haus war nicht groß, sehr schmal, hatte aber immerhin zwei Etagen, war geziegelt. Wahrscheinlich war es mal ein Forsthaus gewesen. An der Seite stand ein Polizeiauto, wenn Rogue nicht schon genug Erfahrungen mit der Polizei gesammelt hätte, wäre er jetzt erleichtert, denn eigentlich konnte das nur bedeuten, dass die Frau schon Hilfe hatte. Aber Rogue hatte eine Menge sehr schlechter Erfahrungen mit der Polizei in Schottland gemacht. Warum sollte die in Spanien besser sein? Also schlich er sich noch näher an das Haus, warf einen vorsichtigen Blick in das Auto und dann den schlechten Weg entlang, den das Auto wohl gekommen war.
Rogue hatte ein sehr komisches Gefühl in der Magengrube, und auf dieses Gefühl konnte er sich verlassen. Bisher hatte es ihn nur einmal im Stich gelassen, als er nicht rechtzeitig kam, um seine Frau zu retten. Er hoffte sehr, dass er dieses Mal nicht wieder zu spät war. Vorsichtig drückte er sich gegen die Mauer des Hauses und schob sich langsam an das erste Fenster heran, das recht niedrig war. Er musste sich nur ein wenig nach vorne beugen, um einen Blick nach innen werfen zu können. Und was er sah, ließ ihm seinen Mageninhalt in den Rachen schießen. Rogue war nicht empfindlich, er hatte schon eine Menge schlimme Dinge gesehen, aber er war noch nie mit realen Horrorfilmszenarien konfrontiert worden. Er drückte seine Hand auf seinen Mund und schluckte die bittere Galle herunter. Wie gut, dass sein Magen leer war. Er schloss die Augen und atmete tief ein, bevor er noch einmal durch das Fenster in die Küche sah.
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