»Mein Kopf hat heute genug abbekommen«, brummte Rogue und benutzte seine Stiefelspitze, um sie dem Bullen zwischen die Beine zu treiben.
Der Mann strauchelte, kippte, versuchte nach Rogue zu greifen und stürzte dann den Abhang hinunter. Auf seinem Weg nach unten nahm er mit seinem Körper ein paar Bäume mit. Und Rogues Sig. Rogue verzog das Gesicht, wirklich schade um die Sig.
»Ist er tot?« Daria trat neben ihn und starrte den Abhang hinunter.
»Gut möglich, aber davon überzeugen wir uns jetzt nicht.« Er musterte sie besorgt und schnappte nach Luft. »Ich hatte gesagt, du sollst verschwinden«, knurrte er sie wütend an.
»Und ich tue grundsätzlich nicht, was ein Mann mir sagt. Nicht mehr«, fügte sie leise an und sah zur Seite.
Rogue musterte sie neugierig. Er hätte zu gern mehr über dieses »nicht mehr« gewusst, aber dafür war jetzt nicht der richtige Zeitpunkt. Er trat näher an die Frau ran, als er von unten ein Keuchen hörte und sah, wie der irre Bulle sich auf die Knie kämpfte, und hob sie wieder auf seine Arme. »Schaffen wir dich erstmal hier weg, ich kümmere mich später um das Dreckschwein.«
Zum ersten Mal in ihrem Leben saß Daria auf einem Motorrad. Bisher hatte sie nie darüber nachgedacht, dass auf einem Motorrad mitzufahren hieß, jemandem körperlich so nahe zu kommen. Aber Daria war dem Biker näher als ihr lieb war, denn ihr Oberkörper drückte sich so fest gegen seinen, dass ihre Brüste ihn berührten, dass ihre Schenkel seine umklammerten und ihre Arme um seine festen Bauchmuskeln geschlungen waren. Sie konnte den ledrigen, würzigen Duft seiner Kutte riechen und sie musste zugeben, dass sie diesen Geruch mochte. Genauso wie seine steinharten Bauchmuskeln, die sich unter ihren Händen bewegten. Sie fühlte sich ganz nervös, denn sie war bisher nur Manuel je so nahegekommen. Dieses merkwürdige Gefühl in ihrer Magengrube machte sie so irre, dass sie sich auf ihren schmerzenden Knöchel konzentrierte, um nur noch ihn fühlen zu können.
Sie war müde und erschöpft und glaubte, diese Müdigkeit bis tief in jede Zelle ihres Körpers spüren zu können. Dort fühlte sie aber auch die Angst vor Manuel, denn wenn Rogue sie gleich nach Hause fahren würde - oder in das Krankenhaus - müsste sie sich mit ihrem Mann auseinandersetzen, und das würde hart werden. Besonders, nachdem sie versucht hatte, ihn zu verlassen. Wahrscheinlich war er längst wieder zu Hause und lauerte wie eine Schlange darauf, dass sie zu ihm zurückkehren würde. Dabei war sie froh gewesen, von ihm fortgekommen zu sein. Zumindest, bis sie in diesem Haus aufgewacht war, umgeben vom Gestank des Todes und Blut und den starren Augen der Frau, die auf dem Tisch lag. In diesem Augenblick wäre sie nirgendwo lieber gewesen als bei Manuel. Wenn sie ehrlich zu sich selbst war und die Angst vor der Bestrafung weit von sich schob, dann war sie auch jetzt froh, wieder nach Hause zu kommen.
Das Motorrad wurde langsamer, dann hielt es vor dem Tor der alten Werkstatt und Daria verspannte sich hinter Rogue. Solange Daria sich erinnern konnte, war an diesem mindestens drei Meter hohen Stahltor ein › Zu Verkaufen‹-Schild angebracht gewesen. Sie war Manuel nach ihrem Abschluss vor sieben Jahren nach Tolosa gefolgt, hatte ihn geheiratet und das kleine Haus gekauft, und schon damals stand die Werkstatt zum Verkauf. Jetzt war das Schild durch das Logo ersetzt worden, das auch Rogues Rücken zierte.
Gerade als sie sich fragen wollte, warum er sie hierherbrachte, fiel ihr ein, dass er ja gar nicht wusste, wo sie wohnte. Aber er hätte sie ins Krankenhaus fahren können. Daria starrte mit klopfendem Herzen auf das Logo des Motorradclubs, während sich das Tor langsam öffnete und Rogue mit ihr an einem Mann vorbeifuhr, der sie verwundert ansah, bevor er das Tor hinter ihnen wieder schloss.
Darias Beine zitterten etwas, als sie von der Maschine abstieg und sich langsam auf dem Innenhof umsah. Sie war schon hier gewesen, als das hier noch zum Verkauf stand, damals fanden hier Trödelmärkte statt, daher kannte sie die Gebäude, die in U-Form standen. Ein Teil schien auch noch eine Werkstatt zu sein, denn rechts von sich entdeckte sie einen Mann, der an einem Auto arbeitete. An dem Gebäude geradeaus stand auf einem Holzschild Clubhouse und aus dem linken Gebäude kam eben ein Mann gelaufen, der mit großen Schritten auf Rogue zuhielt.
»Wolltest du nicht das ganze Wochenende wegbleiben?«, wollte er von ihm wissen und wirkte besorgt.
»Kam was dazwischen«, antwortete Rogue und stellte sich neben Daria. »Vera«, rief er einer Frau zu, die gerade aus demselben Haus gelaufen kam.
Sie war eine Frau mittleren Alters mit lockigem Haar und freundlichem Gesicht. »Stimmt etwas nicht?«, hakte sie nach, während sie näher kam und Daria neugierig musterte.
»Welche der Wohnungen ist bereit für einen Gast?«, wollte Rogue wissen.
Daria schnappte nach Luft. »Ich soll hierbleiben?«
»Hast du gedacht, ich lass dich da draußen herumlaufen, solange der Irre noch lebt?«
»Welcher Irre?«, wollte der Mann jetzt wissen und wirkte plötzlich alarmiert.
»Erkläre ich gleich.« Rogue legte einen Arm um Daria und hob sie wieder hoch. Daria schnappte aufgeregt nach Luft. »Vera, die Wohnung und hol den Doc.«
»Die neben deiner«, antwortete die Frau nervös und folgte Rogue und Daria.
Daria klammerte sich an Rogues Schultern fest. »Warum bringst du mich nicht einfach ins Krankenhaus? Dann könnte ich der Polizei Bescheid geben.«
Rogue sah sie nicht einmal an, als er ihr antwortete, sondern trug sie einfach in das lange Lagerhaus. »Weil ich der Polizei nicht traue. Sie werden dir kein Wort glauben. Und im Krankenhaus bist du nicht sicher.«
Daria sah sich um, als Rogue sie eine Treppe nach oben und dann einen langen Gang entlang trug. »Ihr wohnt hier?«
»Früher einmal, mittlerweile leben die Familien in Häusern in der Stadt, aber ein paar von uns wohnen noch hier.«
Daria wand sich unbehaglich in Rogues Armen, als er vor einer Tür stehenblieb und darauf wartete, dass Vera sie für ihn öffnete. »Du kannst mich absetzen«, sagte sie. »Ich kann laufen. Und wirklich, ich will niemandem zur Last fallen. Lass das doch einfach die Polizei übernehmen.«
»Das entscheidet der Doc, ob du laufen kannst und solltest«, sagte er düster und trug sie an Vera vorbei in ein hell eingerichtetes Wohnzimmer, wo er sie auf einem weichen Sofa absetzte. »Vera kann dir alles besorgen, was du brauchst. Ich sehe nach dir, wenn ich wieder zurück bin.« Er fuhr sich durch die langen Haare, nahm sie hinten zusammen und ließ sie dann auf seinen Rücken sinken.
»Warte«, rief Daria und hielt Rogue an der Hand zurück. Rogue sah sie mit zusammengekniffenen Augen drohend an, er mochte es wohl nicht, wenn man ihn ungefragt anfasste. Davon ließ Daria sich nicht beeindrucken. Dieser Mann war gerade dabei, ihr Leben zu übernehmen, also musste er sich damit befassen, dass sie Fragen hatte.
»Später«, sagte er dunkel und befreite sich von ihr.
Daria schluckte schwer, er wollte eindeutig nicht mit ihr reden, aber sie musste es einfach wissen. »Was hast du jetzt vor?«
»Ich beende die Sache, damit er niemanden mehr umbringen kann.«
Daria schnappte hektisch nach Luft. Rogue hatte vorhin im Wald etwas von umbringen gemurmelt, aber Daria hatte gedacht, das wäre nur so dahergesagt gewesen. Wollte er wirklich einen Menschen töten? Aber was wusste sie denn schon, was Biker so tun würden? »Aber sollte das nicht die Polizei tun?«
Vera setzte sich neben Daria auf das Sofa und legte eine Hand auf ihren Unterarm. Die unerwartete Berührung ließ sie zusammenzucken. »Tut mir leid«, entschuldigte sich die rundliche Frau mit einem sanften Lächeln und zog ihre Hand wieder weg. »Er weiß, was er tut, du kannst ihm vertrauen.«
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