BREATHE
GEFANGEN
ELENA MACKENZIE
Für Dich FÜR DICH
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Epilog
Danksagung
Nichts mehr verpassen
Nur noch eine letzte Schicht in der Bar, dann kann Raven die Kleinstadt Black Falls endlich hinter sich lassen und hoffentlich so der Dunkelheit entkommen, die sie schon ihr ganzes Leben lang quält. Doch sie hat nicht mit Ice gerechnet, der in die Stadt gekommen ist, um sich an ihrem Vater zu rächen. Plötzlich findet sie sich kniend auf dem Waldboden wieder und starrt in den Lauf einer Waffe. Ist es Glück, dass Ice es nicht fertigbringt, sie zu töten und sie stattdessen entführt? Obwohl er sie in seiner Gewalt hat und damit droht, sie für seine Rache zu benutzen, spricht er die verhasste Dunkelheit in ihr an und löst so etwas aus, das sie beide in einem alten Krieg auf die selbe Seite zwingt und Raven in eine fremde Welt.
FÜR DICH
Für einen Moment schließe ich die Augen und sauge den schwachen Duft ihres Shampoos ein, der noch für wenige Sekunden, nachdem sie an meinem Tisch war, in der Luft hängt. Es ist ein fruchtig-frischer Duft, der gut zu Raven passt. Nicht zu süß, nicht zu dominant, eher wie ein warmer Tag auf einer Sommerwiese. Als ich nach Black Falls gekommen bin, hätte ich nicht gedacht, dass Sherwood eine so gut aussehende Tochter zustande gebracht hat. Der alte Mann hat nichts an sich, das annähernd attraktiv ist. Seine Tochter muss ihr Aussehen den Genen ihrer Mutter zu verdanken haben, die vor einem halben Jahr einfach die Stadt verlassen hat. Wenn ich den Gerüchten in der Kleinstadt glauben darf, musste Raven aber schon viel länger ihr Leben allein in den Griff bekommen.
Eigentlich bin ich wegen der Mutter gekommen. Sie wollte ich töten. Dass es eine Tochter gibt, habe ich nur zufällig herausgefunden. Sherwood hat niemandem von einer Tochter erzählt. Nicht einmal mir, seinem Stiefsohn. Ich bezweifle, dass meine Mutter von seiner zweiten Familie wusste. Meiner Mutter war bewusst, dass es eine Exfrau gibt, aber dass Sherwood sie immer wieder besucht hat in all den Jahren und sogar eine Tochter mit ihr hat, das hat sie bestimmt nicht geahnt. Ich kann ihm nicht einmal verübeln, dass er Raven geheimgehalten hat. Er wollte sie vor unserer Welt schützen. Ganz offensichtlich hat sie nichts mit dieser Welt zu tun. Sie ist nicht wie wir.
Seit einer Woche sitze ich jetzt schon Abend für Abend in dieser dunklen Ecke des Pubs und beobachte Raven dabei, wie sie Tische abwischt, Bierkrüge füllt und Gäste bedient, statt endlich meinen Plan umzusetzen. Ich schiebe das, was nötig ist, nur hinaus, indem ich weiter hier sitze und darauf hoffe, dass Sherwoods Frau nach Black Falls zurückkehrt. Aber sie wird nicht zurückkommen. Ich habe mich mit fast jedem hier unterhalten, und sie alle haben berechtigte Zweifel, dass Ravens Mutter jemals zurückkommen wird. Sie hat ihre Tochter einfach allein zurückgelassen. Und Sherwood scheint keine Ahnung davon zu haben, sonst wäre er jetzt hier, um Raven vor mir zu beschützen.
Stöhnend reibe ich mir über das unrasierte Kinn und schließe die Augen. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Alles ist jetzt anders. Mein Plan war, nach Black Falls zu kommen, mir Sherwoods heimliche Schlampe zu schnappen und mit ihr irgendwo in einen Wald zu fahren, wo ich sie umbringen wollte. Sherwood wäre dabei noch gut weggekommen, immerhin hätte ich seine Frau nur abgeknallt. Das ist so viel netter als das, was er meiner Mutter angetan hat.
Meine Augen öffnen sich ganz von allein, als ich das helle Lachen von Raven höre. Vor ihr steht schon wieder dieser Typ, der ständig in ihrer Nähe herumhängt und versucht, zwischen ihre Beine zu kommen. Raven scheint nicht einmal zu merken, was er vorhat, sie lacht zwar über seine Witze, aber ihr gelangweilter Blick zeigt deutlich ihr Desinteresse. »Junge, du hast keine Chance«, murmle ich. »Ein Mädchen wie die bekommst du nicht ins Bett.«
Raven ist eine Schönheit, nicht einmal ihre zerschlissene Kleidung und ihre kurze knabenhafte Frisur können das verstecken. Auch nicht, dass sie selbst keine Ahnung hat, wie sie auf Männer wirkt. Sogar mir wird ganz heiß im Magen, wenn ich ihren Hüftschwung sehe und ihren nachdenklichen Blick auf mir spüre. Sie sieht mich häufig an. Immer dann, wenn sie glaubt, ich würde es nicht bemerken. Wahrscheinlich versucht sie nur herauszufinden, wer ich bin und was ich hier will. In diesem Kaff kennt jeder jeden, niemand bleibt freiwillig länger als nötig. Deswegen falle ich hier auf. Alle in dieser Bar sehen mich mit diesem Blick an, selbst nach Tagen noch. Vielleicht auch genau deswegen, weil ich schon viel zu lange hier bin und mit all meinen Tattoos nicht in diese Spießerwelt passe.
»Du verlässt die Stadt?«, höre ich den Jungen entrüstet ausrufen. Er dürfte ein paar Jahre jünger sein als Raven, aber ist bis über beide Ohren verknallt in sie. Er schiebt die Hände in seine Jeans und tritt etwas vom Tresen zurück, der die beiden trennt. Seine schlaksige Figur wirkt plötzlich noch viel kindlicher. Auf sein Gesicht ist Trotz und Unverständnis getreten. Was gibt es daran nicht zu verstehen, dass eine Frau wie Raven hier nicht versauern will? Sie gehört hier ebenso wenig her wie ich. In ihrem Blick liegt ein Feuer, das Teile von mir entzündet, die ich schon vor einer Weile vergessen hatte. Auf der Flucht denkt man nicht oft an Frauen, schon gar nicht, wenn man mit seinem kleinen Bruder unterwegs ist. Aber Raven hat mich in der ersten Sekunde, in der ich sie gesehen habe, aufgeweckt. Und deswegen sitze ich selbst nach einer Woche noch hier und warte, statt endlich zu handeln. Ich zögere nie. Aber bei ihr tue ich es. Und das macht mich verdammt noch mal ziemlich wütend.
Ich konzentriere mich auf Raven, damit ich hören kann, was sie ihm antwortet. »Ja, schon heute. Gleich nach der Schicht. Ich hab bei deinem Vater schon vor ein paar Tagen gekündigt.«
Damit habe selbst ich nicht gerechnet. Ich versteife mich und falle fast in so etwas wie eine Schockstarre. Verdammter Mist, ich habe mich noch nicht entschieden, was ich tun soll. Mein ursprünglicher Plan ist hin. Die zweite Option wäre gewesen, mir Raven zu schnappen und sie zu erschießen. Wahrscheinlich würde das Sherwood sogar noch mehr treffen, immerhin hat er seine Tochter vor allen geheim gehalten. Er wollte sie beschützen, also muss sie ihm etwas bedeuten. Aber bisher konnte ich mich nicht dazu durchringen, weil Raven nichts mit alldem zu tun hat. Aber ich kann auch nicht auf meine Rache verzichten. Ich muss meinem Zorn ein Ventil geben. Sherwood hat Sam und mir zu viel genommen. Unseren Vater, unsere Mutter, das Leben, das wir hatten, und unsere Kindheit.
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