Nachdem er noch einmal die Unterlagen für seine morgige Vorlesung durchgegangen war, packte er sorgfältig seine Aktentasche und nahm sie hinunter in den Flur, wo er sie wie jeden Abend auf dem Sekretär postierte. Ordnung war das halbe Leben. Ersparte jede Menge Zeit. Justus würde das auch noch begreifen. Der wechselte seit dem Vorfall vor zwei Wochen kein Wort mehr mit ihm. War wohl immer noch ein wenig eingeschnappt. Na ja, das gibt sich schon wieder. Hach, geschafft, geschafft, geschafft!
Als Professor B. am nächsten Tag von der Uni nach Hause kam, stellte er als erstes die blaue Papiermülltonne, die im Laufe des Vormittags geleert worden war, an ihren mit Kreide eingezeichneten Platz zurück. Dann schlenderte er pfeifend zur Haustür, gab seiner Frau F. einen Wangenkuss, fragte gleichzeitig „Na, wie war dein Tag?“ und begab sich, ohne eine Antwort abzuwarten, hoch in sein Arbeitszimmer. Als er es betrat, erstarb das Pfeifen auf seinen Lippen und er erbleichte. Der Beistelltisch war umgefallen, doch auf dem Boden lagen keine Heftmappen. Sein Blick raste durch den Raum: auf dem Schreibtisch, im Bücherregal, auf seinem Sofa – keine Arbeiten. Er durchsuchte jeden Zentimeter des Zimmers — nichts!
Professor B. stürmte hinunter in die Küche: „Franziska, hast du meine Arbeiten gesehen, die Hausarbeiten? Sie lagen oben in meinem Zimmer auf dem Beistelltisch.“
Seine Frau schüttelte den Kopf. „Du weißt doch, dass ich dein Arbeitszimmer überhaupt nicht betrete.“
„Ja, aber ...“
In diesem Moment fiel sein Blick auf seinen Sohn, der ihn stumm anstarrte und keine Miene verzog.
„Justus, hast du etwa meine Arbeiten an dich genommen?“
„Was denn für Arbeiten?“
„Na, die Hausarbeiten meiner Studenten! Die ich korrigiert habe! Sie lagen auf dem Beistelltisch in meinem Arbeitszimmer.“
„Auf dem Beistelltisch, nein. Aber da waren überall Blätter auf dem Boden. Die hab ich weggeworfen. So wie das rumlag, sah das aus wie Papierabfall, den du auf dem Boden liegen gelassen hast. Und ich dachte, ich helfe dir auch mal beim Aufräumen.“
„Du hast sie weggeworfen?“
Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte er nach draußen zu den Mülleimern, Justus schlenderte hinterher. Herr B. riss die Tonne auf und starrte hinein: Abfälle, aber keine Mappen, Justitia sei Dank!
„Also ehrlich, Justus, da hast du mir aber wirklich einen Schrecken eingejagt! Für einen Moment habe ich doch tatsächlich geglaubt, du hättest die Arbeiten in den Müll geworfen.“ Professor Dr. jur. K. Brachacker lachte und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Aber Papa, doch nicht in den Restmüll. In die blaue Tonne: Ordnung muss sein!“
Mann 1: Die Aussicht ist der Hammer, oder?
Mann 2: Was, wo kommen Sie denn her? Sind Sie wahnsinnig, mich so zu erschrecken! Fast wäre ich abgestürzt!
Mann 1: Ich dachte, Sie wären hier, um ‘nen Abgang zu machen.
Mann 2: Sie meinen, ich will mich umbringen?
Mann 1: Was machen Sie sonst um sechs Uhr morgens hinter dem Geländer einer Autobahnbrücke? Also was ist nun, springen Sie jetzt? Mir ist kalt.
Mann 2: Warum haben Sie denn auch keine Jacke angezogen?
Mann 1: Warum haben Sie denn auch keine Jacke angezogen? Sind Sie meine Mutter oder was? Warum wohl? Weil ich nicht gedacht hab, hier Schlange stehen zu müssen. Jetzt machen Sie schon!
Mann 2: Nicht, wenn Sie zuschauen.
Mann 1: Gut, dann mach ich die Augen zu.
Mann 2: Das reicht nicht. Ich springe erst, wenn Sie die Brücke verlassen.
Mann 1: Sie spinnen doch! Dann spring ich eben zuerst!
Mann 2: Kommt gar nicht in Frage! Ich war zuerst hier.
Mann 1: Fuck, wir sind doch hier nicht an der Fleischtheke!
Mann 2: Mein Gott, sind Sie immer so ordinär? Ich frage mich, wie Ihre Frau es mit Ihnen aushält.
Mann 1: Gar nicht. Sie will mich verlassen. Was meinen Sie, warum ich hier stehe? Und Sie, warum wollen Sie sich umbringen?
Mann 2: Ich … Das geht Sie nichts an.
Mann 1: Lassen Sie mich raten! Ich wette, Sie haben Liebeskummer.
Mann 2: Jjjnein.
Mann 1: Sie leiden an einer unheilbaren Krankheit.
Mann 2: Jjjnein.
Mann 1: Haben Sie Verstopfung? Was soll das heißen: Jjjnein? Ja oder nein?
Mann 2: Das kann man nicht so klar beantworten. In gewisser Weise ja, aber eigentlich nein.
Mann 1: Aha. Also mehr nein als ja.
Mann 2: Nnnja.
Mann 1: Fuck, mit Ihnen möchte ich auch nicht verheiratet sein.
Mann 2: Ich mit mir auch nicht.
Mann 1: Ich könnte einen Schnaps brauchen, Sie auch?
Mann 2: Ich trinke nicht.
Mann 1: Das hab ich mir gedacht. Aber so kurz vor Ihrem Tod können Sie eine Ausnahme machen. Abhängig werden Sie bestimmt nicht mehr.
Mann 2: Hm, da haben Sie wohl Recht.
Mann 1: Hier, nehmen Sie! Das hilft gegen die Kälte.
Mann 2: Danke. … Uh, das Zeug brennt aber!
Mann 1: Das Zeug ist Whisky und fünfundvierzig Jahre alt. Dreihundert Euro die Flasche. Dachte, zur Feier des Tages kann ich sie öffnen und in meinen Flachmann füllen.
Mann 2: Dreihundert Euro? So viel würde ich nie für eine Flasche ausgeben!
Mann 1: Das war klar.
Mann 2: Wieso?
Mann 1: Wieso? Weil Sie verdammt noch mal nicht den Eindruck machen, als würden Sie sich irgendwas im Leben gönnen.
Mann 2: Wie kommen Sie darauf?
Mann 1: Pff, kein Alkohol, die Art, wie Sie reden: Das alles ist so ordentlich und brav und korrekt.
Mann 2: Nur weil ich nicht in jedem Satz scheiße oder fuck sage.
Mann 1: Fuck, Mann, genau! Und an Ihrem scheiß Outfit müssen Sie auch arbeiten: graue Cordhose, Jacke von Jack Wolfskin, nicht billig, nicht teuer, unauffällig, zweckmäßig. Da können Sie sich direkt ein Schild umhängen: „Ich bin Lehrer“.
Mann 2: Na und, ist das etwa eine Schande, Lehrer zu sein?
Mann 1: (lacht) Ich hatte also Recht, wie geil ist das denn?
Mann 2: Nicht besonders geil, würde ich sagen.
Mann 1: Oh Mann, jetzt verstehe ich auch, warum Sie sich umbringen wollen.
Mann 2: Gar nichts verstehen Sie.
Mann 1: Dann müssen Sie es mir eben besser erklären, Herr Lehrer.
Mann 2: Oberstudienrat. Hier, Ihr Flachmann.
Mann 1: Verzeihung, Herr Doktor Eingebildet.
Mann 2: Das müssen Sie gerade sagen.
Mann 1: Wieso?
Mann 2: Na, schauen Sie doch in den Spiegel! Die Brille von Porsche, Markenschuhe, literweise Aftershave, beigefarbene Hose, hellblaues Hemd, ein Tattoo auf dem Unterarm: alles eine Spur zu: zu teuer, zu aufdringlich, zu jung. Sie sind ein Blender, ein Zwergpinscher, der auf Bulldogge macht, ein armes Schwein, das seinen Minderwertigkeitskomplex mit Machogehabe kompensiert. Lassen Sie mich raten! Sie könnten Polizist sein, aber dann würden Sie versuchen, mich vom Selbstmord abzuhalten. Arzt oder Jurist würde auch passen, nur dafür drücken Sie sich zu prollig aus. Trotzdem ist Ihnen eine gewisse primitive Eloquenz nicht abzusprechen. Ich tippe auf Autoverkäufer oder Versicherungsvertreter.
Mann 1: Sie sollten mehr trinken, damit Sie weniger Scheiße reden.
Mann 2: Wow, ein Wortspiel! Übrigens gar nicht schlecht, Ihr Whisky. Hier, nehmen Sie! Ich muss mir die Jacke aufmachen.
Mann 2 zieht den Reißverschluss seiner Jacke auf.
Mann 1: Das gibt‘s doch nicht!
Mann 2: Was ist?
Mann 1: Sie haben sich eine Krawatte angezogen.
Mann 2: Na und.
Mann 1: Eine Krawatte, ich fass es nicht!
Mann 2: Jetzt sagen Sie schon, was daran so witzig ist!
Mann 1: Ich stell mir vor: Sie sind zu Hause, stehen vor dem Kleiderschrank und denken: Hm, welche Krawatte zieh ich denn zu meinem Selbstmord an? Die grüne oder die rote? Oder doch lieber die gestreifte? Mann, ‘ne Krawatte: Wie bescheuert ist das denn?
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