„Ja schon, aber sie wollen keine Kanacken haben.“
„Wer ist sie?“
„Die Firmen.“
„Dann mach dich doch selbständig. Wasserinstallateure werden immer gebraucht.“
„Dazu habe ich keine Lust mehr, habe lange genug in dem Beruf gearbeitet. Dieses auf dem Boden hocken und bei den anderen die Scheiße wegräumen… es bringt nicht viel, man will ja auch ein bisschen leben.“
‚Scheiße‘, dachte Lena ‚der Mann gefällt mir. Genau mein Typ. Pfeift auf Karriere und will das Leben genießen ohne sich anzustrengen. Er hat meine Lebensphilosophie kapiert, ohne von mir unterrichtet zu werden‘.
„Warum denn nicht, als Wasserinstallateur kann man doch gut verdienen.“
„Mag sein, aber ehrlich gesagt, der Beruf geht mir auf die Nerven.“
Sie schaute ihn genauer an und wunderte sich, dass einer, der gar nicht arbeitet so schick angezogen sein kann. Sie war überzeugt, dass er lügt, ‚aber wo gibt es bitteschön einen Mann, der nicht lügt. Ist er ein Kanacke, dann kann er eigentlich gar nicht anders. Egal, der Halunke verdient jedenfalls sein Geld woanders und das allein macht ihn interessant‘. Sie wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen und der Sache gleich beim ersten Mal auf den Grund gehen und war froh, dass ihr Türke von allein das Thema wechselte.
„Ich habe dich hier noch nie gesehen.“
„Ich war schon ein paar Mal hier, mal allein, mal mit einer Freundin. Du bist anscheinend Stammkunde hier.“
„Na ja, Stammkunde würde ich nicht sagen. Wie gesagt, am Spielkartentisch spiele ich ab und zu mit. Habe übrigens ein glückliches Händchen, echter Spieler bin ich jedoch nicht.“ Über seine eigentliche Aufgabe schwieg er, doch Lena wusste sofort, was Sache ist. Der Schickangezogene verdient leicht sein Geld, wie man auch das Wort ‚Leicht‘ definieren mag. ‚Eigentlich genau was ich suche. Soll er von mir aus, die anderen betrügen und an der Nase herumführen, wenn sie dumm sind, dann verdienen sie es auch, und wenn er mit Drogen handelt, na und. Wer freiwillig krepieren will, soll krepieren. Gibt es einen besseren Ort, mit Drogen zu handeln als am Spieltisch?‘ Sie wechselten das Lokal, die Köpfe wurden immer schwerer und die Gespräche hatten gar keinen Inhalt mehr. Um 3 Uhr brachte er sie nach Hause, sie bat ihn herauf und sie liebten sich, bis es tagte. In den nächsten Wochen wiederholte sich die Prozedur mehrere Male.
Lena schloss die Augen und fiel in einen leichten Schlaf. Als sie aufwachte, waren die letzten Sonnenstrahlen verschwunden.
Ihre Katze, Tapsy, schlich sich an sie heran, Lena spielte mit ihr eine Weile, liebkost sie, die Katze fühlt sich sichtlich behaglich. „Ja, Katze, du kannst wirklich froh sein, dass du kein Mensch bist. Du weißt gar nicht, was dir dadurch an Gemeinheiten erspart geblieben ist. Glaube mir, wenn ich könnte, würde ich mich sofort in eine Katze verwandeln. Was meinst du, sollen wir nicht tauschen? Nee, für eine kurze Weile nur. Wusste ich doch, dass du ein kluges Tier bist. Stell dir vor, du wärst Mitglied meiner Familie. Kannst dir gar nicht vorstellen, was das für ein Höllenleben ist. Meine Familie hat mich zugrunde gerichtet. Sie hat mich krankgemacht, diesen Zustand, in dem ich mich befinde, verdanke ich meiner Familie. Ich war ein verwahrlostes Kind. Habe zwar nie Hunger erleiden müssen, aber was ist das schon verglichen mit der inneren Verwahrlosung. Die Eltern arbeiteten den ganzen Tag wie Feldochsen, tagein tagaus immer das gleiche. Täglich standen sie im Laden und verkauften Fische und Salate. Nach Fisch stinkend kamen sie abends nach Hause, völlig kaputt, völlig fertig. Ich glaube, sie haben vergessen, dass sie eine Tochter haben. Sie sagten nie etwas zu mir, waren einfach nur froh, nicht reden zu müssen. Für sie war ich Luft. Das ist nicht ganz richtig, denn mein Vater liebte mich. Öfter nahm er mich auf seinen Schoß und spielte mit mir, er streichelte mir die goldenen Haare und küsste mich. Lange dauerte der Spaß aber nicht, er war erschöpft und wollte schlafen. Mit Lisa, meiner dämlichen Schwester, hat er nie gespielt oder sagen wir selten. Meine Mutter dagegen nahm meine Anwesenheit gar nicht wahr, und sprach sie zu mir, dann in dem herrischen, befehlenden Ton, den die meisten Eltern draufhaben: ‚mach das, lass das sein, benimm dich, wie redest du denn, nimm die Füße runter, du bist starrköpfig wie ein Esel‘. Ich hatte nie einen Esel gesehen und einen starrköpfigen Esel schon gar nicht. Stellte mir den Esel wie einen kleinen Elefanten vor, oder doch wie ein Pferd. ‚Man sollte dir den Hintern versohlen‘. Na, Tapsy, kannst du dir das vorstellen, diesen kleinen, herrlichen, knackigen Hintern! Die Mutter stöhnte: aus dem Kind wird nichts. Und? Ist aus dir etwas geworden, du Arbeitstier? Die Eltern überließen uns Tante Käthe, der Schwester meines Vaters. Gut, dass mein Vater überhaupt eine Schwester hatte, die auf mich aufgepasst hat. Sie war gütig, aber eben eine Altjungfer, die mit so einem kleinen, hübschen…, was guckst du so, gefällt dir das Wort nicht? Ich war hübsch, ich war sogar sehr hübsch, wenn ich mal Zeit und gute Laune habe, zeige ich dir ein paar alte Fotos. Du wirst staunen, wie hübsch ich war. Wo sind wir stehengeblieben? Ach ja. Ich war hyperaktiv und die Tante war völlig überfordert. Sie hat getan, was sie konnte und langweilte mich zu Tode. Hätte ich eine andere Familie gehabt, eine Familie mit einer sagen wir, künstlerischen Ader gehabt, was glaubst du, was aus mir geworden wäre! Komm, sag jetzt was du denkst? Wenn du nichts sagst gibt es heute kein Wiskas“. Die Katze verstand die Warnung und miaute. „Ich hatte gespürt, dass ich künstlerisch begabt bin, ich wusste zwar nicht genau auf welchem Gebiet meine Begabung am stärksten war, aber dass sie da war, spürte ich innerlich und nun diese Familie, die ein Theater von einem Pferdestall nicht unterscheiden kann. Ach, warum ist das Leben immer so ungerecht, warum hatte ich nicht andere Eltern gehabt?“ Tränen standen ihr in den Augen. „Warum muss ich mich mit der Viererbande quälen? Kennst du die Vierbande? Das sind meine Mutter und ihr Mann, meine Schwester und deren Mann. Der Teufel soll sie alle holen. Sie sind die bösartigsten Menschen auf Gottes Erden. Jetzt verstehst du, warum ich die halbe Nacht wachbleibe. Wie soll ich schlafen, wenn ich über dieses verkorkste Leben nachdenken muss? Komm lass uns an den PC setzen und ein paar Gedanken in die Tasten hauen. Weißt du, mit den Gedanken ist es so eine Sache, die muss man sofort festhalten. Wenn du eine Maus siehst, bist du auch wie der Blitz hinterher, nicht wahr?“ Beim Wort Maus hob die Katze den Kopf in die Höhe, richtete den Schwanz auf wie eine Antenne, schaute sich um und war bereit zum Sprung. „Nein, du Dummchen, da ist jetzt keine Maus da. Aber mit den Gedanken ist es genauso, sie tauchen blitzschnell auf und verschwinden schneller als eine Maus. Mein eigentliches Problem ist, dass ich so schnell denke. Der Stift ist zu langsam für mich. Ich brauche einen Apparat, der diese Gedanken schon im Entstehen festhält, sobald sie im Hirn schwirren, hält er sie fest. Ich hätte ganze Bände mit meinen Gedanken füllen können. Patsy, was glaubst du, was ich bin? Na, komisch, ich vergesse immer wieder, dass du nicht reden kannst. Ich sage es dir, ich bin eine Denkerin. Ich denke, ich denke Tag und Nacht, und je mehr ich denke, desto widerlicher finde ich die Menschen, vor allem meine Familie. Aber ich merke, wir schweifen wieder ab. Ich würde dir gern einen Schluck Wein anbieten. Wo waren wir, ach bei der Tante, also wie soll eine Altjungfer, die nie einen Mann gehabt hat… ist das nicht gruselig? Sie hat sich nie vor einem Mann ausgezogen, sich von ihm streicheln lassen. Die Arme, was ist das für eine Scheißleben! Also diese Mannlose Frau sollte mich erziehen. Mich kann man überhaupt nicht erziehen. Ich habe früher gelebt, ich war… ich war entweder ein Model oder eine Prinzessin, ich kam erzogen zur Welt, deswegen war ich für diese mickrigen Kreaturen eine Zumutung. Ja, Patsy, ich bin eine Zumutung und die Tante hat mir aufrichtig leidgetan. Was sollte sie machen mit so einem aufgeweckten Kind? Und weißt du, was das Allerallerschlimmste war, dass man ihr später alles in die Schuhe geschoben hat: du hast das Kind verzogen, warst sehr nachsichtig, hast das Kind verhätschelt... und so weiter. Gut, ich gebe zu, leicht war ich nie, wie sollte ich. Wenn einer, sagen wir, ein anderes Niveau hat, also intelligenter ist als andere, dann hat er oder sie es nicht leicht mit dieser ganzen dumpfen Mittelmäßigkeit um sich herum zurechtzukommen. Er muss schon einiges einstecken. Pflegeleicht war ich nie und die Arme hat ihr Bestes gegeben. Ich bedurfte andere Eltern, sensible, künstlerisch begabte Eltern, aufgeschlossene, einfach intelligentere Eltern. Wie kann es überhaupt sein, dass dumme Eltern ein intelligentes Kind haben? Das muss eigentlich verboten werden, man richtet das arme Kind damit zugrunde. Ich begreife das nicht, ich begreife nicht, wo diese Intelligenz herkommt, vom Vater nicht und von der Mutter noch weniger? Und wie ist deiner Meinung nach die Schlussfolgerung? Genau, hier stimmt etwas nicht. Patsy, ich würde mich nicht wundern, wenn es herauskommt, dass sie mich im Krankenhaus verwechselt haben, dass ich das Kind ganz anderer Eltern bin. Bestimmt ist mein Vater ein Uni-Prof., ein Chefarzt, ein Bankdirektor, oder ein Minister, das spüre ich. Diese Unstimmigkeit habe ich sofort nach der Geburt empfunden, ich würde nicht sagen, gleich am ersten Tag, aber in der ersten Woche schon, und da fing ich an, zu schreien. Ach, ich möchte so gern lachen aber ich kann es nicht, was für ein verdammtes Leben! Und angenommen, diese doofen Eltern sind doch meine, was wäre aus mir geworden, wenn ich die nötige Förderung gehabt hätte, wenn irgendeiner rechtzeitig, meine Fähigkeiten, meine Intelligenz erkannt hätte? Stattdessen hatte ich die zwei Arbeitstiere als Eltern, sie sparten und sparten, um ein Häuschen zu kaufen oder zu bauen. Das war ihr Ziel. Das war der Sinn ihres Lebens. Ist das nicht schauderhaft? Aber so denken Spießbürger immer. Sie wollten es »zu etwas bringen«, erfolgreich sein, den anderen zeigen, schaut her, wir haben es zu etwas gebracht, lobt uns, bewundert uns. Wie ich dieses Wort »zu etwas bringen« verabscheue! So ließen sie mich dahinvegetieren, sie traten meine Seele mit Füßen, diese Trampeltiere. Ich sah sie nicht als Förderer, sondern als Feinde, verabscheute ihr ganzes Leben, wurde immer bockiger und nahm mir vor, bloß nicht so werden wie sie. Die Außenwelt nahm ich als mir übelgesinnt wahr. Ich spürte innerlich, bei diesen Eltern gehe ich zugrunde, auch wenn ich mich damals nicht so artikulieren konnte. Und die Tante? Gott habe sie selig.
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