»Er hat keine. Außer Kronberger.«
»Wie darf ich das verstehen?«
»Der hat ’ne Allergie gegen jede Form staatlicher Einmischung und hat damit Schilling erfolgreich angesteckt. ›Die Polizei will ich nicht in meinem Haus sehen. Wir brauchen sie nicht.‹ So lautet Kronbergers Dogma, das Schilling wortgetreu befolgt und zwar aus eigener Überzeugung.«
»Aha. Offensichtlich reicht die Phantasie dieser beiden Herren nur bis zum Beckenrand.«
»Na ja – ein Beinahe-Terroranschlag und ein Ertränkter in der Sauna – Sie müssen zugeben, sowas denkt sich doch höchstens ein gelangweilter Schriftsteller aus.«
»Ich gebe gar nichts zu. Jedenfalls wächst meine Vorfreude auf das Gespräch mit diesem Herrn Kronberger stündlich.«
»Hat Penny sich zwischenzeitlich mit Ihnen in Verbindung gesetzt?«
»Ach ja – auf die ist Verlass. Sie hat jede Menge Fingerabdrücke sichergestellt. Sie wissen ja, was ich davon halte. Außerdem hat sie ein paar Grashalme, zwei winzige Kieselsteine und einen noch winzigeren, dunkelgrünen Metallsplitter in der Stollensauna gefunden. Das passt zu dem, was unsere Leute auf dem Gelände entdeckt haben.«
»Und das wäre?«
»Am westlichen Rand des Geländes, auf der Rückseite der Blockhäuser mit den finnischen Außensaunen, wurde der dunkelgrüne Drahtzaun fein säuberlich aufgeschnitten. Fußspuren konnten zwar nicht identifiziert werden. Trotzdem war klar zu erkennen, dass sich dort jemand Zutritt verschafft hat. Ich hab mir die Stelle kurz angeschaut. Mucki hat dort ganz in der Nähe ein verdächtiges Fahrzeug gesehen.«
»Wer ist denn Mucki und was für ein Fahrzeug?«
»Nepomuk Steiner, Baggerfahrer. Hat nicht weit von dem Loch im Zaun eine Art Lieferwagen stehen sehen. Da führt nur ein Feldweg hin, der für den öffentlichen Verkehr gesperrt ist. Er hat beobachtet, wie zwei Männer, angezogen wie Sanitäter, eine Tragbahre ausgeladen haben, mit einer Person darauf.«
Melzick überlegte kurz.
»Taxi für einen Toten, würde ich mal behaupten. Und die zwei haben die bleiche Leiche dann einfach so in der Sauna deponiert, oder wie?«
»Fischli hat mir einen Seiteneingang gezeigt, der angeblich immer verschlossen ist. Der war heute allerdings offen für alles.«
»Hat Mucki gesehen, wie sie ihn reingetragen haben?«
»Das nicht. Die Arbeit rief und lenkte ihn ab.«
»Trotzdem deutet wohl alles darauf hin, dass Kronbergers Sohn auf die Art heimlich in der Sauna gelandet ist.«
»Tja, das ist eben das Merkwürdige, Melzick. Wie heimlich war das denn bitte? Am helllichten Tag im offenen Gelände mit vielen potentiellen Zuschauern?«
»Hat denn irgendeiner von denen was gesehen?«
»Eben nicht. Zumindest haben wir bisher keinen gefunden. Die Panik hat alle abgelenkt.«
»Sorry, das will mir nicht in den Kopf.«
»Vielleicht gibt es ja jemanden, der was beobachtet, aber dem Ganzen keine große Bedeutung beigemessen hat. Ein Haufen Badegäste ist uns ja durch die Lappen gegangen. Die kommen doch von überall her.« Zweifel kratzte sich am Kopf. »Ein Aufruf in der Presse wird da wenig bringen.«
»Und was ist mit denen, die die Kollegen befragt haben?«
»Das waren zumeist Leute, die ganz nah am Geschehen dran waren. Die waren so mit sich selbst beschäftigt, von denen hat keiner was bemerkt.«
»Wenn ich etwas bemerken dürfte«, sagte völlig unerwartet Maitre Max, der sich an den Tisch herangeschlichen haben musste. Beide schauten auf, als hätte er sie bei etwas Verbotenem ertappt. »Ihr 17 Uhr-Termin. Sie können ihn noch einhalten.« Zweifel warf einen raschen Blick auf seine Uhr. Maitre Max räusperte sich ebenso energisch wie vornehm hinter vorgehaltener Hand. »Ihrer sofortigen Abreise steht nichts im Wege außer einem leichten finanziellen Ungleichgewicht.«
»Sie meinen ich soll bezahlen?« Maitre Max senkte die Augenlider.
»Wenn Sie dies in Erwägung ziehen wollen.«
»Dann schlage ich vor, Sie nennen mir eine Zahl«, sagte Zweifel und holte seine Brieftasche hervor. Maitre Max trat einen Schritt zurück.
»Sie beide durften bei uns eine neue Erfahrung machen. Das ist an sich unbezahlbar. Sie genießen sozusagen als Studienanfänger bei uns heute das einmalige Privileg, den Preis nach Gusto selbst festzulegen.« Damit zauberte er ein kleines schwarzes Tellerchen hinter seinem Rücken hervor und stellte es auf den Tisch. Zwei Toffees in dunkelbraun lagen darauf und schmolzen schicksalsergeben dahin. Max entfernte sich auf seine bekannte Art. Zweifel tauschte mit Melzick ratlose Blicke. Dann starrte er auf seine Serviette mit den Formeln.
»’ne echte Herausforderung, Chef«, meinte Melzick, »sowohl verhaltenstechnisch als auch finanztechnisch.« Zweifel nickte.
»Immerhin fühlte es sich äußerst originell an, in diesem Lokal meinen Hunger zu bekämpfen. Das verlangt ein angemessenes Honorar. Er legte zwei rote Scheine auf den Tisch. Wie aus dem Nichts tauchte der befrackte Max auf.
»Wie ich sehe, haben Sie darauf geachtet, dass Ihr Preis-Leistungs-Quotient kleiner eins ist. In diesem Fall dürfen Sie uns gerne wieder heimsuchen.«
Zweifel steckte seine Brieftasche weg.
»Auf meiner Liste der angenehmen Dinge, die nach einer Wiederholung rufen, stehen Sie ganz oben, Maitre. Sind übrigens Videokameras in Ihrem Theater erlaubt?« Max hob abwehrend beide Hände und bewegte seinen Kopf genau einmal von links nach rechts. »Ich werde demnächst meine Studien bei Ihnen fortsetzten. Die dunkle Materie, serviert in einem Schälchen, übt eine gewisse Anziehungskraft aus.«
»Somit hat sie ihren Zweck erfüllt«, erwiderte Max und nahm die Scheine an sich. Zweifel schnappte sich ein Toffee und deutete kauend mit dem Zeigefinger auf Melzick.
»Falls Sie bereit sind, sich weiterhin trotz Urlaubs in diesen Fall zu verbeißen,« er schob ihr das Tellerchen mit dem zweiten Toffee zu, »schlage ich vor, dass Sie sich für den Rest des Tages mit zwei Dingen beschäftigen.« Er legte eine kleine Karte auf den Tisch. »Das ist Lukas Freuns Studienausweis. Interviewen Sie den jungen Mann so ausführlich wie möglich. Zweitens: Ich hab Ihnen ja erzählt, was diese Frau Sontheimer beobachtet hat. Finden Sie heraus, welcher der Handwerksbetriebe der näheren Umgebung seine Mitarbeiter in bordeauxrote Overalls steckt. Und falls Ihnen das Spanisch vorkommt, halten Sie nach einem Franzosen Ausschau. Er ist verdächtig, die zwei Rauchgasgranaten in so einem Overall versteckt und in der Ladengalerie unter den Sitzbänken deponiert zu haben.«
»Soll ich ihn gleich verhaften?«, fragte Melzick und schnappte sich das zweite Toffee. Zweifel warf ihr einen spöttischen Blick zu. »Schon gut, Chef. Ich such ihn erstmal, dann sehen wir weiter.« Zweifel stand auf.
»Morgen um neun bin ich in der Therme. Wäre mir recht, wenn Sie mich da flankieren könnten.«
»Kronberger und Schilling, das wird nicht einfach werden, Chef, aber ich bin dabei.«
»Gut, dann werd’ ich jetzt mal Klopfer durch mein pünktliches Erscheinen verblüffen.«
Polizeichef Alois Klopfer brütete. Das konnte ein gutes Zeichen sein oder ein schlechtes. Lucy hatte in den sechs Jahren, die sie nun schon in seiner unmittelbaren Umgebung verbringen durfte, noch nicht herausgefunden, wie das Stimmungsbarometer des Chefs bei diesem Verhalten zu deuten war. Wie von ihm befohlen, hatte sie ihn in Rekordzeit mit umfangreichem Material zu Theo Kronberger versorgt. Das knappe Dutzend Seiten hatte ihm immerhin ein freundlich geknurrtes ›Danke‹ entlockt. Dennoch konnte sie nicht wissen, ob noch ein weiteres Gewitter in Klopfer rumorte, oder ob die Luft rein war. Und ausgerechnet in dieser fifty-fifty-Situation musste die Presse in Gestalt Reissers über sie kommen. Den hatte sie zwar mit ihrem überraschenden Schokoladenangriff für den Augenblick ruhiggestellt, aber deswegen noch lange nicht vom Hals. Nachdem sie dummerweise voreilig behauptet hatte, der Chef sei nicht da, verbot es sich von selbst, vor Reissers Augen zu seinem Büro zu gehen und zu fragen, ob er vielleicht doch da sei. Erschwerend kam hinzu, dass man nie wissen konnte, ob Klopfer gerade Lust hatte, mit der Presse zu reden oder nicht. Die Tagesform war ausschlaggebend. Immerhin könnte sie ihn ja auf seinem Handy anrufen, ohne das Gesicht zu verlieren. Sie griff nach ihrem Telefonhörer und überprüfte nebenbei unauffällig Ihren Schokoriegelvorrat. Reisser hatte ihr den Rücken zugekehrt und lehnte lässig an der Theke, während er die Kunstdrucke an der gegenüberliegenden Wand abfällig musterte. In seiner rechten Hand knisterte das leere Schokoriegelpapier. Mit einem abschließenden Schmatzen drehte er sich zu Lucy um, die gerade Klopfers Mobilfunknummer wählte und dabei hoffte, dass er den Vibrationsalarm eingestellt hatte. Reisser zeigte seine gelben Beißer.
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