»Und dieses Mal lag er bei den hinteren Bänken auf dem Boden?« Sie nickte. »Hat ihm denn niemand geholfen?« Sie schüttelte den Kopf. »Da waren nur ein paar Senioren in der Nähe. Die haben das zwar mitbekommen, aber die gehen natürlich nicht für ein paar Münzen in die Knie. Diese Gasdinger hat der doch sicher in seinem Overall verstecken können, was meinen Sie?«
»Möglich. Es wäre gut, wenn Sie mir nachher zeigen, wo genau er gelegen hat.«
»Wissen Sie, wer es war?« Zweifel war kurzzeitig verwirrt. Er leerte seine Tasse und schaute Ilse Sontheimer nachdenklich an, dann verstand er ihre Frage. Er rieb mit der linken Hand über seinen kahlen Schädel.
»Whirlpool ist schon mal ganz falsch«, sagte er.
»Das dachte ich mir schon«, erwiderte sie, während sie auf einem Ananasmarzipantrüffel kaute.
»Sagt Ihnen der Name Kronberger etwas?« Sie hustete und verschluckte sich. Zweifel traf ein vorwurfsvoller Blick.
»Ihretwegen hab ich jetzt meine Lieblingspraline verschluckt«, schnaufte sie.
»Was für eine Verschwendung«, sagte Zweifel ungerührt.
»Etwa der Alte?«
»Nein, einer seiner Söhne. Er lag ertrunken in der Stollensauna.«
»Ertrunken? Unfassbar. Welcher?«
»Das wissen wir noch nicht. Wir müssen warten, bis der Vater ihn identifiziert hat.«
»Wirklich ertrunken? Aber das ist doch absurd, Herr Kommissar.«
»Nicht, wenn er seinen letzten Atemzug an einem anderen Ort gemacht hat.«
»Woanders? Aber wie ist er denn dann in die Sauna gekommen?«
»Jedenfalls nicht zu Fuß. Jemand muss ihm dabei behilflich gewesen sein.«
»Behilflich? Wie meinen Sie das? Ach so.« Sie legte einen Zeigefinger an ihre Nase und nahm Zweifel die leere Tasse aus der Hand. »Man hat ihn hineingetragen. Aber wie soll das funktioniert haben bei dem ganzen Betrieb hier? Das muss doch jemand beobachtet haben.«
»Nicht, wenn gerade alle mit ihrer Panik beschäftigt waren.«
»Ach, Sie glauben, das hängt mit diesem angeblichen Giftgasangriff zusammen?«
»Ich glaube nur, dass Ihr Mokka der Beste ist, den ich in diesem Jahr getrunken habe und dass Ihre Pralinen die Besten sind, die mir in diesem Jahrzehnt begegnet sind«, sagte Zweifel.
»Schön, dann fehlt jetzt nur noch die Badehose Ihres Lebens, Herr Kommissar, was meinen Sie?«
»Vielleicht ein andermal, Frau Sontheimer.«
»Dann vielleicht etwas Leichtes für Ihre Frau?« Er stockte einen Moment auf seinem Weg zur Tür, dann schüttelte er den Kopf, ohne sie anzusehen. Ihr sechster Sinn sagte ihr, dass dies ein endgültiges Nein war.
Vor der Ladentür stieß Zweifel mit einem Bauarbeiter zusammen.
»Sind Sie der Oberkriminale hier?«, fragte der den Kommissar, ohne Zeit auf eine Entschuldigung zu verschwenden. Zweifel nickte und klopfte sich den Staub vom Jackett, mit dem ihn der Mann bedacht hatte. »Was isch jetz mit meim Bagger? Ham Ihre Kollegen den jetz endlich als Tatwaffe identifiziert? I hab doch glei zugebn, dass I des Loch verbrochn hab. Auf ausdrückliche Anstiftung eines diffusen Bademeisters.« Er hob beide Hände, die mit Wagenschmiere, Erde und Kalk reichlich versehen waren. »I wasch meine Hände in Unschuld, Herr Oberinschpecktor.« Zweifel, der handgreifliche Beteuerungen zu Lasten seines Jacketts fürchten musste, trat geistesgegenwärtig zwei Schritte zurück.
»Sie heißen?«, fragte er ihn zur Abwehr so unfreundlich wie es ihm gerade möglich war. Der Mann grunzte.
»I ben der Mucki«, sagte er dann und zog geräuschvoll die Nase hoch.
»Steht das so auch in Ihrem Ausweis?«
»Na, da steht was anderes. Wollnsen sehn?« Er nestelte an seinem verdreckten Blaumann herum.
»Es genügt, wenn Sie mir Ihren vollständigen Namen laut und deutlich verraten.«
»No langsam, langsam. Ned so förmlich. I frag ja nur wegn meim Bagger. Der braucht nämlich Bewegung, Herr Kriminalrat.« Zweifel wollte jetzt erst recht nicht nachgeben und holte Stift und Notizblock hervor.
»Also …«, mehr sagte er nicht. Der Baggerfahrer schnaufte, dann zog er noch einmal die Nase hoch.
»Nepomuk Steiner, staatlich geprüfter Baumaschinenführer und außerdem staatlich geprüfter Landmaschinenmechaniker und außerdem …«
»Das reicht erst mal«, schnitt ihm Zweifel das Wort ab. Ilse Sontheimer hielt sich derweil dezent im Hintergrund. Roberto vom Bistro nebenan kam herübergeschlendert und stellte sich neben sie.
»Geben etwas Neuigkeit?«, raunte er ihr hinter vorgehaltener Hand zu. Sie nickte kurz und legte einen Zeigefinger auf ihre Lippen.
»Ich will es kurz machen, Herr Steiner und Sie nicht länger als nötig von Ihrem Bagger fernhalten. Bevor Sie mir jetzt antworten, überlegen Sie genau. Denken Sie an alles, was Sie heute gesehen und gehört haben.« Zweifel redete eindringlich aber jetzt etwas freundlicher mit dem Mann, der mit verschränkten Armen breitspurig vor ihm stand. »Machen Sie die Augen zu. Das hilft beim Erinnern. Also. Was kam Ihnen an diesem Vormittag komisch vor? Worüber haben Sie sich gewundert? Was war nicht, wie es sein sollte?«
»Jo mei«, sagte Nepomuk Steiner spontan und kratzte sich ratlos am Kopf. Zweifel hob die rechte Hand.
»Die Augen zu, sag ich!« Und dann schnippte er einmal mit Daumen und Zeigefinger.
»Santa Madonna, la Polizia macht in Hypnose?«, murmelte Roberto, als er verblüfft zusah, wie der Baggerführer tatsächlich die Augen schloss und nachzudenken schien. So stand er etwa zwei Minuten vor dem Kommissar, der beinahe an seiner Methode zu zweifeln begann.
»Nun«, sagte Zweifel schließlich, »was erscheint da vor Ihrem geistigen Auge?« Nepomuk Steiner öffnete seine Augen.
»Mei, wenn Sie mi so frogn – da erscheint eigentlich gar nix.« Zweifel seufzte. »So kann I ned nachdenkn. Da fällt mir nur ein, dass mei Frau mir heut die Brotzeit verweigert hat, weil I gestern auswärts gessen hob’. Muss I heut Mittag halt scho wieder auswärts essen. Das is weibliche Logik. Aber das wird Sie jetzt ned so intressiern, schätz ich.« Zweifel wedelte unwillig mit seinem Bleistift und klopfte damit auf sein Notizbuch. Der Baggerfahrer Nepomuk Steiner kam langsam ins Schwitzen. Er kratzte sich im Nacken, dann hustete er einmal kräftig, mehr aus Verlegenheit. »Nur weil Sie nach was gefragt ham, was nicht so war wie es sein sollte. Mei. Die Nackerten. Die warn halt recht aufgregt.«
»Das meine ich nicht, Herr Steiner. Probieren wir es anders. Was war, als Sie heut Morgen hier angekommen sind?«
»Ois wie immer. Koiner da außer mir. I ben immer der erschte.«
»Und später?« Zweifel war nun klar, dass er seinem Gegenüber alles aus der Nase ziehen musste. Der zog sie gut vernehmlich hoch.
»Um zehne hab I mein brek.«
»Ihren was?«
»Brek. Pause. Wissens, auf’m Bau müssens sich Ihre Kräfte gut einteilen.«
»Ich dachte, Sie sitzen bequem auf Ihrem Bagger und buddeln im Sand.« Nepomuk Steiner verschränkte erneut seine muskelbepackten Arme und versuchte herauszufinden, ob er jetzt beleidigt war. Er war es nicht.
»Genau, Herr Polizeipräsident, und Sie dürfen den ganzen Tag im dicken Auto sitzen und tatütata machen.« Zweifel ließ den Kopf sinken. Dann drehte er sich um, damit er sein Schmunzeln unbemerkt wegpacken konnte. Dabei blickte er direkt in Robertos sizilianische Augen, in denen mehr als ein Fragezeichen stand. Ilse Sontheimer daneben schüttelte verwundert ihren Kopf.
»Apropos tatütata«, ließ sich Nepomuk Steiner vernehmen. Zweifel drehte sich wieder zu ihm um. »Jetzt woaß I, was Sie moina, Herr …«
»Bevor Sie mich jetzt zum Justizminister machen, Herr Steiner, ich bin Kommissar, einfach nur Kriminalkommissar«
»Herr Kommissar, ja, des war übrigens a gute Serie damals, ›Der Kommissar‹. Kennans die?« Zweifel flüchtete sich in Galgenhumor.
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