1 ...6 7 8 10 11 12 ...16 »Dem geht es prima.« Wesentlich besser als meinem Selbstbewusstsein, fügte ich in Gedanken hinzu und zog die Jacke endgültig aus.
Nachdem wir das Essen gewählt hatten, machte ich mich mit weichen Knien auf den Weg zum Tresen, um zu bestellen. Mit jedem Schritt, den ich X näher kam, klopfte mein Herz schneller und als ich schließlich vor ihm stand, dachte ich, es müsste zerspringen.
»Hi«, presste ich hervor und wurde rot.
»Selber hi.« X bedachte mich mit einem Lächeln, das mich wieder einmal schwindelig machte und mit Sicherheit auch die letzte Ecke des La Cuisine erhellte.
»Ich hätte gerne einen Hamburger und eine Cola«, sagte ich, da mir nichts Besseres einfiel.
»Und ich einen Kuss zur Begrüßung.« Bevor mein Gehirn Xs Worte erfasst hatte, kam er bereits hinter dem Tresen hervor und zog mich in seine Arme. »Ich habe dich vermisst«, flüsterte er und fuhr sanft mit den Lippen über meinen Mund. Reflexartig legte ich ihm die Arme um den Hals und küsste ihn. Erst als wir uns voneinander lösten, wurde mir bewusst, dass es im Café totenstill geworden war.
»Hamburger also?« X grinste und kehrte hinter den Tresen zurück. Im gleichen Moment brach ein wahrer Tsunami an Geflüster über uns herein.
»Mit Pommes und Cola für mich«, antwortete ich mit einem Gefühl zu schweben und erwiderte sein Grinsen. »Jo nimmt die Spaghetti Bolognese und Noah den Couscous Salat.«
»Geht los. Wenn das Lämpchen leuchtet, sehen wir uns wieder. Ich hoffe, der Koch gibt Gas.« Er lächelte mir noch einmal zu und wandte sich dann an das Mädchen hinter mir, das mich mit einem giftigen Blick bedachte. »Was darf es sein?«
Beschwingt und mit einem leicht debilen Grinsen kehrte ich zu unserem Tisch zurück. Dabei registrierte ich vergnügt, dass Ramona, Janine und Michelle mich mit offenem Mund anstarrten, während Sylvia ein Lächeln zu unterdrücken schien. Bei Jo und Noah angekommen, setzte ich mich zu Jo, der zwischenzeitlich auf die Bank übergewechselt war und zu dem Vierertisch hinübersah. Als ich ihn leicht anstupste, zuckte er wie ertappt zusammen.
»Könnte es sein, dass du vergessen hast, uns etwas mitzuteilen, Vulkanchen?«, fragte er und wandte seine Aufmerksamkeit vollständig mir zu.
Ich verzog entschuldigend das Gesicht. »Sorry, dass ich es euch noch nicht erzählt habe. Bis eben war ich mir nicht sicher, ob es etwas zu erzählen gibt.« Dann berichtete ich ihnen in groben Zügen von meinem Treffen mit X.
Noah lächelte. »Ich freue mich für dich. Du hast ihn ganz schön lange zappeln lassen und dass er nicht aufgegeben hat, spricht für ihn.«
»Ich freue mich auch, aber wir jagen trotzdem weiter dunkle Wesen, oder?« Jo sah mich unsicher an.
Ich verdrehte die Augen. »Was für eine Frage. Aber ich werde wahrscheinlich einen Terminplaner brauchen, um den Überblick nicht zu verlieren.« Ich zwinkerte ihm zu.
»Die Liebe ruft«, sagte er ein paar Minuten später und zeigte auf die Tischlampe, die leuchtete, was bedeutete, dass unser Essen abholbereit war. Ich nahm das Geld, das Jo und Noah mir reichten, und ging zurück zum Tresen. X stellte die Teller auf ein Tablett und nahm das Geld entgegen.
»Ich bin übrigens ein bisschen böse auf dich«, sagte er und legte es in die Kasse.
Erschrocken sah ich ihn an. »Was, wieso?«
Er reichte mir das Wechselgeld und hielt dabei meine Hand fest. »Na ja, warum hast du mich vorgestern nicht daran erinnert, dass ich deine Handynummer noch nicht habe? Ich war durch die Schmerzen so abgelenkt, dass es mir erst zu Hause aufgefallen ist, und da war es zu spät.«
Ich wurde rot. »Ich war mir nicht sicher, ob du sie haben willst«, flüsterte ich, wissend, dass alle in der Reihe hinter mir lange Ohren machten.
> Du hättest sagen können, dass du es vergessen hast. Das wäre wesentlich cooler gewesen <, schimpfte die Wächterin, was natürlich stimmte, doch nun war es zu spät dafür.
X sah mich verblüfft an. »Was? Wieso sollte ich sie nicht haben wollen? Das musst du mir nachher genauer erklären. Ich bin um halb sechs hier fertig. Holst du mich ab?«
Mein Herzschlag hatte inzwischen die Geschwindigkeit von Kolibriflügeln. X wollte, dass ich ihn abholte. Und er wohnte über dem Café.
> Sag was! <, befahl die Wächterin.
»Klar, halb sechs«, stammelte ich.
X lächelte, ließ meine Hand los und wandte sich an das Mädchen hinter mir.
Kapitel 6 • Pegasus
Als ich später zum Tennisverein kam, warteten Sylvia und ihr Dreigestirn vor dem Eingang auf mich.
»Ich weiß nicht, wie du das gemacht hast«, sagte Janine von oben herab und strich sich ihre akkurat geföhnten Ponyfransen aus der Stirn. »Und der Schönling hinter dem Tresen hat einen wesentlich schlechteren Geschmack als vermutet, aber wenn du ihn mitbringst, könnte ich mich dazu durchringen, dich zu meiner Geburtstagsparty einzuladen.«
»Er heißt X und ich passe. Aber du kannst ihn gerne fragen, ob er ohne mich kommen möchte. Er ist ein freier Mensch.« Das Wissen, dass sie nicht einmal seinen Namen kannte, hatte mich mutig gemacht, obwohl mein Herz jetzt raste. Was, wenn sie es tat und er ja sagte? Als Janine schwieg und ich den Ausdruck sah, der über ihr Gesicht huschte, musste ich grinsen. »Ach so, du hast ihn schon gefragt«, stellte ich fest. »Tja, dumm gelaufen.«
> High five! < Die Wächterin war begeistert.
Janines Gesicht verzog sich vor Wut. »Bilde dir bloß nichts darauf ein, Brillenschlange«, machte sie mich an. »Er ist nur ein gutaussehender Kellner mit einem schlechten Geschmack, was Frauen betrifft, und weit unter meinem Niveau. Aber eine wie du muss ja nehmen, was sie kriegen kann.« Damit drehte sie sich auf dem Absatz um und stolzierte davon. Michelle und Ramona folgten ihr sofort, doch Sylvia warf mir einen kurzen Blick zu und ich hätte schwören können, dass sie mir zuzwinkerte, doch es ging zu schnell, um sicher zu sein.
Obwohl sich Michelle, Janine und Ramona redlich Mühe gaben, mich beim Training zu dissen, hatten sie wesentlich weniger Erfolg damit als sonst. Xs Kuss musste sich herumgesprochen haben und mein sozialer Status war in die Höhe geschnellt.
Mit entsprechend guter Laune kam ich zum Buchladen. Noahs Fahrrad war am Zaun festgemacht und Jo, der heute seinen Sozialdienst schob und Bücher sortierte, war bereits seit Stunden im Laden. Ich war somit die Letzte. Schnell durchquerte ich den Vorgarten und öffnete die Tür. Jo und Noah lehnten am Eingangstresen und unterhielten sich angeregt mit Mathilde.
»Vulkanchen, da bist du ja. Lass uns loslegen«, begrüßte mich Jo fröhlich. »Mathilde hat uns gerade gesagt, dass du im Raum der Bücher Ziele erscheinen lassen kannst, die du mit der Peitsche treffen musst.«
»Gut zu wissen«, entgegnete ich. »Aber vielleicht sollte ich es erst einmal schaffen, die Illusion der Peitsche aufrechtzuhalten.«
Mathilde lächelte, nahm den Schlüsselring und ging kommentarlos vor.
Da das Buch mit der Ritualbeschreibung noch auf dem Tisch lag, hätte ich eigentlich gleich mit den Übungen beginnen können, doch ich wollte unbedingt zuerst die Geschichte mit Janine loswerden.
»Irre!« Jo grinste. »Da wäre ich gerne dabei gewesen. Und du meinst, Sylvia hat dir wirklich zugezwinkert?« Er sah mich gespannt an.
»Es kam mir so vor, ja.«
»Sie scheint uns nach unserem Abenteuer ja doch ein bisschen zu mögen«, sagte er leise und mehr zu sich selbst.
Noah warf mir einen wissenden Blick zu und ich überlegte, ob ich etwas erwidern sollte, beschloss aber, es zu lassen. Ich kam schon mit meinen eigenen Gefühlen nicht klar. Wer war ich, dass ich mir zutraute, anderen Ratschläge zu erteilen? Ich nahm stattdessen das Druidenmesser aus der Schultasche, warf einen letzten Blick auf die Bewegung, die aus diesem eine Lichtpeitsche machen sollte, und führte sie aus. Die Peitsche erschien. Statt der gebogenen Sichel hing eine gleißend weiße Peitschenschnur am verzierten Silbergriff des Messers, doch als ich sie schwingen wollte, verschwand sie sofort wieder.
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