»Ja?«
»Wie soll ein normaler Mensch wissen, wer du bist, wenn du dich mit `ja´ meldest?«
»X.« Ich ignorierte die Schmetterlinge, die in meinem Bauch ein Wettrennen veranstalteten. »Du wusstest doch, wer rangeht.«
»Ja, aber du wusstest nicht, wer dich anruft.«
»Ich hatte so eine Vermutung.«
»Ach wirklich?« Ich konnte das Grinsen in seiner Stimme hören. »Hast du Ärger bekommen?«, erkundigte er sich dann ernster.
»Ein wenig. Ich bin nicht nur zu spät gekommen, sondern habe auch vergessen, anzurufen, und die Hausaufgaben nicht fertig. In solchen Dingen ist meine Mutter unentspannt. Ich muss morgen um sechs zuhause sein.«
»Das lässt uns nicht viel Zeit. Wenn es dich nicht stört, dass ich mich nicht umziehe, sondern direkt nach der Arbeit starte, kann ich dich mit Pegasus um halb sechs irgendwo abholen und nach Hause bringen.«
»Stört mich nicht«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen.
»Dann ist das abgemacht und nun lasse ich dich deine Hausaufgaben machen. Wir sehen uns morgen im La Cuisine und besprechen die Details . Ach, und Tina, ich würde dich jetzt schrecklich gerne küssen.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, legte er auf.
Ich starrte dümmlich grinsend auf mein Handy. Er würde mich jetzt gerne küssen. Ich öffnete WhatsApp und tippte: »Ich dich auch. Dich zu küssen fühlt sich an wie Weihnachten und Ostern zusammen. Und nun lerne ich für meinen Englischtest.« Schnell drückte ich auf Senden, bevor ich es mir anders überlegen konnte. Mit heißen Wangen beobachtete ich das Display. Es kam keine Antwort, aber das Handy klingelte erneut.
»Ja?« Mein Herz klopfte wie verrückt.
»Das hatten wir doch gerade schon.«
»Stimmt, und ich bin immer noch dran.«
Er lachte. »Ich bin nicht gut in romantischen Telefonaten, aber ich wünschte, du wärst hier. Wenn du bei mir bist, fühle ich mich ganz. Verstehst du, was ich meine?«
Mein Mund klappte auf. Er war nicht gut in romantischen Telefonaten? Ihm nicht gegenüberzustehen machte mich mutig. »Du meinst, so, als würdest du einen Teil von dir verlieren, sobald wir uns nicht mehr berühren? Ja, ich glaube, ich weiß, was du meinst.« Atemlos wartete ich auf seine Antwort und spielte nervös mit dem Vokabelheft.
X schwieg eine Weile. »Das hatte ich nicht erwartet«, sagte er schließlich. »Das ist so viel mehr, als ich jemals ...« Er brach ab. »Wie gesagt, ich bin nicht gut in romantischen Telefonaten. Ich rede lieber von Angesicht zu Angesicht. Wir sehen uns morgen und du musst jetzt lernen. Nicht, dass du den Test versaust und wir uns gar nicht mehr treffen dürfen.« Er legte auf und ich starrte wieder einmal auf mein Handy. Diesmal allerdings verblüfft.
Was hatte er damit gemeint? Das ist so viel mehr als was? Frustriert blätterte ich durch mein Vokabelheft. Warum war das alles so kompliziert? Ich las mir die Vokabeln gerade zum zweiten Mal durch, als mir mein Amulett einfiel. Ich musste morgen unbedingt Jo und Noah von der Verfolgungsjagd berichten. So wie ich das sah, waren die, die uns verfolgt hatten, alles andere als normale Parkwächter.
Kapitel 8 • Spiel mit dem Feuer
Im Halbschlaf schaltete ich den Wecker aus, griff zum Handy und entdeckte eine Nachricht von X. Sofort flatterten die Schmetterlinge in meinem Magen durcheinander.
»Ich freue mich auf nachher. Viel Glück beim Test«, las ich, grinste wie ein Honigkuchenpferd, wurde wieder zum kleinen Mädchen und strampelte mit den Beinen, da ich nicht wusste, wohin mit meiner Freude.
»Ich freue mich auch und werde versuchen, für die nächsten Stunden nicht an dich zu denken, sonst geht der Test in die Hose«, tippte ich, als ich mich wieder beruhigt hatte.
Die Antwort kam postwendend. »Welch ein Glück, dass ich keinen Test schreiben muss, denn du bist ständig in meinen Gedanken. Steh auf, sonst kommst du zu allem Überfluss auch noch zu spät.«
Das alberne Grinsen kehrte auf mein Gesicht zurück. »Jawohl, Papa, ich habe zwar keine Ahnung, woher du weißt, dass ich noch im Bett liege, aber ich wickele mich sofort aus den Laken«, tippte ich und schwang die Beine aus dem Bett.
Bevor ich aufstehen konnte, piepte das Handy erneut. »Ich demonstriere dir nachher, dass mein Interesse an dir alles andere als väterlich ist« stand da und mein Gesicht glühte. Was antwortete man auf eine solche Ankündigung?
»Der Test geht mit Sicherheit in die Hose«, schrieb ich schließlich und ging ins Bad.
»Ich weiß, es geht uns nichts an, aber lass uns nicht vor Neugierde sterben, Vulkanchen«, begrüßte mich Jo, als ich zur Schule kam. »Wie sieht ein perfektes Date aus?« Er stand, nur auf eine Krücke gestützt, die andere locker in der Hand, am Eingang des Pausenhofes und sah mich abwartend an.
Unser Werwolfabenteuer vor ein paar Monaten hatte ihm zwar einen heftig schmerzenden Muskelkater beschert, da er sich dabei komplett übernommen hatte, doch seine Muskulatur war dadurch stärker geworden. Und darauf baute sein Physiotherapeut seitdem auf.
Noah, der neben ihm stand, schüttelte stöhnend den Kopf. »Jo!«
Dieser zuckte mit den Achseln. »Was? Du willst es doch auch wissen und traust dich nur nicht, zu fragen.«
Ich grinste. »Es beinhaltet Rumknutschen, Händchenhalten, 80er fahren und eine Verfolgungsjagd durch etwas, das ich für Besessene, wenn nicht gar Dämonen halte. Mein Amulett wurde dabei warm.«
»Ich befürchte, ich bleibe solo, die Hälfte davon kriege ich nicht hin.« Jo seufzte theatralisch. »Es wurde nur warm, nicht heiß? Das ist komisch«, sagte er dann und ich liebte ihn dafür, dass er nicht weiter auf das eigentliche Date einging.
»Das mit dem Amulett ist wirklich seltsam. Meinst du, eure Verfolger waren diejenigen, die X an den Kragen wollen?«, erkundigte sich Noah.
Ich zuckte mit den Schultern. »Die Wächterin und ich sind uns nicht sicher. Sie findet es ebenso merkwürdig wie wir, dass das Amulett nicht heiß wurde. Wir müssen nachher im Buchladen herausfinden, woran das liegen könnte.«
»Dann bleibt der Buchladen auf dem Programm«, sagte Jo erfreut, umfasste die zweite Krücke fester und machte sich auf den Weg zum Schulgebäude.
»Klar bleibt er das.« Noah und ich folgten ihm gemächlich. »Ich muss allerdings spätestens um fünf los. X holt mich um halb sechs irgendwo in der Nähe ab und bringt mich nach Hause. Meine Mutter war gestern nicht geschmeidig. Ich war gestern zu spät, hatte vergessen, anzurufen und die Hausaufgaben natürlich auch noch nicht gemacht. Daher muss ich um sechs in der Wohnung sein.«
»Minihausarrest?«, erkundigte sich Jo.
Ich zuckte mit den Schultern. »Eher eine disziplinarische Maßnahme.«
> Klar bleibt er das? <, wiederholte die Wächterin meine Worte. > Wenn X heute Nachmittag frei hätte, würdest du dir das mit dem Buchladen garantiert überlegen .<
Ich ignorierte sie, doch ich befürchtete, dass sie recht hatte.
Die Götter der Englischtests meinten es gut mit mir. Ich schaffte den Test zwar nicht so leicht wie sonst, aber er ging auch nicht daneben. Daher war ich nach Schulschluss gleich doppelt beschwingt. Wir schlenderten gemütlich zum La Cuisine und genossen die Sonne, die sich auch heute von ihrer besten Seite zeigte. Es kam mir vor, als wolle sie uns daran erinnern, dass am Montag der Oktober begann und wir sie dann nicht mehr für selbstverständlich nehmen konnten. Je näher wir dem La Cuisine kamen, desto stärker wurde das Gefühl von Glückseligkeit, das in mir aufstieg. Gleich würde ich X wiedersehen. Als wir ins Café traten, unterhielt er sich mit einem jungen Mann, der mit neongrünen Punkten, die wie Sommersprossen aussahen, übersät war. Was bedeutete, dass dieser entweder Kontakt zu einem dämonischen Wesen gehabt hatte oder von etwas heimgesucht wurde. Ich zuckte zusammen und sah Jo und Noah alarmiert an. Sie nickten. Sie hatten es auch bemerkt. Genau in dem Moment sah X hoch und entdeckte mich. Sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln und er winkte mir zu. Der Mann mit den dämonischen Sommersprossen sah ebenfalls in meine Richtung. Er hatte auch welche im Gesicht, betrachtete mich aber eher desinteressiert. Die Heimsuchung konnte also noch nicht lange andauern. Erleichtert hob ich die Hand und erwiderte Xs Winken. Das wahre Problem würde sein, dem Mann zu erklären, dass er von etwas Übersinnlichem bedroht wurde, ohne dass X herausfand, dass ich eine Wächterin war.
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