„Ist okay, lass ihn bitte in meine Wohnung bringen! Over!“
Das klang professionell, dachte er sich. Er konnte das Grinsen von Onno förmlich erahnen.
Links neben dem Haus Monopol schien auch noch eine Kneipe geöffnet zu haben, der „Strandkorb." Mehrere Fahrräder standen im Eingangsbereich, neben einem eingepackten Strandkorb. Er drehte um und ging die Zedeliusstraße wieder hinunter und tätigte im Spar-Markt seine Einkäufe. Im Laden wurde er von mehreren Leuten mit einem freundlichen „Moin, Moin“ begrüßt.
Als er ins Revier zurückkam, hatte Onno Kundschaft. Ein hochgewachsener, bärtiger Mann stand vor dem Tresen und unterhielt sich mit Onno. Petersen betrat das Zimmer mit einem „Moin, Moin“ und stellte seine Einkäufe ab. Onno wies auf den Bärtigen:
“Darf ich dir unseren Bürgermeister vorstellen, Günter Depken und das ist hier mein neuer Kollege Petersen.“
Beide gaben sich die Hand. Depken hatte gerade gegenüber Onno eine Einladung ausgesprochen:
“Auf der nächsten Gemeinderatssitzung haben wir als Tagesordnungspunkt 2, Verkehrssicherheit auf der Zedelius-straße. Ihr seid hiermit eingeladen. Es wird wohl darum gehen, dass ihr eure Kontrollen in der Saison erhöht, weil zu viele Leute in der Fußgängerzone Fahrrad fahren."
„Wir kommen“, antwortete Onno.
Der Bürgermeister dampfte ab.
„Dieses Problem ist ein Dauerbrenner auf der Insel, so lang ich hier bin und das ist schon sehr lang. An dem Punkt kriegst du auch immer Ärger mit den Insulanern. Die halten sich nämlich auch nicht an das Fahrradverbot in der Saison. So, nun ist Mittagspause, wir treffen uns um 2 Uhr wieder hier.“
Petersen ging in seine Wohnung packte seine Einkäufe aus und überlegte, wo er seinen Marshall-Gitarrenverstärker hinstellen sollte. Er hatte mindestens zwanzig Jahre in verschiedenen Bands in Bremen gespielt, meistens im Rock-Oldie-Bereich. Sein ständiger Schichtdienst verhinderte leider eine feste Bandmitgliedschaft. Er half hier und da mal aus, wenn ein Gitarrist ausfiel. Es gab auch immer Komplimente, viele der verschiedenen Bandkollegen hielten ihn für einen sehr guten Gitarristen. Ob er diese Leidenschaft für die Musik ausgerechnet in Wangerooge ausleben könnte, bezweifelte er sehr.
Nach der Mittagspause trafen sich beide Beamte wieder im Revier. Petersen drückte Onno einen Schnellhefter mit Zeitungsausschnitten in die Hand:
„Hier habe ich alle Presseartikel über meinen Fall gesammelt. Lies dir das mal durch, danach können wir darüber reden."
Onno schaute Petersen verdutzt an:
„Du musst dich hier nicht rechtfertigen oder erklären, schon gar nicht vor mir!“
„Das ist mir aber wichtig, Onno. Vielleicht brauche ich das auch für mich selbst,“ insistierte Petersen.
„Okay, wenn ich alles durchgelesen habe, besprechen wir alles bei einem Bierabend."
Onno nahm die Mappe und steckte sie in seine Aktentasche. Plötzlich ging die Tür auf und eine kleine pummelige Frau mit Hund stürzte völlig außer Atem in die Dienststelle.
„Onno, auf der Baustelle der neuen Feuerwehr spielen Kinder auf dem Mauerwerk in ziemlicher Höhe“, prustete die Frau heraus. Onno setzte sein Pokerface auf und wandte sich an Petersen:
“Einsatz, Herr Kollege!“
Kurz erläutere er Petersen, wo sich die Baustelle befand. Petersen schwang sich auf sein Dienstfahrrad, für ihn eine völlig neue Art der polizeilichen Fortbewegung. Als Drogenfahnder war er meistens mit schnellen Zivilautos unterwegs. An der Baustelle angekommen, sah er auch schon die beiden Jungs, die auf den frisch gemauerten Wänden in ungefähr sieben bis acht Meter Höhe herumturnten. Die beiden etwa sieben bis achtjährigen Jungs erschraken beim Anblick des uniformierten Polizisten.
„Sofort runterkommen!“ rief Petersen in durchaus scharfem Ton. Er half dann beiden beim Abstieg über die wacklige Gerüstleiter. Fieberhaft überlegte Petersen, was er jetzt machen sollte? Er, der prominente Drogenfahnder, der Drogenringe aushob und schon in Schusswechseln verwickelt war, wusste nicht weiter. Die Absurdität der Situation war ihm durchaus bewusst. „Mitkommen!" herrschte er die Jungs an. So trotteten nun die beiden Jungs und der fahrradschiebende Polizist in Richtung Wache. Dort angekommen, war von Onno nichts zu sehen. An der Pinnwand hing ein Zettel, bin auf der Gemeinde. „Ach, du Scheiße!“ dachte Petersen. Jetzt musste er hier auch noch den Pädagogen spielen.
„Jungs, ihr wisst, warum ich euch da runter geholt habe?“ begann Petersen die Unterhaltung mit etwas milderem Ton. Beide Jungs nickten. „Die Mauer hätte einstürzen können oder ihr hättet abstürzen können. Dann wärt ihr jetzt tot!“ setzte Petersen seine Predigt fort. Bei den letzten Worten erschrak er selbst. Hier übertrieb er wohl. Einer der beiden Jungs hatte Tränen in den Augen. „Einsperren tue ich euch aber nicht!“ fuhr er fort. „Jetzt geht es ab nach Haus!“
Er ließ sich von beiden die Adresse sagen und lieferte beide bei ihren Eltern ab. Von der Polizei nach Hause gebracht zu werden, das reicht als Maßnahme fand er.
In der Wache traf er Onno, dem er kurz über den Vorfall berichtete. „Du hättest Lehrer werden sollen“, wurde er von
Onno angeflachst.
„Niemals“, antwortete Petersen, „meine geschiedene Frau ist Lehrerin. Ich kenne die Lehrerszene in der Großstadt, das muss ich mir nicht antun.“
Er machte einen kurzen Eintrag ins Reviertagebuch. Onno instruierte ihn noch, dass er heute Abend das Diensthandy mitnehmen müsse, wenn er noch eine private Runde machen würde. Sie verabschiedeten sich und wünschten sich ein schönes Wochenende, denn es war Freitagnachmittag.
Den späten Nachmittag verbrachte Petersen mit dem Einräumen seiner Sachen. Wirklich gemütlich fand er diese Wohnung mit ihrem 60-er Jahren Charme ja nicht, aber irgendwie musste er damit klarkommen. Er stöpselte seine Gitarre in den Verstärker und fing an zu spielen. Rücksicht brauchte er nicht nehmen, denn er war allein im Haus. Er nahm sich den Gitarrenriff von Sweet Home Alabama vor, den er immer noch nicht fehlerfrei beherrschte. Nach dem Üben beschloss er, noch eine Runde zu drehen. Ihm fiel ein, dass er vergessen hatte, Onno zu fragen, wie es mit Alkohol in Kneipen aussah. Er war in Bremen passionierter Kneipengänger gewesen. Schon von Berufs wegen hatte er sich häufig in Kneipen aufgehalten, was ihm nicht unbedingt missfiel. So ganz wollte er aber davon nicht lassen. Ihm war schon klar, dass er in einem solchen kleinen Ort wie Wangerooge unter Beobachtung stand. Er erinnerte sich an seinen Freund Lothar, der drei Jahre lang Lehrer auf Helgoland gewesen war und es immer vorgezogen hatte, mit ihm in seiner Wohnung zu trinken. Petersen hatte das immer wieder bedauert, weil es in Helgoland so schöne Kneipen gab.
Ohne Uniform zog er gegen 20 Uhr los. Als er aus dem Revier trat, kam ihm eine zierliche, etwas blässliche Frau entgegen.
„Waren Sie das eben?“ sprach sie ihn an.
„Wie, was meinen Sie, “antwortete er.“
„Na, ja, Lynyrd Skynyrd kennt man doch“, lachte sie ihn an.
„Danke für das Kompliment“, murmelte er und schon war die Frau weiter gegangen. Vielleicht hätte ich doch mit Kopfhörer spielen sollen, ging es ihm durch den Kopf.
Im „Café Treibsand“ angekommen, setzte er sich an die Theke und bestellte ein Bier. Auf der Leinwand im hinteren Bereich lief das Freitagsspiel der Bundesliga. Eine Dartscheibe schien dort auch vorhanden zu sein. Die Kneipe war recht leer. Einige Fußballfans saßen direkt vor der Leinwand. Sie hatten blaue Schals um. Schalke spielte.
„Zeigt ihr morgen Werder?“ sprach Petersen die junge Bedienung an, die gelangweilt auf einem Barhocker saß.
„Nein, nur Konferenz!“
„Was soll das denn?“ entfuhr es Petersen.
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