„Wohin mit den Töpfen?“ „Was soll ich mit den Geschirrtüchern machen?“ „Wie willst du Kochlöffel angeordnet haben?“
Keine zwanzig Minuten später war die Küche eingerichtet und der Karton war leer.
„Was soll das?“, endlich fand ich meine Sprache wieder.
„Wir richten dich jetzt ein.“
„Es ist drei Uhr morgens.“, rief ich, als ob das alles erklären sollte.
Adam sah auf seine Uhr am Handgelenk: „Eigentlich ist es schon fast vier.“, er zuckte mit den Schultern: „Jetzt hat es doch auch keinen Sinn mehr, nochmal schlafen zu gehen.“, er deutete auf die weiteren acht Kisten: „Welcher Raum ist als nächstes dran?“
Und so machten wir uns für die kommenden zwei Stunden daran, meine Wohnung einzurichten. Wir arbeiteten uns von Raum zu Raum – meine Eltern hatten wirklich jede einzelne Kiste beschriftet – bis wir wieder in meinem Schlafzimmer angelangt waren.
Als wir beim letzten Karton angekommen waren, konnte ich schon ahnen, was sich darin befand. Ich wollte Adam noch davon abhalten ihn zu öffnen, aber ich war zu langsam. Als ich Adam hart schlucken hörte, wusste ich auch, dass meine Annahme über den Inhalt des Kartons, stimmte.
„Ähm, willst du hier Bilder aufhängen?“
Ich schüttelte den Kopf.
Dazu konnte ich mich wirklich noch nicht durchringen.
Adam nickte verständnisvoll und verschloss den Karton wieder. Anschließend hob er ihn hoch und packte ihn in die hinterste Ecke meines Kleiderschrankes. Dabei fiel sein Blick auf die wenigen Klamotten, die sich darin befanden: „Ich hatte eigentlich immer gedacht, dass ihr Mädels sehr viel mehr Kleidung besitzen würdet.“, Adam kratzte sich am Hinterkopf.
„Wirf doch nicht alle Frauen in einen Topf!“, dieser verdammte Sexist.
Als er meinen schnaubenden Tonfall hörte, drehte er sich lachend zu mir um: „Oh, tut mir leid, Eure Hoheit. Bisher hat sich dieses Vorurteil einfach immer bestätigt.“
„Vielleicht warst du bisher auch mit nur einem Typ Frau zusammen.“, gab ich bissig zurück, dann nickte ich zu dem Reisekoffer, der bei meinem Schreibtisch stand: „Dort sind noch ein paar Klamotten von mir drinnen.“
Adam nickte und ging zu dem Koffer.
Wow, Moment mal.
„Hey!“, rief ich, als er den Koffer auf mein Bett warf und anfing ihn zu öffnen.
„Was denn?“, mal wieder saß Adam der Schalk in den Augen: „Glaubst du, dass ich noch nie Slips und BHs gesehen habe? Jetzt stell dich nicht so an, Mary. Ich habe gerade deine Tampons ins Badezimmer gestellt.“
Meine Wangen liefen rot an. Verdammt, das hatte ich gar nicht mitbekommen.
Adam öffnete meinen Koffer vollständig und wir fingen an meinen Kleiderschrank einzuräumen. Da ich noch nie viel Kleidung besessen hatte, ging das recht zackig und nach einer halben Stunde waren wir fertig.
Ich stellte den Koffer neben meinen Schrank und atmete tief ein. Unglaublich, wir hatten es wirklich geschafft. Meine Wohnung war eingerichtet.
Bei diesem Gedanken kamen mir sofort wieder die Tränen und mal wieder fing ich vor Adam an zu schluchzen. Er tat genau dasselbe, wie vor ein paar Stunden. Er nahm mich in den Arm und ließ mich an seiner Brust weinen.
Eine Stunde, bevor unsere erste Vorlesung starten würde, verabschiedete sich Adam leise von mir und ließ mich noch versprechen, vor dem Buchladen auf ihn zu warten, damit wir gemeinsam fahren könnten. Ich wollte es ihm zu Beginn nicht versprechen – weil ich mir nicht sicher war, ob ich es schaffen würde, auf die Uni zu fahren – aber Adam beharrte darauf, wodurch mir nichts anderes übrigblieb, als einzuwilligen.
Sobald die Tür hinter Adam ins Schloss gefallen war, fühlte ich mich automatisch wieder einsam. Es war mir gar nicht aufgefallen, aber er hatte es wirklich geschafft, meine Einsamkeit und den damit verbundenen Schmerz für ein paar Stunden verblassen zu lassen. Nun kam der Schmerz wieder – heftig, sodass ich für einen Moment das Gefühl hatte, keine Luft mehr zu bekommen.
Dann sah ich mich in meiner Wohnung um. Alles war eingerichtet. Sie sah nun tatsächlich bewohnt aus. Selbst meine Kleidung hing säuberlich im Kleiderschrank, sodass ich eigentlich nicht mehr an Markus‘ T-Shirts gebunden war.
Sodass ich eigentlich auch nicht mehr an Markus gebunden war.
Den Gedanken schüttelte ich schnell wieder ab. Ich würde immer an ihn gebunden sein, er war immerhin mein Zwillingsbruder. Er war mein Zwillingsbruder gewesen.
Bevor ich mich weiter an meinen eigenen Gedanken aufhing, entschied ich mich für eine kalte Dusche. Die würde mir hoffentlich helfen, wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
Ich würde Adam sowieso nicht entwischen können – keine Ahnung, ob ich es überhaupt wollte oder nicht – denn er stand bereits vor dem Buchladen, als ich die Straße hinunter ging. Er lehnte entspannt an der Hausmauer, während er offenbar in ein Buch vertieft war. Unglaublich.
Ich hätte nie damit gerechnet, ausgerechnet diesen Menschen lesen zu sehen. Aber das gehörte wahrscheinlich zur Grundausstattung eines jeden Buchverkäufers.
Wie er wohl an den Job gekommen war?
Als ich noch einige Meter von ihm entfernt war, blickte er von seinem Buch hoch. Ein leichtes Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus und er packte das Buch in seine Umhängetasche.
Adam hatte eindeutig in der einen Stunde geduscht und sich wahrscheinlich noch ein paar Kaffee reingepfiffen, er wirkte nämlich putzmunter und voller Tatendrang.
„Guten Morgen.“, sagte er, als ich bei ihm angekommen war.
Abschätzig zog ich meine Brauen hoch oben: „Guten Morgen? Wir sind schon seit fünf Stunden wach.“
Adam zuckte mit den Schultern: „Dann eben Mahlzeit. Können wir gehen?“, er nickte Richtung Straßenbahnhaltestelle.
Ich nickte nur und folgte ihm. Während wir nebeneinanderher gingen, beobachtete ich die Menschen um uns herum.
Etwas, was ich schon seit geraumer Zeit nicht mehr getan hatte. Die meisten schienen, als wären sie auf dem Weg zur Arbeit oder ebenfalls zur Uni. Aber es gab noch andere Menschen, wie zum Beispiel Väter, die mit dem Kinderwagen unterwegs waren, Omas, die wohl gerade ihren Wocheneinkauf erledigten und Jugendliche, die wohl oder übel gerade Schule schwänzten.
„Wie geht’s dir eigentlich in der Vorlesung von der Weber? Ich habe bei ihr immer das Gefühl, am Ende noch dümmer zu sein als zu Beginn.“
Über Adams Aussage musste ich kurz lachen. Und ich konnte ihm nur zustimmen: „Geht mir ähnlich. Ich habe beim letzten Mal recht schnell abgeschaltet.“, gab ich zu.
„Und sonst? Wie gefällt dir das Seminar vom Böck?“
Wir hatten ein Seminar mit einem Professor namens Böck? Verdammt, ich sollte mich auf der Uni wirklich besser konzentrieren.
Ich räusperte mich: „Ähm, ist okay.“
„Wirklich? Auf mich hast du das letzte Mal so gewirkt, als wärst du in einer völlig anderen Welt.“, Adams Blick ruhte auf mir.
Ich grunzte – sehr undamenhaft: „Was wird das? Ein Spiel, in dem du mir zeigst, wie mies ich schon nach der ersten Woche auf der Uni bin?“
„Nein.“, er schüttelte den Kopf: „Du hast auf mich einfach sehr abwesend gewirkt, ehrlich gesagt. Und in den meisten Veranstaltungen bin ich halbwegs gut mitgekommen. Wenn du willst, können wir gemeinsam lernen. Meine Mitschriften sind zwar meistens ein Chaos, aber immerhin vollständig.“
Na toll.
„Tu das nicht.“, murmelte ich, als wir in die Straßenbahn einstiegen.
„Was soll ich nicht tun?“
„Mich wie ein Opfer zu behandeln. Du musst kein Mitleid mit mir haben. Nur weil du weißt, was mit meinem Bruder passiert ist, heißt das noch lange nicht, dass du mich jetzt wie ein kleines, armes Mädchen behandeln musst.“
Die Straßenbahn war mal wieder genauso voll wie jeden Morgen, weshalb Adam mir verdammt nahestand. Ich konnte ihn regelrecht riechen.
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