1 ...6 7 8 10 11 12 ...18 Dann begann ich aber damit einfach mein eigenes Ding durchzuziehen. Ich arbeitete nicht mehr nur durchgehend, sondern nahm mir auch Zeit auszugehen. Karsten half mir sogar dabei. Er hatte sich wieder einigermaßen gefangen und gab mir ein bisschen Hilfestellung. Er war gerade 16 geworden, sah mittlerweile aus wie Mike Tyson, wobei nur die Hautfarbe nicht ganz passte, und war relativ wortkarg. Die interessanteste Veränderung an ihm aber war seine wirklich beeindruckende Beobachtungsgabe. Zusammen mit seinem hervorragend funktionierenden Kopf eine richtig gefährliche Kombination. Logik war einfach unbestechlich und er war darin zu einem Meister mutiert. Durch seine Beobachtungen und die Logik seines Kopfes erkannte er die Geschichte hinter einem Menschen.
Ich nahm mir die Sonntage frei und ging in die einschlägigen Bars. Mit der Zeit hatte ich immer weitere Treffpunkte für Homosexuelle entdeckt, die ich dann an den Wochenenden besuchte. Der Erfolg blieb leider in den meisten Fällen aus, aber es war für mich eine Wohltat mit Frauen zu sprechen, die den gleichen Anfeindungen wie ich ausgesetzt waren. Daraus entstanden auch ein paar schöne Freundschaften. Plötzlich war das alles nicht mehr so schwierig für mich. Aber mein Leben hatte strikt etwas dagegen mir etwas Liebevolles zu schenken. Meine privaten Besuche in den Bars blieben nicht wirklich lange geheim und ich fand mich in der gleichen Situation wie bereits zweimal zuvor. Von Tag zu Tag wurde es schlimmer. Trotz des Zuspruchs meiner Jungs und Karsten entwickelte ich eine tief sitzende Depression. Da man mir nicht ansehen konnte, wie ich mich fühlte, blieb den meisten verborgen, dass ich viel zu häufig an Suizid dachte. Karsten war interessanterweise der Einzige, der es ziemlich schnell herausfand. Dann therapierten wir uns fast gegenseitig. Ich half ihm über seine Dämonen hinweg, zumindest dachte ich das bis dahin und er trieb mir meine bösen Gedanken aus.
Trotzdem musste etwas passieren. Es konnte so einfach nicht mehr weitergehen. Bochum war zwar nicht gerade klein, aber ich konnte ja nicht in schöner Regelmäßigkeit alle paar Monate das Stadtviertel wechseln. Außerdem waren ja nicht mehr so viele davon übrig und mein Name machte auch schon langsam die Runde. Das war meine schwerste Zeit. Ich konnte den Menschen, denen ich zum ersten Mal begegnete, direkt ansehen, was der Name Catharina Rehberg auslöste. Teilweise konnte ich, nachdem ich meinen Namen genannt hatte, auch einfach wieder gehen, ohne meinen Gesprächspartner etwas sagen zu hören. Ich sah es ihnen an den Reaktionen schon an, dass sie diesen Namen schon öfter im Zusammenhang mit den wildesten Geschichten gehört hatten.
Ich fühlte mich mit zunehmender Zeit einfach immer schlechter. Auch Karsten merkte mir das deutlich an. Nach einem langen, sehr anstrengenden Arbeitstag in der Bank kam ich nach Hause und fiel einfach nur noch auf die Couch. Ich wollte nicht mehr. Nie mehr! Karsten ließ mir mehr als zwei Stunden Zeit, um herunterzukommen. Er kochte, stellte mir das Essen auf den Tisch und brachte mir, etwas Kühles zu trinken. Sogar die Badewanne ließ er für mich einlaufen, damit ich mich irgendwie entspannen konnte. Erst am späten Abend sprach er mich an.
»Cat, du bleibst morgen hier. So geht das nicht mehr weiter!«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann nicht zu Hause bleiben. Wie stellst du dir das vor? Ich muss arbeiten!«
»Hör auf, mich anzulügen! Entweder du bleibst morgen hier auf dem Sofa, oder ich gehe mit dir zur Arbeit und baue eine Bank um. Deine Entscheidung!«
»Was soll ich denn deiner Meinung nach machen?«
»Du brauchst einen Neuanfang, das ist das Einzige, was noch hilft, ansonsten gehst du daran kaputt.«
Ich wusste, dass er recht hatte. »Ich bin schon lange kaputt. So wie du auch.«
»Unerlaubter Tiefschlag, Cat«, brummte er, »Egal, was du hier auch noch versuchst, leidest du so wie ich. Das ist es nicht wert!«
»Wo soll ich denn hin?«
»Weg von hier, ganz egal wohin, nur einfach weg.«
Ich brauchte nicht zu lange darüber nachzudenken. Karsten hatte mehr als recht. Ich wäre daran zerbrochen, wenn er nicht gewesen wäre. Am nächsten Tag blieb ich wirklich in meinem Bett liegen und ging nicht zur Arbeit. Karsten kochte Kaffee und brachte mir sogar Frühstück ans Bett. Danach berieten wir mehrere Stunden und diskutierten einige Vorschläge. Ich wollte eigentlich in Deutschland bleiben. Eine andere Sprache konnte ich nicht. Das bisschen Englisch, was ich in der Schule gelernt hatte, reichte nicht einmal für eine Bestellung in einem Lokal. Vor allem war es völlig falsch, aber zu meiner Zeit konnten nicht mal die Lehrer anständiges Englisch, wie sollten sie auch den Schülern die Sprache vermitteln. Karsten war dagegen. Trotz seiner jungen Jahre war er kopfmäßig viel weiter. Sein Vorschlag lautete Niederlande. Die Sprache dort war enger mit dem Deutschen verwandt und sie waren, was die Homosexualität anging, deutlich liberaler als alle anderen Staaten.
Ich war dagegen. Die Sprache würde ich in tausend Jahren nicht mehr lernen und die Niederlande hatten irgendwie nichts Schönes. Scherzhaft sagte er, man sollte mich in die Karibik schicken, das gäbe erstens Sonne und die Frostbeule Catharina bekommt nicht mal im Winter einen kalten Arsch. Irgendwie hatte er damit schon recht. Allerdings waren die meisten Länder nahe am Äquator weder liberal, noch passte die Sprache. Nur Französisch und Spanisch, aber kein Englisch. Was Sprachen anging, war ich eine Niete und französisch mochte ich schon vom Klang her nicht. Das war ein einziges Näseln und hörte sich immer an, als würde jemand über mich lästern. Zu Spanisch fand ich keinen rechten Zugang. Wir hatten damals zwar schon das Internet, aber das war damals tatsächlich noch Neuland. Karsten sprach dann von Grenada. Ich dachte die ganze Zeit über, er meint eine Stadt in Spanien, aber er hatte es von einer Insel in der Karibik, die unter englischer Verwaltung stand. Allerdings war England bei der Toleranz gegenüber Homosexuellen fast noch schlimmer als Deutschland. Nach einigen Nächten kam Karsten schließlich mit der kleinen Insel Saint Martin um die Ecke. Meine Ablehnung war ihm damit sicher. Kein Französisch, und was sollte alleine der Name schon vermuten lassen. Aber er hatte seinen Joker gezogen und mir erklärt, dass diese kleine Insel zweigeteilt ist. Der größte Teil gehört zu Frankreich, aber der südliche Zipfel des Eilands war eine niederländische Kolonie. Amtssprache war Englisch und noch etwas war besonders. Der französische Teil dieser Insel gehört offiziell zur EU, der niederländische allerdings nicht. Es gab keine Pass- und Zollkontrolle. Außerdem hatte ich als deutsche Staatsbürgerin den Vorteil meinen Wohnsitz, solange ich wollte, innerhalb der EU zu verlegen ohne ein Visum oder sonstigen Unsinn zu brauchen.
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