1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Je mehr wir über diese Insel in Erfahrung bringen konnten, umso besser gefiel es mir. Aber ich brauchte eine Menge Startkapital und natürlich musste ich die Sprache lernen. Die nächsten Monate habe ich tagsüber in der Bank gearbeitet, so viel Geld wie möglich gespart und mit Karsten zusammen abends die englische Sprache gepaukt. Eigentlich wollte ich meine Sachen mitnehmen, aber das ginge nur, wenn ich mein Eigentum in einen Container packen würde und den dann mit einem Schiff dahin schippern lasse. Alleine das würde mich aber schon einen Kleinwagen kosten. Das war einfach nicht drin. Ich brauchte alles an Geld, was ich bekommen konnte. Ich entschied mich daher alles, was ich hatte bis natürlich auf meine Klamotten und die persönlichen Wertsachen zu verkaufen. Das brachte mir mehr Startkapital und ich brauchte nicht sofort einen Job, bevor ich Pleite war. Kurz nach Karstens Geburtstag hatte ich mein Startgeld zusammen. Ich brauchte nur noch das Geld für den Flug, was aber auch noch einen Tausender erfordern würde. Ich stellte mich also gedanklich noch einmal auf mindestens ein halbes Jahr täglicher Folter ein. So lange würde ich mindestens brauchen das Geld für den Flug auf die Seite zu legen.
Eines Morgens, als ich aufstand, um zur Arbeit zu gehen, kam Karsten mit einem teuflischen Grinsen auf mich zu und reichte mir einen Umschlag. Als ich ihn öffnete, fielen mir zwei Flugtickets entgegen. Ausgestellt auf meinen Namen und bezahlt. Karsten hatte mir verschwiegen, dass er das Geld dafür irgendwie zusammengetragen hatte und dann auch gleich die Flüge gebucht hatte. Es war ein Geschenk für mich. Anstatt zur Arbeit zu gehen, setzte ich mich an den Tisch und freute mich wie ein kleines Kind, wenn Ostern, Weihnachten und Silvester auf ein und denselben Tag fallen würden. Am nächsten Tag ging ich noch einmal, in seiner Begleitung zu meiner Arbeitsstelle in der Bank. Die Gesichter meiner Kolleginnen werde ich nie vergessen, als ich mit Karsten in die Bank kam. Er sah aus wie mein persönlicher Bodyguard, mit seinen schwarzen Klamotten und den dicken Stiefeln. Dazu machte er ein Gesicht, das schon von Weitem signalisierte, dass ein Wort ausreichte, um eine Prügelei zu provozieren. Im Stillen genoss ich unseren Auftritt. Ohne Umweg gingen wir zum Büro meines Chefs und ich warf ihm meine Kündigung und meine Zugangskarte auf den Tisch. Dann packte ich meine Sachen auf meinem Schreibtisch in einen Karton. Eine Kollegin wollte noch etwas sagen, aber Karsten packte sie und warf sie auf den Schreibtisch nebenan. Dann ging ich, wie von einer schweren Last befreit nach draußen.
Karsten begleitete mich sogar nach Düsseldorf für meinen Flug nach Amsterdam. Von dort gab es einen Direktflug nach Sint Maarten mit der KLM. Am 3. November hob ich ab in ein neues Leben.
Da saß ich also nun auf der kleinen Insel Sint Maarten vor dem Princess Juliana International Airport auf einer Bank in der Sonne und wartete darauf, dass sich mein Kreislauf wieder beruhigte. Die Zigarette in meiner Hand hatte sich schon selbst geraucht. Meine Beine zitterten und vor meinen Augen wurde es immer wieder kurz schwarz. Ich versuchte es mit leichten Bewegungen, um meinen Kreislauf anzuregen, damit es mir besser ging. Das dauerte fast eine viertel Stunde, bis ich wieder halbwegs auf dem Damm war. Erst dann wurde mir bewusst, wie schön es hier eigentlich war. Die Sonne schien, es war sommerlich warm und die Luft roch frisch nach Salz und ein bisschen nach Blumen. Vor allem war sie nicht so verstaubt, wie in Bochum, stellten meine Atemwege fest. Noch etwas anderes fiel mir auf. Nach meiner inneren Uhr müsste es schon fast wieder dunkel sein, aber die Sonne war erst kurz über ihren Zenit gewandert. Die Uhr an meinem Handgelenk vermeldete, es wäre 20 Uhr, aber die Uhr auf dem Parkplatz zeigte erst kurz nach 3 Uhr am Mittag. Ich hatte während des Fluges die Zeitumstellung komplett vergessen. Hier lag ich fünf Stunden hinter Deutschland zurück.
Das schönste, was ich dort auf der Bank erlebte, war ein junger Mann, der mich ansprach, um zu fragen, ob es mir gut geht. Ich erwähnte ihm gegenüber nur meine leichten Kreislaufprobleme, die ich nach dem Flug hatte. Seine Reaktion darauf war ein scheues Lächeln und die Frage, ob ich vielleicht etwas zu Trinken brauchen könnte. Ich verneinte und er nickte nur kurz und ließ mich alleine. Kurze Zeit später stand er wieder neben mir und servierte mir eine eiskalte Flasche Mineralwasser. Zuerst wollte ich sie nicht annehmen. Ich war mir sehr unsicher, ob das nicht vielleicht ein Versuch war mich zu betäuben und meine Reisekasse zu stehlen. Man konnte ja nie wissen, was er vorhatte. Allerdings war sie noch original verschlossen, denn der Verschluss war nicht angetastet. Er bemerkte mein zögern. Um mir zu demonstrieren, dass daran nichts manipuliert wurde, öffnete er die Flasche, ließ sich Wasser in die Hand laufen und trank es vor meinen Augen. Das überzeugte mich und ich nahm die Flasche an mich. Das kalte Wasser aus der Plastikflasche zeigte tatsächlich eine belebende Wirkung.
Natürlich wollte ich das Wasser auch bezahlen, aber das lehnte er ab. Warum sollte ich allerdings erst später erfahren! Für die ersten paar Tage meines neuen Lebens hatte ich mir ein günstiges Hotel mitten in Philipsburg, der Hauptstadt des niederländischen Teils der Insel gesucht. Das würde meine Basis werden, von der aus ich mein Leben hier aufbauen würde. Um flexibel zu sein, nahm ich mir ein kleines und günstiges Mietauto. Klein war er wirklich, aber für meine Zwecke vollkommen ausreichend. Außerdem wollte ich meine neue Heimat ja auch mal kennenlernen. Für den kleinen Hyundai bezahlte ich gleich eine ganze Woche. Der Verleiher war sogar so freundlich und half mir den großen schweren Koffer ins Auto zu legen. Hinter der Freundlichkeit vermutete ich einen psychologischen Trick, der mir einen schönen Urlaub bringen sollte. Dabei war ich gar nicht für einen Urlaub hier. Ich startete den kleinen Flitzer und fuhr der Straße in Richtung Philipsburg entgegen, wobei schleichen vielleicht der bessere Ausdruck war. Ich kam wirklich kaum voran, denn die Straße war total überlastet.
Direkt neben der Startbahn des Flughafens verlief die Straße geradeaus und ich stand im Stau. Was ich da sah, konnte ich kaum glauben. Auf der offenen Ladefläche eines Lastwagens saßen etwa 30 Menschen. Hinter dem Transporter fuhr ein Fahrzeug mit Blaulicht auf dem Dach und der Aufschrift Police. Damit wäre der Führerschein in Deutschland auf der Stelle eingezogen worden und die Menschen müssten nach Hause laufen. Aber hier? Die Männer auf der Ladefläche scherzten sogar noch mit den Beamten. Sie riefen sich über den Lärm einzelne Sätze zu und lachten. Aber die Polizisten taten nichts. Das war für mich absolut unglaublich und ich sah die Szenerie fassungslos vor mir. Dann erlebte ich noch etwas Beeindruckenderes. Auf der Startbahn zu meiner rechten wurde es furchtbar laut und der kleine Mietwagen dröhnte. Ein weiß glänzendes Flugzeug rauschte mit großer Geschwindigkeit an mir vorbei. Die vier Triebwerke unter den Tragflächen wirbelten den Sand auf der Startbahn auf. Plötzlich erhob sich dieser Koloss majestätisch in die Lüfte und drehte eine kleine Kurve nach rechts.
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