Besonders einladend war der Eingang nicht und als sie mit einem alten klobigen Schlüssel die Tür aufsperrte, wurde es nicht besser. Mir schlug ein Schwall muffig riechender Luft entgegen. Der erste Blick zeigte eine kleine Treppe aus Holz und Wände in einer sehr dunklen Farbe. Sie betätigte einen Schalter an der Wand und eine nackte Glühbirne flammte kurz auf, um dann sofort wieder zu erlöschen. Soviel zum Thema Licht. Vorsichtig stiegen wir im Dunkeln die Treppe nach oben und behielten eine Hand an der Wand. An der obersten Stufe angekommen führte eine Tür nach links wieder ins Freie. Dann standen wir auch schon vor der nächsten Tür in einem verschmierten braun gehalten und mit schiefen verbogenen Kupferzahlen darauf. Es sollte wohl mal eine 14 sein. Auch diese Tür öffnete sie und gab ihr einen Stoß, um den Raum dahinter zu zeigen.
Erst dachte ich, wir stehen in irgendeinem zugigen Keller, aber das, was sie mir zeigte, war keine Wohnung oder ein Appartement. Es war ein einzelner Raum, der etwas von einem Kellerverlies hatte. Und auch hier schlug mir wieder dieser modrige Geruch in die Nase. Hier sollte man wohnen können? Spätestens nach dem ersten Aufwachen bekam man hier schon Depressionen. Da hätte ich meine aus Deutschland gar nicht erst mitbringen müssen. Die Einrichtung ließ dafür keine Wünsche offen. Ein Puppenbett wie aus einem Miniaturhaus, ein schwerer dunkler Schrank, sowie ein wackliger Tisch mit einem Stuhl davor. Die kleine Kochnische mit einem winzigen Kühlschrank und eine verdreckte Spüle an der Wand komplettierte das Loch. Ich blickte mich um auf der Suche nach einer Tür zum Badezimmer. Wenn schon wohnen, dann doch bitte auch mit einer Toilette und wenigstens einer Dusche. Da war aber weiter nichts. Nur die Eingangstür, die im Wind wackelte.
»Das Badezimmer ist am anderen Ende des Flurs«, erklärte sie mir, als wenn sie meine Gedanken erraten hätte.
»Und wann, sagtest du, kommen die Zuchthauswärter vorbei?«
»Gefällt es dir nicht?«, fragte sie mit leicht belustigtem Ton.
»Oh doch, natürlich! Ich verspüre das dringende Bedürfnis, meinen Kopf gegen die Wand zu werfen und mir eine Kugel in den Kopf zu ballern.«
»Spaß verstehst du auch keinen«, grinste sie mich an und ich konnte ihr ansehen, dass sie auf eine Gefühlsregung in meinem Gesicht wartete. Aber da war natürlich nichts zu erkennen.
»Vielleicht sollte ich etwas erklären. Ich bin krank und kann keine Gefühle zeigen. Auf ein Lachen wartest du also vergeblich.«
Sie machte ein sorgenvolles Gesicht. Dann sagte sie, »Ich hatte mich schon gewundert, weil deine Mimik die ganze Zeit aussah wie eine Maske. Zuerst vermutete ich Botox, aber dann wäre wenigstens ein bisschen was zu sehen gewesen.«
»Du könntest mir den Arm brechen, oder mich anzünden und würdest trotzdem nichts sehen.«
Ich erkannte Verständnis in ihren Zügen, als sie sagte, »Okay, das war wirklich nur ein Scherz. Hier will natürlich niemand wohnen. Aber falls du die billigste Wohnung auf der Insel suchst, weißt du jetzt, wo du sie findest. Dieses schmucke Heim kostet 100 Dollar im Monat!«
100 Dollar? Geschenkt wäre noch zu teuer gewesen. Ich wollte nur noch dort weg und eine, wenn auch kostspieligere Wohnung sehen, in der ich, wenn möglich, einige Monate zubringen konnte. Wir verließen die Bruchbude wieder durch den finsteren Gang nach unten. Als ich wieder in den Wagen klettern wollte, den sie unverschlossen stehen ließ, hielt sie mich zurück. Sie zeigte auf die andere Straßenseite und bat mich, ihr zu folgen. Dieses Haus sah schon wesentlich besser aus. Die Fassade war in einem leichten Gelb gehalten und der Weg zur Haustür war mit hellen Platten ausgekleidet. Das entsprach schon eher meinen Erwartungen. Doch kurz vor der Eingangstür bog sie nach rechts ab und zog mich hinter ihr her. Es handelte sich dabei um eine Einliegerwohnung mit separatem Eingang. Als sie die Tür öffnete und den Blick in die Wohnung ermöglichte, fühlte ich mich sofort zu Hause. Die Wohnung war hell und freundlich eingerichtet, besaß ein geräumiges Badezimmer, sogar mit Badewanne und machte einen sauberen Eindruck. Leider fand ich keine Küchenzeile und das war der große Nachteil. Mein Geld als Startkapital hatte, reichte einfach nicht, um mir eine Küche zu kaufen. Auch die monatliche Miete lag weit über meinem Budget. Ich konnte mir das einfach nicht leisten.
Wir brauchten noch zwei weitere Versuche eine Wohnung zu finden, in der ich bleiben konnte. Letztendlich entschied ich mich für eine Zweizimmerwohnung in einem Mehrfamilienhaus nahe der American University of the Caribbean School of Medicine, die sogar einen kleinen Balkon hatte. Der Ausblick erfreute mich. Das Meer war zu sehen, es gab ein paar schattenspendende Bäume und es war ruhig. Aber sie hatte bedauerlicherweise nicht nur Vorteile. Zum einen lag sie sehr weit ab von der Stadt und in der Nähe gab es keinen Supermarkt. Nächster Nachteil, sie lag auf der niederländischen Seite der Insel. Das bedeutete, ich brauchte auch noch ein Visum, um überhaupt dortbleiben zu dürfen. Und es tauchte gleich noch das nächste Problem auf. Wie bezahlt man eine Wohnung ohne Bankkonto. In meinem feinen Plan für die ersten Tage hatte ich nämlich genau das nicht bedacht. Sehr peinlich für eine Bankkauffrau. Der nächste Rückschlag ereilte mich dann in Form einer Erklärung. Wer auf der französischen Seite ein Konto eröffnen wollte, musste eine Wohnung sowie mindestens drei Monate Strom und Wasserrechnung nachweisen.
Ich brauchte also eine andere Bank. Nämlich dort wo ich jetzt wohnte, und dafür braucht man ein unbegrenzt gültiges Visum. Meine Probleme häuften sich und ich hatte große Lust einfach alles hinzuschmeißen. Es kann doch nicht so schwer sein ein neues Leben anzufangen, aber irgendjemand warf mir ständig neue Knüppel zwischen die kurzen Beine. Anstatt einen Mietvertrag hatte ich jetzt eine Liste mit Punkten, die ich abarbeiten musste. Enttäuscht und müde fuhr ich wieder in mein Hotel zurück. Ich brauchte dringend eine Pause, und was könnte es da Schöneres geben, als ein paar Stunden am Strand zu liegen, Sonne zu tanken und ein bisschen im Meer zu schwimmen. Alleine der Gedanke heiterte mich schon auf. Es war November, in Deutschland kämpften sie mit Eis und Schnee und ich lege mich einfach an den Strand. Anstatt mich um meine Liste zu kümmern, zog ich mir meinen neu gekauften Bikini an und packte mir einige Handtücher ein.
Mit meiner Tasche machte ich mich auf den Weg zu dem großen Strand, wo auch die riesigen Kreuzfahrtschiffe vor Anker lagen. Das waren von meinem Hotel gerade mal ein paar Minuten zu Fuß. Trotz der vielen Sorgen, die an mir nagten, verbrachte ich einen schönen Nachmittag an dem Strand mit dem fast weißen Sand und dem türkisblauen Meer. In Bochum wäre ich um diese Zeit fast erfroren und hier schwamm ich im warmen Meer, gönnte mir noch ein großes Eis und etwas später am Abend auch noch ein leckeres Abendessen. An der Straße, die oberhalb des Strands parallel verlief, gab es ein nettes Restaurant. Da setzte ich mich an einen freien Tisch und bestellte mir Chicken Alfredo. Das war Hähnchenfleisch in einer Käsesauce mit anständig Knoblauch auf Nudeln. Ich hätte mich auf den Teller legen können, so lecker war das. Als die Sonne dann hinterm Horizont verschwand, was aufgrund der Nähe zum Äquator schon gegen 18 Uhr passierte, machte ich mich auf den Weg zum Hotel.
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