Die Dusche an dem Abend war eine Tortur. Dieser feine Sand kroch buchstäblich in die kleinste Ritze. Ich hatte ein eher ungewolltes Ganzkörperpeeling. Noch unangenehmer war allerdings das Scheuern des Sandes in meinem Intimbereich. Je mehr Wasser an mir herunterlief, umso mehr Sand fand sich an mir. Das nächste was ich nach der Körperpflege getan habe, war mir einen Plan für den nächsten Tag zurechtzulegen. Ich brauchte dringend ein Konto und ein Visum. Außerdem hatte ich immer noch nicht nach einem billigen Auto gesucht und meine neue Heimat immer noch nicht erkundet. Aber es gab auch etwas Positives. Den restlichen Abend habe ich vor dem Fernseher verbracht. Das hat mir enorm geholfen Englisch zu verstehen. Die ganzen Serien waren auf Englisch und ich konnte damit meine Sprachfähigkeiten verbessern.
Nach dem Frühstück am nächsten Tag machte ich mich auf den Weg zu der Obrigkeit. Ich brauchte unbedingt ein Visum für ein Konto, damit ich auch meine Wohnung bekam. Leider war ich dabei nicht wirklich so erfolgreich, wie ich mir das wünschte. Denn ein Visum gab es nur, wenn ich einen Job hatte. Was war das nur für ein dämliches Spiel? Alles war völlig verdreht. Nur wo sollte ich einen Job hernehmen? Die Bank wollte mich ja wegen meiner begrenzten Englischkenntnisse nicht einstellen. Ich brauchte aber einen Job damit es voranging. Auf dem Weg zurück kam ich am Hafen vorbei, wo gerade ein schönes Schiff anlegte. Es war die Horizon, die gerade vom Meer in den Hafen einlief. Da ich sonst nichts weiter tun konnte, sah ich mir das Schauspiel aus der Nähe an. Ich hatte keine Ahnung, wie viele Menschen auf so einem Kreuzfahrtschiff ihren Urlaub verbrachten und wie viele auf eines davon passten. Der ganze Steg war überfüllt von Menschen, die sich erst langsam an Land bewegten.
Als sich die Reihen etwas lichteten, fiel mein Blick auf ein Büro vor dem viele Besucher noch immer warteten. Interessiert sah ich etwas genauer hin und entdeckte ein Schild auf dem stand Help needed. Ich brauchte doch einen Job und wenn die schon suchen sprach ja nichts dagegen sich da zu bewerben. Mehr wie schiefgehen konnte es ja nicht. Was hatte ich schon zu verlieren? Ich wartete bis der größte Andrang weg war und betrat dann das Büro. Eine helle Schönheit hinter dem Tresen blitze mich mit ihren strahlend weißen Zähnen an. Auf dem Namensschild auf ihrer Bluse stand der Name Rochelle. Die erste Frage die sie mir nach der freundlichen Begrüßung stellte war, ob ich mich bereits entschieden hätte.
»Ja, ich habe mich für einen Job entschieden«, sagte ich zu ihr.
Sie schenkte mir ein wunderschönes Lächeln und bat mich einen Moment zu warten. Sie musste erst den Geschäftsführer rufen der gerade unterwegs war. Für die Wartezeit bot sie mir einen Kaffee an, den ich gerne annahm. Überall an den Wänden hingen Angebote für Tagesausflüge auf der Insel. Die Preise kamen mir ziemlich gesalzen vor, aber das sollte mich nicht stören. Ich wollte ja Geld verdienen und nicht ausgeben. Nach etwa einer halben Stunde stellte sich mir ein älterer untersetzter Mann als Grant Atkins vor. Er trug kein Namensschild, dafür aber eine dicke Hornbrille mit Fensterscheiben als Gläsern. Was mir an ihm auffiel, war das rosafarbene Hemd, was er trug und ihm ziemlich um die Brust spannte. Er warf mir einen abschätzenden Blick zu und bat mich in sein Büro am Ende des Ganges. Ich dachte, ich würde erfrieren. In seinem Büro war es so kalt wie in einem Kühlschrank. Um den Job zu bekommen, versuchte ich ihn mit dem bisschen Englisch was ich konnte, zu überzeugen. Das spielte für ihn aber kaum eine Rolle. Er legte mehr Wert darauf, welche Fremdsprachen ich konnte. Als er deutsch als meine Muttersprache hörte, sah ich ein deutliches Grinsen über sein Gesicht huschen. Ich brauchte nur knapp zehn Minuten bis ich den Arbeitsvertrag in der Hand hatte. Mein erster Arbeitstag sollte der fünfzehnte November sein. Das hieß, ich hatte noch elf Tage Zeit meine Aufgaben zu erledigen.
Dann fiel mir auf, dass ich ja jetzt mit dem Arbeitsvertrag mein Visum bekommen konnte. Es war ja noch früh am Tag. Also kehrte ich wieder zur Verwaltung zurück und legte der Sachbearbeiterin den unterschriebenen Arbeitsvertrag vor. Nach nicht einmal zwanzig Minuten hatte ich mein unbegrenztes Visum, solange ich dort arbeitete. Ich konnte es kaum glauben, wie schnell ich jetzt meine Liste abarbeiten konnte. Mit dem neuen Visum besuchte ich die Bank, um ein Konto zu eröffnen und machte mich dann auf den Weg zu meiner Maklerin für den Mietvertrag. Dann erlaubte ich mir ein kleines Mittagessen. Nachmittags wollte ich meine Ersparnisse noch auf mein Konto einzahlen. Da war es definitiv sicherer als in dem kleinen Safe in meinem Hotelzimmer. Im Kopf überschlug ich kurz, was ich pro Tag eigentlich an Geld bräuchte. Was sollte ich auch großartig an Geld mit mir herumtragen. Hochgerechnet auf eine Woche kam ich auf knapp einhundert Dollar. Das würde mir für eine Woche als Bargeld locker reichen. Dann fiel mir erst auf, dass ich kaum noch Dollar hatte, dafür aber jede Menge Deutsche Mark. Ich hatte ja nicht wirklich viel Geld umgetauscht. Da ich sowieso gerade in der Nähe der Wechselstube war, nahm ich einen kleinen Umweg. Der aktuelle Umtauschkurs war für mich interessant. Das Glück schien mir zum ersten Mal seit vielen Jahren einen grandiosen Tag zu bescheren. Der aktuelle Kurs war höher als bei meinem ersten Umtausch und die Bank erhob weniger Gebühren als die Wechselstuben.
Plötzlich hatte ich deutlich mehr Geld eingeplant als ich tatsächlich brauchen würde. In Deutschland hatten Karsten und ich überlegt wie viel Geld ich benötigte um hier neu starten zu können. Unsere Berechnungen lagen bei mindestens fünf Monaten plus Auto und Miete. Jetzt hatte ich für über vier Monate zu viel Geld gesammelt als ich eigentlich brauchte. Ehrlich gesagt, wenn meine Krankheit mich würde strahlen lassen hätte ich den Vergleich mit der Sonne locker gewonnen. Zum ersten Mal spürte ich keine Depression mehr, sondern Glück und eine unglaubliche Freude. Dieses Gefühl wollte ich mir unter allen Umständen bewahren. Warum konnte es die ganzen vergangenen Jahre nicht so sein? Okay, das warum war eigentlich klar. Als Homosexuelle hatte ich einen extrem schweren Beginn in Deutschland. Hier wusste ja noch niemand was davon und ich wollte das auch Geheimhalten so lange es nur ging. Würde das hier jemand herausfinden, wäre mein Abenteuer schneller zu Ende als ein Spielfilm im Fernsehen. So weit sollte es unter gar keinen Umständen kommen. Ich war bereit meine eigene Sexualität bis an mein Ende zu verleugnen, wenn ich dafür nicht mehr leiden musste.
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