Hilflos blicke ich zu Jill, die verhalten ihre Schultern zuckt.
„Okay, dann versuchen wir es. Ich werde ein, zwei Dirndl entwerfen.“ Mister Chang stellt seine Teetasse ab und ergreift meine Hände.
„Wunderbar, ich wusste, wir einigen uns. Sie werden sehen: die Dilden von Babe in Germany werden der Renner.“
Nachdem wir Mister Chang verabschiedet haben, fühle ich mich völlig entkräftet. Jill drückt mich kurz und klopft mir beruhigend auf den Rücken.
„Weißt du, Elle, freu dich doch. Wenn wir das mit dem Dirndl gut hinbekommen, steigt er ein und der Tag gestern war ein voller Erfolg. Vielleicht hat er recht und die Sache wird der Renner. Schaden kann es bestimmt nicht.“
Ich bin mir da nicht so sicher. Dirndl . Das wird vermutlich meine hart erarbeitete Anerkennung in der Branche versauen. Außerdem habe ich keine Idee, wie ich Mister Chang davon abbringen kann, weiterhin „Dilden“ zu sagen. Das wird sicherlich noch zu peinlichen Zwischenfällen kommen. Wieder betrachte ich das Foto meiner Tochter und bin versucht, dieser die Schuld an meinem Dilemma zu geben. Aber die strahlenden Augen der Vierjährigen halten mich davon ab. Während ich mich in meinem Drehstuhl leicht hin- und herdrehe, lasse ich das Treffen noch einmal Revue passieren. Jill öffnet die Tür und setzt sich an den zweiten Schreibtisch im Raum. Mein Blick bleibt anerkennend an dem klassischen Schnitt von Jills Seidenbluse hängen. Unvermittelt habe ich eine Inspiration. Das klassische schwarz-weiß von Jills Garderobe ließe sich doch auf ein Dirndl im Babe in Germany- Stil anwenden! Plötzlich hellwach, greife ich nach einem Bleistift und beginne mit raschen Strichen meine Vorstellung zu skizzieren. Vielleicht ist Mister Changs Idee nicht so schlecht.
Obwohl es eigentlich Valéries Idee war.
Das Telefon klingelt. Auch das noch. Ich mag es überhaupt nicht, in einer kreativen Phase gestört zu werden. Geistesabwesend hebe ich den Hörer ab. Die Stimme meiner Assistentin Kitty klingt belustigt.
„Elle, da ist ein Verehrer für dich in der Leitung.“ Ratlos senke ich den Stift. Ein rascher Blick auf die Uhr bescheinigt mir zwei Stunden konzentriertes Schaffen.
„Ein Verehrer?“ Jill blickt neugierig zu mir hinüber. Kurzzeitig blitzt das Bild der braungebrannten Unterarme dieses Bootstypen vor mir auf. Mein Herz klopft wild, als ich mich an seinen herben, männlichen Geruch und das unverschämte Grinsen erinnere.
„Ja, ein Neil O´Ryan. Er hat gesagt, er möchte die schönste Frau des Büros sprechen. Ich war unschlüssig, ob er da nicht bei mir gerade richtig war und wollte ihn erst gar nicht zu dir durchstellen.“ Kitty kichert, doch ich höre ihrer Blödelei nicht richtig zu.
Es gibt nur einen Grund für Neil, mich anzurufen. Er will mich gnadenlos anbaggern. Kurz überlege ich, mich verleugnen zu lassen. Dann ermahne ich mich innerlich. So wird das nie etwas mit einem Mann. Neil ist zweifellos attraktiv und vielleicht hat er sich seit damals weiterentwickelt. Ich beschließe, ihm eine zweite Chance zu geben.
„Gib ihn mir.“ Ich lehne mich zurück und betrachte die Skizzen vor mir. „Neil. Du hast ja nicht viel Zeit verloren.“
„Hey schöne Frau. Warum sollte ich? Da winkt das Schicksal mit dem Zaunpfahl, und führt mich wieder über deinen Weg. Das kann ich nicht ignorieren.“ Ich schmunzle widerwillig.
„Du hattest immer schon einen übertrieben blumigen Charme, Neil.“ Er lacht herzhaft. Ein schönes, tiefes Brummen.
„Elle, gib es zu, es kann kein Zufall sein, wenn wir uns nach all den Jahren ausgerechnet auf diesem Boot treffen.“
„Ja, das war unerwartet.“
„Ich habe lange genug auf meine Traumfrau gewartet. Gehst du heute mit mir essen?“ Traumfrau ? Obwohl oder gerade weil ich schon lange nicht mehr so schamlos angebaggert wurde, erröte ich. Jill schaut neugierig hinüber, und ich drehe mich in meinem Stuhl Richtung Fenster.
„Heute? Das geht leider nicht. Ich habe bereits etwas vor. Meine Tochter macht ein Praktikum und ich werde sie an ihrem ersten Tag begleiten.“
„Ah, ja. Das Praktikum im Heidelberg . Alexander hat mir davon erzählt. Na, das trifft sich doch hervorragend. Ich liebe das Essen dort. Ich könnte dich um acht Uhr abholen.“ Er überrumpelt mich. Insgeheim habe ich gehofft, ihn noch etwas hinhalten zu können. Solange, bis ich mir darüber im Klaren bin, ob es eine gute Entscheidung ist, Neil zu daten.
„Nein, ich werde früher da sein. Valéries Schicht beginnt am Nachmittag und ich wollte gegen sechs vorbeischauen und sehen, wie sie sich macht.“
„Kein Problem, Süße. Wo du bist, werde auch ich sein. Bis heute Abend. Und...“, er senkt sinnlich die Stimme, „...ich freue mich auf dich.“ Mindestens eine Minute, nachdem das Freizeichen ertönt, starre ich noch auf den Hörer. Ich kann es nicht leugnen, ich habe Lampenfieber.
„Sag bloß, du hast ein Date?“ Jills Tonfall lässt mich den Blick heben. Meiner Freundin kann ich nichts vormachen. Ich erzähle ihr von dem abtörnenden Jugenderlebnis mit Neil und seiner ungefilterten Anmachtour. Jill wirft den Pagenkopf in den Nacken und lacht.
„Glaub mir, Elle. Schlimmer als Richard kann er nicht sein.“ Ich verziehe den Mund. Dass Jill mich immer wieder mit Valéries Vater, dem Pariser Modefotografen, aufziehen muss. Wie soll ich Jill klarmachen, mir liegt nichts mehr an Richard? Selbst wenn ich zweimal im Jahr, wenn er in Kanada ist, bei ihm schwach werde.
„Wo trefft ihr euch?“
„In diesem deutschen Hafenrestaurant, in dem Valérie ihr Praktikum macht. Das Mister Chang zu seinen Dilden inspiriert hat.“ Meine Freundin kichert bei der Erwähnung von Mister Changs komischem Missverständnis. „Anscheinend kommst du derzeit am Heidelberg nicht vorbei.“ Mit einem Male schlägt mein Herz bei Jills Bemerkung aus wie ein Geigerzähler.
Ob der Bootstyp wieder dort sein wird? Sofort verliere ich mich in ungebetenen Tagträumen, in denen muskeltanzende Fischflossen die Hauptrolle spielen.
Obwohl Jill mich fragend ansieht, bringe ich es nicht fertig, ihr von diesem arroganten Hinterwäldler zu erzählen. Das würde diesem Typen einen Stellenwert einräumen, den er nicht besitzt und niemals einnehmen wird.
„Heute also keine, Grauwale?“ Geschickt fängt Bobby das Tau auf.
Ich schüttle den Kopf und ziehe die Gangway in Position. Die heutigen Passagiere tröpfeln mit den üblichen Dankesbekundungen von Bord. Bobby verteilt an jeden von ihnen einen Flyer, der nochmals über das Forschungsprojekt informiert und um großzügige Spenden bittet. Ich genieße die Windstille im Hafen. Es ist ein warmer Tag. Kaum kann ich es erwarten, die windabweisenden Schichten meiner Seemannskluft von mir zu reißen und eine kühle Dusche zu nehmen. Heute wäre genug Zeit dafür, weil ich keine Handys bergen muss.
Kurz blitzen Elles grüne, wutgesprenkelte Augen in meiner Erinnerung auf.
Nachdem alles verstaut ist, erreiche ich mit wenigen Schritten die kleine Walstation in der Hafenzeile. Bobby folgt mir.
„Dekan Hunter hat übrigens angerufen. Er bittet um Rückruf und fragt, ob du auf der diesjährigen Jahresabschlussfeier eine Rede halten könntest. Es sollten Forschungsergebnisse enthalten sein.“ Bobby grinst und ich hebe fragend die Brauen.
„Forschungsergebnisse in der Abschlussrede? Der will doch nur checken, ob sein Geld gut angelegt ist. Aber wenn es sein muss. Ruf ihn bitte morgen zurück und sag zu.“ Ich beginne, mich aus meiner Kluft zu schälen. Als ich meinen nackten Oberkörper vor ihr entblöße, mich hinabbeuge und die Schuhe aufbinde, wendet Bobby sich verlegen ab. Verstohlen schielt sie zu mir hin, während sie so tut, als suche sie etwas auf dem Schreibtisch. Zeit, den Striptease im hinteren Zimmer fortzusetzen. Ich ärgere mich über mich selbst. Wie konnte ich nur so gedankenlos sein?
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