Trotz der Spannung, heute konnte er nicht mehr weitermachen. Gähnend schlurfte er ins Haus zurück. Dornröschen würde bis Montagabend warten müssen.
***
Am Montagabend, Matthias hatte etwas früher Feierabend gemacht, räumte er erst die gelockerte Erde weg, bis ihn ein Gewitter zwang, die Arbeit zu unterbrechen.
Am Dienstagabend war es dann endlich so weit. Schaufel für Schaufel aus der lockeren Mitte landete auf einem Haufen zwischen dem Haus und dem Abhang. Die Neugier verlieh ihm eine Ausdauer, die ihn selbst erstaunte. Die Erde rutschte stets von oben nach, bis sich plötzlich eine Rundung abzeichnete.
Ein Gewölbe aus Sandstein. Das war trotz der schwarzen Schicht deutlich zu erkennen. War es möglicherweise eine Art Dorfbackofen gewesen, ging Matthias durch den Kopf.
Enttäuschung machte sich breit, was sollte in einem alten Ofen schon zu finden sein? Er hatte insgeheim doch auf einen veritablen Schatz gehofft.
Oder zumindest auf verborgene Räume, die seine Nutzfläche zum Beispiel um einen Weinkeller, in dem man auch Partys mit Freunden feiern konnte, erweitert hätten. Nur gut, dass er Margarethe noch nichts davon gesagt hatte. Er wusste, dass sie es nicht böse meinte, aber es traf ihn trotzdem jedes Mal, wenn sie ihn wegen seiner blühenden Fantasie auslachte.
Schluss für heute! Außerdem wollte er zuerst den nervigen Vorhang aus diesen Wurzeln weghaben, die ihm dauernd im Weg hingen. Dazu musste er sich jedoch irgendwo eine Leiter borgen. Und eine kräftige Maschine mit flachem Spitzmeißel besorgen, um dem Wurzelwerk gründlich zu Leibe zu rücken …
Bis Freitag hatte er immerhin die Leiter organisiert, dabei war es jedoch geblieben.
Jetzt, am Samstag, hieb er mit einer alten Axt die Wurzeln, die ihn so lange geärgert hatten aus den Ritzen. Schlag für Schlag legte er den Sandstein bis auf gute zwei Meter Höhe völlig frei. Mühsam war es schon. Die Axt wurde rasch stumpf, die Leiter half zwar aufzusteigen, stand jedoch gleichzeitig auch im Weg.
Trotzdem, bis zum Mittagessen war der Sandstein oben sauber, unten war ein respektabler Wall entstanden. Am Nachmittag würde er eine weitere Mulde mit Erde, Sandsteinstücken und Wurzeln füllen können.
Für den Rest und den Inhalt des "Ofens" würde er noch eine Letzte brauchen, dann waren die Erdarbeiten endlich beendet, schätzte er.
Die Rückwand des neuen Anbaus, eine Mauer aus Zementsteinen, würde auf dem Sandstein guten Halt finden. Zuvor galt es jedoch, eine Entwässerungsrinne in den Stein zu schlagen. Die nächste Knochenarbeit, die auf ihn wartete.
Kurz nach drei, die Mulde war gefüllt, ein Bier getrunken, machte er mit dem Ausschaufeln des Ofens weiter. Schnell wurde die Öffnung oben größer, das Gewölbe schien doch einige Meter in den Fels zu reichen. Außerdem zeigte sich, dass das Loch nicht einfach mit Erde gefüllt war, sondern eher nur an der Außenseite zugeschüttet.
Matthias stellte die geborgte Leiter noch einmal auf, um besser einen Blick ins Innere werfen zu können. Viel war nicht zu sehen, ein dunkles Loch. Matthias warf einen Stein in die Öffnung, deutlich hörte er ein Glas klirren.
Also wohl doch ein Keller.
Mit einer Taschenlampe bewaffnet stieg er abermals auf die Leiter. Jetzt wollte er es genau wissen.
Der Raum maß sicher vier mal vier Meter, stellte er fest. Viel war zwar nicht zu erkennen, an der Rückwand standen Regale, die unter einer dicken Staubschicht lagen. Matthias war trotzdem begeistert. Ein Felsenkeller. Was konnte man da alles aufbewahren. Käse, Bier, Wein und zur Not auch noch Kartoffeln.
Mit neuer Kraft grub er weiter. So schnell wie möglich wollte er in den Raum.
Er brauchte nur genug Platz, um oben durchzukriechen, den Rest der Erde konnte er später noch wegräumen.
Mit den Füssen voran ließ er sich auf der Rückseite des Erdhügels hinuntergleiten. Sofort war er völlig verdreckt, aber das spielte im Moment überhaupt keine Rolle.
Natürlich hatte er Staub aufgewirbelt, zu sehen war trotz der Lampe nur noch wenig. Tastend suchte er den Boden ab, bekam etwas zu fassen, das sich wie ein Besenstiel anfühlte. Er hob es auf, um es genauer zu betrachten.
Das Ding war nicht ganz rund, am oberen Ende war eine deutliche Verdickung zu erkennen. Matthias ließ es entsetzt fallen, als er das "Ding" erkannte. Ein Oberschenkelknochen. Vermutlich war es der einzige Knochen, den er sicher einem Menschen zuordnen konnte. Und ausgerechnet den musste er erwischen, ging ihn durch den Kopf, als er schon wieder draußen war.
Margarethe machte große Augen, als sie ihn sitzen sah. „Wie siehst du den aus, hat es dich verschüttet?“, wollte sie wissen.
Das einzig Erkennbare in seinem Gesicht waren die Augen, der Rest war gleichmäßig schwarz. Immerhin konnte sie deshalb nicht sehen, wie blass er war.
Er schüttelte den Kopf. „Ich war da drin, deshalb.“
„Das wasche ich nicht mehr, das kannst du gleich wegschmeißen!“, schnaubte sie, „und komm ja nicht so in die Wohnung, sonst kannst du etwas erleben!“
Sie machte auf dem Absatz kehrt, laut schimpfend ging sie zurück ins Haus.
Matthias war noch nicht klar, was er tun sollte. Das Loch einfach mit Brettern verschließen, wäre vermutlich das Beste. Aber die Sache würde ihm niemals Ruhe lassen. Vielleicht waren die Knochen schon hunderte Jahre alt, dann wäre es nicht so schlimm.
Schnell verwarf er den Gedanken wieder, die Regale hatten nicht so ausgesehen, als ob sie aus der Steinzeit stammten.
Eine offizielle Grabkammer konnte es auch nicht sein, dann hätte man davon gewusst. Er musste die Polizei verständigen und Margarethe davon erzählen. Dass sie keine Gräber mochte, das wusste er.
Wie sie damit fertig werden würde, dass sie nur wenige Meter von einer Leiche entfernt, jahrelang gewohnt und geschlafen hatte, das würde sich bald zeigen, dachte er.
Brav zog er sich bis auf die Unterhose aus, bevor er die Wohnung betrat. Sie ging ihm sofort aus dem Weg, jedoch sein eigener Anblick im Badezimmerspiegel ließ ihn für einen Moment die Sache vergessen. Frisch geduscht und einigermaßen gefasst schlenderte er zu ihr in die Küche.
Als sie sich schnell aus dem Raum stehlen wollte, packte er sie an den Handgelenken. „Schluss mit dem Theater! Ich muss mit dir reden.“
„Ach ja, über was denn?“, wollte sie wissen.
„Da draußen“, wies er mit der Hand in die Richtung, „habe ich einen alten Keller entdeckt.“
Jetzt hörte sie schon aufmerksamer zu.
„Das ist aber noch nicht alles.“ Sanft schob er sie auf einen Küchenstuhl. „Ich habe einen Knochen gefunden.“
„Einen Knochen“, wiederholte sie.
„Ja, aber nicht irgendeinen, einen Oberschenkelknochen. Da drin liegt eine Leiche!“
Sie brauchte einige Sekunden, um zu verstehen. „Bist du sicher?“, presste sie schließlich hervor.
„Ich fürchte ja“, gab er zurück.
„Dann musst du die Polizei rufen!“
„Ja, gleich, ich wollte es nur dir zuerst sagen.“
„Entschuldige wegen der Wäsche! Ich hatte schon schlechte Laune, das war aber nicht wegen dir. Karin hat vorher ins Bad gekotzt, ich war gerade fertig mit dem Putzen.“
„Schon in Ordnung, mach dir keine Sorgen.“
Matthias hatte schon ein Kabel gezogen und seinen Halogenscheinwerfer installiert, bis zwei Beamte eintrafen, die von Margarethe zur Baustelle geführt wurden.
Der Knochen war deutlich zu erkennen und wenn man wusste, wonach man suchte, konnte man auch den Rest des Skelettes im Staub erkennen.
„Ja, das sind eindeutig menschliche Knochen“, bestätigte der Jüngere der beiden, der als Erster auf die Leiter gestiegen war. „Die dürften allerdings schon eine ganze Weile daliegen“, fügte er noch an.
„Mindestens seit 1948“, bestätigte Matthias, „in diesem Jahr hat mein Vater das Haus gekauft.“
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