1 ...8 9 10 12 13 14 ...32 Danach hatte sie sein Haus angezündet und war geflohen.
Natürlich hatte man sie gefangen. Sie spürte noch immer die kalten Fesseln und die Folter, die ihrer Hinrichtung vorausgegangen war. Wieder und wieder versuchte sie sich zu befreien, doch es gab kein Entrinnen.
Für Shadarr waren ihre Bemühungen lästig, aber auch wenn sie in ihrem Fieberwahn kräftig zappelte, hatte er am Ende keine Mühe, sie festzuhalten. Unbeirrt trabte er weiter.
Unterdessen zitterte Jiang einsam in einem tiefen Kerkerloch, das stets beinahe hüfthoch unter Wasser stand. Nur ein enges Gitte unendlich weit am Himmel über ihr ließ manchmal ein wenig Licht zu ihr hinein.
Sie hing nackt und halb ertrunken auf ein Bambusgitter gefesselt im eisigen Wasser. Stinkender Unrat trieb auf der Oberfläche, die Wärter verrichteten lachen ihr Geschäft durch das Gitter. Sie zielten dabei immer auf ihren Kopf oder schlossen Wetten darauf ab, wer den besten Treffer landete. Die Küchenmägde kippten ihre Abfälle hinunter.
Sie wollte sich waschen, doch sie war gefesselt und konnte sie nicht bewegen. Bald schon würden die Henker kommen, um sie zur öffentlichen Hinrichtung zu bringen. Sie würde nackt gefesselt der Menge gezeigt werden, dann würde man ihr ihre Verbrechen vorlesen und sie anschließend langsam erwürgen.
Fast sehnte sie den nächsten Morgen herbei, damit alles endlich ein Ende finden würde, doch als er endlich kam, flackerte ein letzter Rest ihres Selbst auf. Einen Augenblick der Klarheit trotz des Fiebers, dass sie dem Unrat in der Zelle zu verdanken hatte, ließ sie das riesenhafte Monster erkennen, dessen Beute sie geworden war. Es trug sie gerade in seinem Maul durch den scheußlichen Geistersumpf in der Provinz des Tigers hinter dem Min Tsâo nahe des Nebelklosters von Tiang zao Lung. Wie sie aus ihrer Zelle dorthin gelangt war, konnte sie nicht sagen, doch ihr Schicksal schien kaum besser zu werden.
Dabei hatte sie Kun Lung Tar, der oberste Kanzler des Jadekaisers höchstselbst aus der Zelle holen lassen. Sie war mit groben Bürsten und eisigem Wasser sauber geschrubbt worden, man hatte ihre Wunden verbunden. Dann hatte er sie in einem kleinen Gemach in eine Seidenrobe gehüllt empfangen. Er bot ihr die Freiheit, offenbarte ihr, dass man wusste, dass ihr von Zi tsin Tau Gewalt angetan worden war und das, hätte sie gewartet, dieser in aller Stille entsprechend bestraft worden wäre. Sie selbst wurde nicht für ihre Tat bestraft, sondern dafür, dass sie das Recht und Privileg des Kaisers verletzt hatte, in dem sie diesem die Möglichkeit genommen hatte, Gerechtigkeit walten zu lassen.
Flucht und Verbannung waren ihr einziger Weg, zu überleben.
Natürlich hatte sie gezögert. Sie war eine treue Dienerin des Kaisers. Ihr Land für immer zu verlassen, kam ihr unvorstellbar vor. Der Tod war der bessere Ausweg. Offenbar hatte Kun Lung Tar dies erwartet, denn bedauernd hatte er ihr mitgeteilt, dass es bereits so beschlossen worden war. Sie würde nun Kleidung, Schuhe und Proviant erhalten und aus einer geheimen Pforte den Palast verlassen. Natürlich würde man sie verfolgen.
Aber ihre Verfolger würden nach Süden ziehen, sie dagegen nach Norden.
Und weil Kun Lung Tar all dies für sie arrangiert hatte, würde sie sich sicherlich dankbar zeigen.
Er ließ sie von seinen Wachen festhalten und bestieg sie wie ein Tier. Als er fertig war, ordnete er seine Kleidung, bevor er ohne ein weiteres Wort verschwand.
Seine Wachen waren äußerst beflissen. Sie nahmen sich ein Beispiel an ihrem Herren und taten es ihm nach.
Einer nach dem Anderen nahm sie, wie es ihm gefiel. Am Ende schleiften sie sie beinahe aus dem Palast, da sie kaum laufen konnte. Mit einem Bündel Ausrüstung stießen sie sie nackt durch die Pforte und warfen das Tor hinter ihr krachend ins Schloss.
Schlimmer beschmutzt als in ihrer Zelle hatte sie sich zum nächsten Wasserloch geschleppt, um sich so gut es ging zu reinigen, bevor sie sich in einem Bambuswald zusammenrollte und darum betete, zu sterben.
Shadarr hörte Jiang bitterlich weinen und jammern, konnte aber nicht verstehen, was sie so leise vor sich hin wimmerte. Immerhin hatte sie schon vor einiger Zeit aufgehört, zu zappeln. So war es bedeutend einfacher, sie zu tragen.
Zwischendurch hatte er einmal kurz den Eindruck gehabt, sie wäre wach und klar im Kopf, doch ehe er reagieren konnte, war der Moment bereits wieder vergangen.
Noch immer roch sie ungesund. Außerdem fühlte sich ihre Haut abwechselnd warm und kalt an.
Shadarr überlegte, ob er ihr eine Ruhepause gönnen sollte, doch Schwäche war ihm fremd, so dass er seinen Weg fortsetzte. Entweder sie würde überleben oder eben nicht.
Vor ihm lag ein ausgedehntes Feld mannshohen Schilfs, in dem sich allerlei Getier verbergen konnte, doch er kam gar nicht erst auf den Gedanken, einen Umweg zu gehen. Ohne anzuhalten, marschierte er direkt hinein.
1 - 12 Ein ungebetener Gast -
„Was ist denn da?“, wollte Phyria wissen, die nichts erkennen konnte.
„Leise.“
Droin schob sie um das Feuer herum in die Dunkelheit: „Weiß ich nicht“, flüsterte er.
„Wie kannst Du dann wissen, dass jemand auf uns zukommt?“, fragte sie zurück.
Dieses Mal versuchte sie leise zu antworten.
„Benutz Deine Ohren. Was hörst Du?“
Phyria überlegte einen Moment angestrengt, versuchte irgendwelche Geräusche zu entdecken, doch außer ihren eigenen Schritten hörte sich fast nichts, nur gelegentlich quietschte Droins Rüstung.
„In der Natur gibt es immer etwas. Blätter rascheln, Wind rauscht, ein Tier frisst Gras, rupft junge Triebe von einem Busch, Balzrufe, ein Vogel stößt Warnschreie aus. Wenn absolut nichts zu hören ist, bedeutet das, ein Raubtier ist in der Nähe, vor dem alle anderen Tiere Angst haben. Wenn wir Glück haben, überdeckt der Brandgeruch unsere Duftspuren.“
Unbehaglich sah sich Phyria um: „Und wenn nicht?“
„Dann hoffen wir, dass wir schneller und schlauer oder stärker sind.“
„Was ist, wenn nicht?“
„Dann sind wir tot. Und jetzt weniger reden und mehr laufen. Hilf mir, den Kompass zu schieben.“
Für die nächste Zeit war alles an das Phyria denken konnte, das unbekannte Raubtier, vor dem sogar die Blutbäume Respekt zu haben schienen, denn sie begegneten auf wundersame Weise keinem einzigen mehr.
Immer wieder blickte sie sich um oder zuckte bei einem vermeintlich verdächtigen Geräusch zusammen.
Einmal glaubte sie sogar, die Silhouette einer riesigen Bestie entdeckt zu haben, doch gerade als sie Droin darauf hinweisen wollte, musste sie feststellen, dass es nur die Reste eines verfallenen Gebäudes waren. Überrascht bemerkte sie, dass sie anscheinend einer Straße folgten. Rechts und links tauchten nun immer wieder Ruinen auf.
Wie Droin in der Finsternis hierher gefunden hatte, war Phyria unbegreiflich. Der Naurim musste eine eigene Art der Magie besitzen. Sie grübelte darüber nach, bis sie es nicht mehr aushalten konnte und ihn danach fragte.
„Einfach. Auf der Karte habe ich gesehen, wo sie ist. Dann sind wir immer darauf zu gelaufen, bis ich sie entdeckt habe.“
Danach schwieg er wieder. Die Wunden schmerzten, so dass er seine gesamte Konzentration darauf verwenden musste, nicht zu stolpern oder die Straße wieder zu verlieren. Nur hier war der Untergrund sicher genug, um schnell voran zu kommen. Trotzdem wurde er das Gefühl der Bedrohung nicht los. Im Gegenteil. Es wurde sogar noch stärker. Die Kreatur hatte sie als Beute ausgewählt.
Offenbar war sie intelligent genug, sich Zeit zu lassen, um ihre Beute zu ermüden, bevor sie angriff. Noch verbarg sie die Nacht vor ihren Blicken. Außerdem zog ein Sturm von Norden heran. Mit etwas Glück konnten sie darin ihre Spuren verbergen, auch wenn er es bezweifelte. Deshalb hielt er bei der Anstrengung und Eile Ausschau nach einem geeigneten Platz für einen Kampf.
Читать дальше